Die Beschäftigung mit dem Begriff Identität boomt – in vielen Disziplinen wird sie geführt und entsprechend unübersichtlich ist das Feld mittlerweile geworden. Das Buch „Medienidentitäten“ will mit der Unübersichtlichkeit aufräumen.
Bei der Untersuchung des Begriffs Identität stellt man schnell fest, da man bei diesem Forschungsgegenstand interdisziplinär vorgehen muss. Es gibt keine geschlossene Theorie, sondern mehrere übergeordnete Herangehensweisen, deren Ursprung sehr vielfältig ist und die aus zahlreichen Disziplinen kommen. Die Rolle der Identität in einer globalisierten Welt ist vielgestaltig. Ganz besonders dann, wenn der Einfluss der Medien berücksichtigt wird. Identität und Medien sind fast nicht mehr zu trennen. Diesem spannenden Feld versucht das von Carsten Winter, Tanja Thomas und Andreas Hepp herausgegebene Buch „Medienidentitäten“ gerecht zu werden. Aufgrund der aktuellen Diskussionen rund um die Identität verdient dieser Sammelband gegenwärtig eine genauere Betrachtung.
Auf rund 400 Seiten kommen namhafte Experten zu Wort, die in fünf Abschnitten erklären, wie die zentralen Diskurse um den Begriff der Medienidentität in der Medien- und Kommunikationswissenschaft aussehen und wie die Vielschichtigkeit dieses Feldes deutlich zu machen ist. Nach einer Einleitung wird zuerst die Theorie angesprochen, danach werden mediale Angebote aufgeführt, im nächsten Schritt werden Alltagsbeobachtungen wie Talkshows, Soap Operas und andere populäre Phänomene empirisch analysiert. Schließlich werden die Chancen und Risiken angesprochen, die sich beispielsweise in politischen Protestplakaten, Globalisierungskritik oder Fanidentitäten ausdrücken.
In der Einleitung diskutieren die Herausgeber die Frage, woher der Boom der Identitätsforschung in den Medienwissenschaften kommt und erörtern die Diskussionsfelder der kulturellen Identität und der Medien. Schließlich kommen die Autoren auf die theoretischen und empirischen Positionen des Bandes zu sprechen, die hier kurz umrissen werden sollen.
Die Theoriediskussionen beginnen mit einem Beitrag von Friedrich Krotz, der Medien als Konstitution von Identität untersucht Dabei greift er auf die Theorie des symbolischen Interaktionismus zurück und plädiert für eine mediale Durchdringung der alltäglichen Lebenswelt. Carsten Winter widmet sich der konfliktären Artikulation von Identität im Kontext der Globalisierung von Medienkulturen, während Kurt Imhoff das Zusammenwirken von Öffentlichkeit und Identität betrachtet. Andreas Hepp beendet den Theorieexkurs mit der Frage der Deterritorialisierung: ihm geht es dabei vorrangig um die ethnischen, kommerziellen und politischen Aspekte von Medienidentitäten in Zeiten der Globalisierung. Nachdem die Theoriediskussionen eine differenzierte Einführung in das Thema ermöglichen, widmen sich weitere Autoren konkreten Identitätsangeboten in den Medien. Diese Beispiele sind rundweg passend und einwandfrei analysiert, doch entfalten sie oft erst auf den zweiten Blick ihre wahre Wirkung. Denn es ist überraschend, wenn man als Leser zuerst ein wenig irritiert von der Zeitschrift „Kolonie und Heimat“, der österreichischen Mediensituation am Beispiel des Atomkraftwerks Temelin in Tschechien oder der Darstellung von Dresdnern in Stadtvideos zu lesen bekommt. Nicht weit entfernt ist der Weg von den Identitätsangeboten hin zu den Medienidentitäten im Alltag. Nach einem Beitrag, der sich unter anderem der theoretischen Analyse kultureller Identität in den Cultural Studies widmet, liefert der Autor konkrete Beispiele: so wird sehr differenziert über die Identitätskonstitution italienischer Migrantenjugendlicher und über Talkshows und Daily Soaps gesprochen. Nach all diesen Beispielen werden Risiken und Potenzialen von Medienidentitäten dargestellt. Lothar Mikos erörtert die Risiken der öffentlichen Selbstdarstellung im Fernsehen, beispielsweise bei „Big Brother“, und widmet sich der durch die Medien ausgelösten Identitätsarbeit. Horst Niesyto und Peter Holzwarth beschäftigen sich mit der Jugendforschung im Bereich der Videoproduktionen als Möglichkeit interkultureller Kommunikation. Christian Wenger untersucht die Identitätsstiftung in Fangemeinden am Beispiel der Star-Trek-Fans und Jeffrey Wimmer und Sebastian Haunss diskutieren politische Fragen der Liberalisierung des Welthandels und Protestplakate und ihre Wirkung in Bezug auf die kollektive Identität sozialer Bewegungen.
Die Schwerpunktsetzung vieler Beiträge auf zeitgenössische Medienanalysen und besonders in den Cultural Studies bedeutenden Themen wie Soaps oder Talkshows helfen dem Leser, die Verknüpfungen von Theorie und Praxis herzustellen. Auch wenn die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Identitätsbildungsprozessen als alltägliches Problem empirisch einleuchtend daherkommt, kann der Prozess der Identitätsbildung mit seinen Ausmaßen schnell allzu mächtig erscheinen. Doch nicht nur die gutsortierte Literaturliste und die beeindruckende Zahl der Mitwirkenden machen diesen Sammelband zu einer wichtigen Quelle in Sachen Medienidentität. Vor allem die Zusammenführung der verschiedensten Themen und der gelungene Überblick, der dadurch entsteht. Die Diskussionen rund um den Begriff der Identität haben sich seit Georg Simmel und George Herbert Mead exponentiell vervielfacht und sind unübersichtlicher und verstreuter geworden. Das Buch „Medienidentitäten“ bietet durch eine gelungene Zusammenfassung zugleich auch fortgeschrittenen Interessenten einen aufschlussreichen Einblick in die Identitätsdiskussionen der letzten Jahre.