Rechtzeitig zum zweiten Teil des Weltinformationsgipfels der UNO in Tunis, erscheint Wolfgang Kleinwächters Leitfaden durch die Welt von WSIS, WGIG, PrepComs, Aktionsplänen, Vorbereitungstreffen, Arbeitspapieren und UN-Deklarationen.
Wer sich bisher noch nicht in den verwirrenden Dschungel der Konferenzen rund um die Informationsgesellschaft hineingetraut hat, findet hier einen Wegweiser durch die Mysterien der internationalen Großkonferenz, ihrer Vorbereitungstreffen und Akteure.
Kleinwächter hat hier eine detaillierte und kenntnisreiche Studie über den Prozess des ersten UNO-Weltgipfels zur Informationsgesellschaft vorgelegt. Sie wird ergänzt durch einen umfangreichen Anhang, der wichtigsten Texte und Dokumente des Gipfels sowie einem wirklich nützlichen Abkürzungsverzeichnis. Das Buch wird so schon fast zum Nachschlagewerk.
Kleinwächter geht es um zwei Dinge. Zum einen will die Studie den jahrzehntelangen Prozess in all seinen Facetten darzustellen. Zum anderen, so suggeriert der Titel, sollen die Machtstrukturen und Geldflüsse innerhalb dieses Prozesses aufgezeigt werden. Kleinwächters Analyse beginnt in den Tiefen der Informationsgesellschaftsgeschichte und endet mit einem Ausblick auf den zweiten Teil des Gipfels im November 2005 in Tunis.
Mit Bausch und Bogen
Der weite Rückgriff auf die Erfindung des Buchdruckes und den ersten internationalen Abkommen zur Regelung grenzüberschreitender Informationsverbreitung (Karlsbader Beschlüsse von 1819) bis hin zu den letzten Vorbereitungen des Genfer Gipfels wirkt zunächst etwas langatmig, gibt aber dennoch einen guten Einstieg in die Problematik. Wem es hier jedoch zu Grundsätzlich wird, der kann dieses Kapitel auch überblättern.
Deskriptiv und detailreich geht es weiter. Kleinwächter taucht tief in die Materie der Konferenzarchitektur ab und zeigt damit einerseits die Notwendigkeit solcher hochgradig organisierter Unternehmungen, andererseits entsteht so aber auch eine Fülle von Details, die dem Leser fast physisch die Qualen solcher Mammutunternehmungen vor Augen führt. Informationen geht dabei nicht verloren, denn das Buch ist übersichtlich strukturiert, als Lesebuch wirkt es allerdings schwerfällig. Gerade für den unbefangenen Leser sind diese Details aber auch unumgänglich, da man sich nur so im Labyrinth der Titel und Organisationen nicht verläuft.
Mit Blick aufs Wesentliche
Dies ist manchmal mühsam, aber Kleinwächter gelingt das Kunststück, trotz dieser Detailfülle den Blick auf das Wesentliche nicht zu verlieren. Welche Themen etwa diesen Prozess so schwierig machen (Internet Governance), welche Befürchtungen gehegt werden (Wer kontrolliert im Internet? Wer muss vor wem sicher sein?) und schließlich warum dieser Gipfel so einzigartig ist: Wegen des Multistakeholder-Ansatzes. Es handelt sich also um einen UN-Gipfel, bei dem zum ersten Mal Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an einem Tisch sitzen und gemeinsam Lösungen erarbeiten wollen. Erstmals ist die Zivilgesellschaft nicht ausgesperrt und nicht auf sog. Gegengipfel angewiesen.
Kleinwächter zeigt auf, welche Interessen die jeweiligen Vertreter haben, ob sie diese durchsetzen konnten und wie anschwellende Beteiligung von Stakeholdern den WSIS-Prozess fast zu einer Schimäre machten.
Die Frage nach der Legitimation
Nun ist Kleinwächter Professor für Kommunikation und kein Politikwissenschaftler. Wer an dieser Stelle etwas über die Legitimation nichtstaatlicher Akteure wissen will, oder die demokratische Verfasstheit der WSIS-Gipfelkonstruktion, wird enttäuscht. Solche Fragen drängen sich zwar auf, werden aber kurz gehalten. Kleinwächter beschränkt sich auf eine Schilderung der Konstitutionsbemühungen wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen. Angesichts der Fülle von Veranstaltungen und der immensen Anzahl von Wirtschafts- und Zivilgesellschaftsvertretern, eine durchaus notwendige und hinreichende Strategie.
Das Buch „Macht und Geld im Cyberspace“ ist ein stellenweise enzyklopädischer Ritt durch Geschichte und Konstitution der Informationsgesellschaft. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Kleinwächter fügt diesem Dokument der Gigantomanie noch ein versöhnlichen Ausblick hinzu, der deutlich machen soll, welche Fortschritte denn nun eigentlich erzielt wurden und was man von den folgenden Vorbereitungstreffen und schließlich dem Gipfel in Tunis, erwarten kann.
Dennoch kann man sich dem Eindruck nicht erwehren, Kleinwächters Bonmot „Der Weg entsteht beim Gehen“, schwinge eine fast schon resignative Note, ob der zu bewältigenden Aufgabe des UN-Gipfels, mit. Aber Sisyphos soll man sich ja auch als einen glücklichen Menschen vorstellen.
„Macht und Geld im Cyberspace“ ist im Heise Verlag erschienen und kostet 16,00 Euro.