In diesen Tagen ist bei der Columbia University Press die Neuauflage des Standardwerks über TV-Debatten im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs erschienen – Presidential Debates: Fifty Years of High-Risk TV. 2008 wurde erstmals auch das Internet zur Organisation der Diskussionen genutzt – Experimente im Web bedeuten aber noch nicht das Ende der Fernsehdebatten.

Alan Schroeder, Associate Professor an der School of Journalism der Northeastern University in Boston, skizziert in seinem Buch die Geschichte der hierzulande fälscherweise als “TV-Duelle” bekannten Wahlkampf-Gesprächsrunden. Begonnen bei der Great Debate von 1960 zwischen Kennedy und Nixon arbeitet sich Schroeder bis zu den eher mauen Konfrontationen von George W. Bush mit John Kerry durch.

Das ist unterhaltsam zu lesen und zugleich lehrreich: Schroeder zerlegt den Debattenprozess in Vorlauf (pre-debate), Durchführung (debate) und Nachbereitung (post-debate) und erhält so drei analytisch voneinander getrennte Untersuchungseinheiten. Auffällig aus der deutschen Perspektive ist dabei die Bedeutung der Commission on Presidential Debates, die als Clearing-Stelle zwischen den Teilnehmer/innen fungiert und für die logistische Organisation der medialen Mega-Events ebenso zuständig ist wie für die Gestaltung der Regeln (wohingegen in Deutschland die Abläufe der “Kanzlerduelle” bislang in Hinterzimmerrunden zwischen Politik und Medienanstalten ausbaldowert wurden).

Fernsehen trifft Internet

Der Debattenjahrgang 2008 hat bereits jetzt – gut zwei Monate vor dem ersten Aufeinandertreffen im September – an Dynamik gewonnen. Dafür sorgte zunächst die immense Zahl der primary-Debatten, die demokratische wie republikanische presidential hopefuls beinahe im Wochentakt zu absolvieren hatten (vgl. die ausführlichen Wikipedia-Zusammenstellungen: Demokraten // Republikaner).

Weitere Impulse gingen dabei von den mixed-media-Debatten aus – erstmals wurde 2008 auch das Internet als Trägermedium zur Organisation von Debatten genutzt, bisher waren vor allem zwei experimentelle Formate unter Einbindung des Internet zu beachten.

1. Die CNN/YouTube-Debates als Kombination von user-generated content (Fragestellung via YouTube-Clip) und professioneller Redaktionsarbeit (Auswahl durch TV-Redaktion, Moderation der „eigentlichen“ Debatte)

und

2. das Yahoo/Huffington Post-Mashup als vorproduziertes Fernsehformat mit einzelnen Interviewschnipseln, die von den Zuschauern eigenständig kombiniert werden können.

Einen Schritt weiter geht das Angebot 10questions.com, das die Debatte im November und Dezember 2007 vollständig in den digitalen Kommunikationsraum verlegt hatte. Organisiert wurde das Projekt federführend von der Info-Website techpresident.com. Zunächst konnten Nutzer in zwei Runden Videoclips mit Fragen an die Kandidaten einstellen, die danach von den Onlinern bewertet und so in eine Reihenfolge gebracht wurden. Die zehn am besten bewerteten Fragen wurden schließlich an die Kandidaten weiter geleitet, die innerhalb einer festgelegten Frist antworten konnten – die Kampagnen-Teams produzierten dann ihrerseits kurze Videoclips, die über 10questions.com bereit gestellt wurden (weitere Überlegungen zur Ausgestaltung von Online-Debatten finden sich hier).

Vorgeplänkel der Präsidentschaftskandidaten

Diese Experimente bedeuten jedoch noch längst keine Abkehr von den Fernsehdebatten, doch immerhin hat die Commission on Presidential Debates die Zeichen erkannt: bei der für den Herbst geplanten Townhall-Debatte zwischen Barack Obama und John McCain sollen auch Fragen von Internet-Nutzern zugelassen werden.

Wohlgemerkt: sollen. Denn genau an dieser Stelle setzt Alan Schroeder mit einem längeren Blogposting an, in dem er das Vorgeplänkel der Kampagnenteams von Obama und McCain um den Nationalfeiertag betrachtet. Zunächst hatte McCain Obama zu einer Serie von nicht weniger als zehn “Sommerdebatten” aufgefordert, dieser hatte in der komfortableren Position des aktuellen Umfrage-frontrunner lediglich eine Debatte vorgeschlagen: am symbolträchtigen 4. Juli. McCain wiederum ließ sich darauf nicht ein, dazu Schroeder:

McCain’s high command dismissed the July 4th idea as a “joke,” claiming that few Americans would be watching TV that night. Thus the debate fell apart before it ever advanced beyond the talking stage.

Mit Verweis auf den bisherigen Verlauf der Vorwahlen schätzt der Debatten-Historiker diese Entscheidung zwar als möglichen Fehler ein, deutet das Geplänkel vor allem jedoch als Muster für die erst noch ausstehenden Verhandlungen um die wahre Gestalt der vier Fall Debates im September und Oktober:

Beyond a general agreement to debate, the candidates themselves have not yet weighed in on the commission’s proposal. Historically the opposing campaigns wait until after their party conventions to sit down and hammer out a detailed memorandum of agreement that governs debate participation. As experience shows, these plans may or may not align with the carefully thought-out recommendations of the CPD. The proposed dates and places are likely to stand, because it is nearly impossible to reschedule an event as complicated as a presidential debate without ample notice. But it is reasonable to expect tinkering by the campaigns in the areas of program structure and production details.

Das Fernsehen wird sich wehren müssen

Und genau an dieser Stelle kann sich die Zukunft des “Hochrisikofernsehens” entscheiden, ganz gleich, ob die Debates dieses schillernde Etikett je verdient hatten. Gelingt es nämlich nicht, eine angemessene, offenere Form als die klassische “Katheter-Debatte” zu finden, könnte angesichts der aufkommenden Konkurrenz aus Mixed-Media-Debatten oder gleich vollständig online organisierten Settings der 2008er Wahlkampf eine Zäsur darstellen. Im Kampf um die Aufmerksamkeit der Wähler wird sich das Fernsehen gegen die audiovisuellen Mode-Formate von YouTube & Co. wehren müssen. Unterkühlte, choreografierte und um potenzielle Risikofaktoren schon im Vorfeld bereinigte Gesprächsübungen vor der Fernsehkamera sind dafür vermutlich nicht die richtige Wahl.

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