von Amélie NothombScheitern im Land der Kindheit.
Manche Menschen verklären das Land ihrer Kindheit, das sie früh verlassen haben. So ging es der belgischen Diplomatentochter Amélie Nothomb mit ihrem Geburtsland Japan. Erst am Ende ihres Studiums kam sie zurück nach Japan, um dort ein einjähriges Praktikum in einem großen Unternehmen zu absolvieren. Was sie dort Anfang der 90er Jahre erlebte, hat sie in diesem Roman verarbeitet.
Mademoiselle Nothomb beginnt ganz unten in der Hierarchie: anfänglich schenkt sie Kaffee und Tee aus, später verteilt sie die Post. Doch, wer unten anfängt, kann noch tiefer fallen: die letzten sieben Monate verbringt sie als Putzfrau auf der Damentoilette. Wie es dazu kommt, dass sie immer weiter absteigt, davon handelt dieses Buch. Bewundernswert ist die gefaßte, positive Haltung der Protagonistin, die offen bleibt für ihre Mitmenschen (insbesondere für ihre von ihr verehrte Vorgesetzte Fubuki) und alle Niederlagen und Zurechtweisungen entdramatisiert. Nebenbei vermittelt das Buch einige Einblicke in das Leben japanischer Firmen und die Mentalität japanischer Salary-Men.
Der “exotische” Ort der Handlung ist sicher einer der Gründe für den Erfolg dieses Buches in Belgien und Frankreich (wo eine Premierministerin die Japaner einst als “Ameisen” bezeichnete), aber auch eine japanische Ausgabe erscheint gerade. Würden wir genauso gern etwas über das Innenleben europäischer Firmen lesen? Die Firnis der Rationalität ist auch in europäischen Firmen dünn. Sadismus, Verblendung und Überheblichkeit gegenüber Schwächeren und Fremden haben auch hier ihren Platz. Es ist das Verdienst dieses Buches, zumindest die nachdenklichen Lesern genau daran zu erinnern. Außerdem: Wer dieses kleine Büchlein in die Hand nimmt, wird es so schnell nicht mehr aus der Hand legen, da es – bis auf eine zu lange Passage über die Situation der japanischen Frau – sehr kurzweilig zu lesen ist. Der Autorin kommt ihr Humor niemals abhanden.
Fazit: Sehr lesenwert. Auf europäische Gegenstücke warten wir gespannt.

Buch-Infos
Amélie Nothomb
Mit Staunen und ZitternZürich (Diogenes Vlg.) 2000