hg. von Peter Schöttler
Gäbe es einen Nobelpreis für Geschichte, so wäre Marc Bloch zu Lebzeiten sicher ein Kandidat für diese Auszeichnung gewesen. Sein Lebenswerk ist nicht nur umfangreich – besteht es doch aus vier Büchern, unvollendeten Manuskripten, wissenschaftlichen Artikeln und ca. 1000 Buchbesprechungen – sondern er hat es in nur 25 Jahren, davon nur 20 Friedensjahren, verfasst.
Nun ist ein Sammelband zum Leben und Wirken des berühmten Vielschreibers erschienen, dessen Biographie den Umständen seiner Zeit unterlag: 1886 in Lyon als Sohn eines Wirtschaftsprofessors geboren, studierte er nach dem Abitur Geschichte und Geographie, legte die höhere Lehramtsprüfung ab, leistete seinen Wehrdienst, studierte zwei Semester im Ausland (Berlin und Leipzig), arbeitete zwei Jahre als Gymnasiallehrer und promovierte dabei. 1914 wurde der 28-jährige einberufen und diente sich in vier Kriegsjahren vom Unteroffizier zum Hauptmann hoch. 1919 demobilisiert, konnte er endlich wieder ein bürgerliches Leben beginnen: er wurde Hochschullehrer und heiratete. Zwischen 1920 und 1930 wurde er sechsmal Vater. 1929 begründete er gemeinsam mit seinem Kollegen Lucien Febvre die Zeitschrift Annales, die als die wichtigste und lange Zeit auch innovativste französische Fachzeitschrift für Geschichte galt. Febvre und Bloch gelten als die Begründer der Mentalitätsgeschichte, die, anstatt historische Quellentexte nur als trübe Gläser, durch die wir auf die Ereignisse der Vergangenheit schauen, anzusehen, die Mentalität, also die Denkweise, die Werturteile früherer Generationen explizit zum Forschungsthema macht. Weiterhin zeichnete sich Bloch durch eine interdisziplinäre Perspektive aus. Obwohl er nur fachwissenschaftliche Werke verfasst hat, hat er sich – direkt oder indirekt – mit den Positionen von Autoren anderer Disziplinen wie Karl Marx oder Emile Durkheim auseinandergesetzt, wie Kuchenbuch und Müller in ihren Beiträgen nachweisen. Ein besonderes Anliegen war Bloch die Wirtschaftsgeschichte, die für ihn als Mediävisten vor allem Agrargeschichte war.
Sein Verhältnis zu Deutschland war, so führt Schöttler aus, das eines engen, aber sehr kritischen Interesses. Zwar legte er bei seinen Studenten stets Wert auf die Beherrschung der deutschen Sprache und er verfolgte die deutsche Geschichtswissenschaft genau, doch war der jüdische Republikaner Bloch sich immer des Grabens bewusst, der ihn von vielen revanchistischen deutschen Historikern der Weimarer Zeit und des Dritten Reichs trennte. Im zweiten Weltkrieg, den er zuerst als Offizier, nach der Niederlage von 1940 als Lehrbeauftragter in Südfrankreich erlebte, entschloss er sich zu einem riskanten politischen Engagement. Er trat einer Widerstandsbewegung bei, deren regionaler Leiter für den Raum Lyon er war. Am 8. März 1944 wird er von der Gestapo verhaftet, gefoltert und am 16. Juni – 10 Tage nach der alliierten Landung in der Normandie – zusammen mit anderen Gefangenen auf einem Feld am Rande Lyons erschossen.

Buch-Infos
P. Schöttler (Hrsg.):
Marc Bloch – Historiker und Widerstandskämpfer.
Campus Verlag 1999.
ISBN 359336333X

Leider wird in diesem informativen Band fast nur der Historiker, aber kaum der Widerstandskämpfer beleuchtet, den nur Blochs Sohn Etienne Bloch plastischer macht. Noch interessanter für den Nichtfachmann dürfte die noch für dieses Jahr erwartete Neuausgabe der “Apologie der Geschichte” sein. Dieses – unvollendete – Buch hat Bloch im Widerstand geschrieben. In ihm zeigt sich die wahre Größe Blochs, nämlich seine Fähigkeit, sich die Frage “Warum überhaupt Geschichte schreiben?” zu stellen. Die meisten anderen Historiker haben diese Frage nicht behandelt oder auf eine vormoderne Weise beantwortet. Nicht so Bloch: Für ihn gehen das Interesse für die Vergangenheit und für das heutige Leben einher. Zustimmend zitiert Bloch aus ein Gespräch mit seinem belgischen Kollegen H. Pirenne diesen: “Wäre ich Antiquar, würden mich nur alte Sachen interessieren. Aber ich bin Historiker. Deshalb liebe ich das Leben.” Blochs erkenntnistheoretische Haltung ist Kant verpflichtet. Gemäß den sehr lesenswerten Ausführungen O.G. Oexles steht Bloch erkenntnistheoretisch Georg Simmel und Max Weber nahe, deren Oeuvre – aufgrund der Etikettierung als Soziologen – in Deutschland von Historikern zu wenig rezipiert werde. Blochs Ansicht von Forschung ist heute noch aktuell. Das Wesentliche seien, so sagt er, die richtigen Fragen. Diese Fragen ergeben sich aber nicht nur aus dem Fortschritt der Forschung, sondern noch häufiger aus der Gegenwart. Mit dieser Sichtweise und seinen Annales ist Bloch in die Annalen der Geschichtsforschung eingegangen.