Sie twittern aus dem Bundestag, ändern ihren Beziehungsstatus bei Facebook, produzieren Video‐Podcasts und laden ihre Reden auf YouTube hoch – das Web 2.0 hat längst auch die als altmodisch geltenden Volksvertreter erreicht. politik-digital.de-Vorstand Christoph Bieber hat in seinem neuen Werk "politik digital – Online zum Wähler" den Bogen zwischen alten und neuen Medien, zwischen Alter und Neuer Welt gespannt. Das Buch erscheint am 1. Oktober, unser Rezensent Jochen Zenthöfer hat es bereits gelesen.
Obamas Stern sinkt, aber sein Wahlkampf fasziniert noch immer – nicht zuletzt im vermeintlich alten und trägen Europa. Wie es der Demokrat mit modernsten Mitteln schaffte, die Mehrheit der Wähler und der Bundesstaaten auf seine Seite zu ziehen ist Vorbild für viele deutsche Politiker geworden. Zwar wurde in den vergangenen Monaten oft gewarnt, dass sich Obamas Kampagne nicht 1:1 übertragen lasse (wer mag dem widersprechen?), doch viele seiner Methoden und Ideen lohnen einer intensiveren Betrachtung. Genau dies leistet das verständlich verfasste Werk „politik digital“ von Christoph Bieber, Politikwissenschaftler an der der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Passgenau zur Zielgruppe
Kernstück der Kampagne war eine Datenbank: „Durch die stetig wachsende Zahl der Registrierungen im Netzwerk (oder durch den Ankauf frei verfügbarer Adressdatenbanken) war die Kampagne stets in der Lage, passgenaue Informationen über die potenzielle Zielgruppe vor Ort zu übermitteln. Das Resultat waren multimediale Online-Tutorials, die etwa mithilfe eines kurzen Videofilms in die Technik des Canvassing einführten, dem wichtigen Klinkenputzen bei unentschlossenen Wählern. In solchen Anleitungen wurden auch Argumentationshilfen und Leitfäden für Telefonanrufe verteilt, und die immer umfassender werdende Adress-Datenbank lieferte gleich eine Liste mit Telefonnummern im eigenen Vorwahlbereich dazu.“
Innovative Piraten
Gegen die 2,4 Mio. Obama-Fans bei Facebook (am Tag der Präsidentenwahl) war die Beteiligung an den Online-Netzwerken von CDU oder SPD bei der Bundestagwahl 2009 bescheiden, analysiert Bieber. Er weist allerdings zu Recht darauf hin, dass es in Amerika auch kein solch bereites Geflecht von Ortsverbänden, Unterbezirken und Sonderorganisationen (wie „Jusos“ oder „Frauen-Union“) gibt. Viele Parteianhänger engagieren sich vor Ort, und benötigen das Netz nicht dazu. Als „die eigentliche Innovation des Superwahljahres 2009“ bezeichnet Bieber den „Online-Wahlkampf der Piratenpartei“: „Der von den etablierten Parteien häufig ausgerufene, aber kaum realisierte »Mitmach-Wahlkampf« hat unter der Piratenflagge sehr wohl stattgefunden. Die zentralen Elemente der Piratenkampagne setzten nicht auf komplexe Portalstrukturen, sondern auf einfache, textorientierte Angebote mit einem umfangreichen Wiki im Mittelpunkt.“ Die Piratenpartei erreichte damit immerhin zwei Prozent der Wählerstimmen – blieb nach der Wahl allerdings, anders als die Grünen 1980, farblos und fuhr bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nicht mal mehr ein Prozent ein.
Bekannt durch "Zensursula"
Twitter, Zensursula, E-Petition im Bundestag, Barcamps: „Politik im und mit dem Internet bringt nicht nur neue Kommunikationsroutinen, sondern auch neue Akteure hervor.“ Ein Beispiel ist die Berliner Mediengestalterin Franziska Heine als Gesicht der Zensursula-Kampagne. Heine hatte die E-Petition zum Thema eingebracht und wurde sofort gefragte Interviewpartnerin – bei neuen und bei traditionellen Medien. Bieber hat einen umfassenden und lesenswerten Überblick über digitale Politik verfasst, der alle entscheidenden Entwicklungen der letzten Monate und Jahre beschreibt und zusammenführt. Sind wir gespannt wie es weitergeht!
Das Buch ist erschienen im blumenkamp Verlag, hat 130 Seiten und kostet 15 Euro.