“Die Musikindustrie muss erkennen, dass sie das Netz nicht überleben wird”. Nichts geringeres als das Ende einer ganzen Industrie verkündet Janko Röttgers in seinem Buch “Mix, Burn & R.I.P.”
Der Titel des Werks, eine Abwandlung des Werbeslogans für Apple-Computer aus dem Jahr 2001, deren hervorstechendstes Merkmal der eingebaute CD-Brenner war, deutet bereits an, worum es geht: Musik im Internet, und besonders das Tauschen von Musik durch Peer-to-Peer-Tauschbörsen. Röttgers mischt die Worte dieses Werbeslogans durcheinander, um daraus einen neuen Namen für sein Buch zu erzeugen. „Rip, Mix, Burn“:
Die Käufer des Apple-Computers sollten Musikdateien aus dem Internet laden und zu neuen, selbstgebrannten CDs kombinieren.
Aus Sicht vieler Nutzer war das kostenlose Tauschen und Kopieren von Musikdateien übers Netz schon damals nicht ungewöhnlich. Dass aber ein großer Computerhersteller diese rechtlich fragwürdige Praxis so offen unterstützte, hatte es bis dahin nicht gegeben. Die Vertreter der Musikindustrie konnten es nicht fassen. Für sie handelte es sich um einen direkten Aufruf zur Musikpiraterie.
Momentan läuft in Deutschland eine hitzige Debatte über digitales Kopieren und Tauschbörsen. Ende 2003 wurde das Urheberrecht verändert. Vertreter der Plattenfirmen forderten umgehend weitere Verschärfungen des rechtlichen Rahmens, um den Musiktausch im Netz unter harte Strafen zu stellen. Netzaktivisten dagegen warnen, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen werde und fordern die Industrie auf, lieber ihre Angebote kundenfreundlicher zu gestalten.
Napster & Nudelsuppen
Die Geschichte der Musik im Internet hat gerade erst angefangen. Und trotzdem steckt sie schon jetzt voller Konflikte und schillernder Persönlichkeiten, Anekdoten und Legenden.
Um die heutige Diskussion um Piraterie, Peer-to-Peer und Musikdownloads zu verstehen, ist es nützlich, mit dieser Geschichte und ihren Akteuren ein wenig vertraut zu sein. Röttgers führt den Leser auf sehr legere und amüsante Art mitten hinein in diese Welt voller Ungereimtheiten und Skurrilitäten. Anstatt einfach die letzten zehn Jahre nachzuerzählen, stellt der Musikliebhaber führende Köpfe vor, die ihre Spuren im Netz hinterlassen haben. Von stillen Softwareentwicklern und einem Nudelsuppennetzwerk erzählt dieses Buch, von gefloppten Marketingstrategien
und dem Entstehen der Tauschsoftware Napster: Wie keine andere Entwicklung der letzten Jahre ist Tauschnetzwerk mit dem Katzenlogo zum Symbol für den Umbruch der Musiklandschaft geworden.
Angriffslustig und mit einem fundierten Hintergrundwissen greift der freie Journalist die Anschuldigungen der großen Plattenfirmen und Interessenverbände auf und zerpflückt ihre Argumente. Ziemlich subjektiv und immer wertend, könnte man Röttgers Einseitigkeit unterstellen. Die Belege für seine bewusst provozierende These bleibt er aber selten schuldig. Röttgers Argumentation ist schlüssig, gerade weil er nicht versucht, die Peer-to-Peer-Nutzer von ihrer Mitschuld an der Misere der Musikwirtschaft gänzlich freizusprechen.
Vielmehr fragt er ohne Gehässigkeit, ob es nicht auch anders hätte kommen können. Und viel wichtiger: Wie kann es weitergehen?
Von der Piraterie zur Wissensgesellschaft
Der zweite Teil von \’Mix, Burn & R.I.P\’ ist eine Sammlung von Interviews. Zehn führende Köpfe aus verschiedensten Bereich zeichnen hier ihr Bild von der Zukunft der Musik im Netz. Vom Buchverleger O\’Reilly über Gerb Gebhardt, den Vorsitzenden des Phonoverbands IFPI bis hin zu Fanta-4-Frontmann Smudo stehen sich hier Positionen gegenüber, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Ganz im Gegensatz zur allgemeinen Stimmung in der Musikbranche ist die Grundstimmung in Röttgers Werk die ganze Zeit über sehr positiv. Nicht der Untergang eines Wirtschaftszweigs steht hier im Vordergrund, sondern die Chancen, die in diesem einmaligen Umbruch stecken.
Um den Wandel vom traditionellen Plattenhersteller hin zum modernen Musikvertrieb zu vollziehen und weiterhin erfolgreich Musik produzieren zu können, sind noch nicht einmal allzu große Anstrengungen nötig, wenn wir Röttgers Interviewpartner Marc Cuban glauben dürfen. Der Internetmillionär rät: „Lehn dich zurück und lass es passieren.“