Die SPEX-Autoren Tom Holert und Mark Terkessidis dokumentieren in ihrem neuen Buch „Entsichert“ die Mobilmachung des „Kriegsshowbusiness“ seit Vietnam.
„Entsichert“, das ist der Zustand kurz vor dem Abdrücken der Waffe, der Moment der Spannung im Kino, das kontrollierte Innehalten vor dem finalen Todesschuss. „Entsichert“ ist auch der Titel der im vorjährigen November erschienen Kriegsanalyse von Tom Holert und Mark Terkessidis. Die zwei Kulturtheoretiker der Popgeschichte haben ihre Schreibtische verlassen, um die jüngsten Kriegsschauplätze wie Pristina, Belgrad, Tetovo, Ho-Chi-Minh-Stadt oder Manhattan aufzusuchen. Die Autoren zeigen in ihrem Buch eingängig, dass eine globale Mobilmachung in Sachen Krieg über Sprache und Medien schon längst erfolgt ist: der Tarnlook bis zum Camouflageunterhöschen ist in Mode und der Fitnesstrend propagiert durchtrainierte Körper à la Riefenstahl. Die Konsumware „Krieg“ durchzieht das Alltagsleben. Jeder einzelne läuft Gefahr, so Holert und Terkessidis, zum Einzelkämpfer im Neoliberalismus zu mutieren.
Unsere Wirtschaftsform sei, so eine der Grundthesen, schleichend aber spürbar zu einer „Praxis und Ideologie des Krieges“ entwachsen. Und die Angst würde weiter geschürt. Das Vorgehen gegen „Schurkenstaaten“ für eine „globale Sicherheit“ gehöre zum Grundvokabular der Abendnachrichten.
Kriegsspektakel und Spektakelkrieg
Die Autoren decken auf, wie Hollywoodkino, Videospiele und die Bildmaschinerie der Nachrichten auf die Menschen wirken. Wie kommen Sprachschöpfungen wie „Killerviren“, „Scheidungskampf“ und „Guerillamarketing“ zu Stande? Laut Holert und Terkessidis befinden wir uns in einem „massenkulturellen Krieg“. Die „Massenkultur“ des Westens sei von der Kultur des Krieges durchdrungen; an den aktuellen Kriegsschauplätzen, außerhalb unserer behüteten Sicherheitszonen, bestimme dagegen der Krieg die Kultur der Massen. Zur Beweislage ihrer Thesen haben sich Holert und Terkessidis auch auf dem Rummelplatz der Actionfilmgeschichte umgeschaut. Wie ein Barometer der politischen Stimmungslage funktionieren die Ballerstreifen von „Rambo“ bis „Universal Soldier“, die Exportschlager der amerikanischen Filmindustrie erreichen ihr Publikum von der Ersten bis zur Dritten Welt.
Die Unterscheidungsmoral des Actionkinos funktioniert als Corporate Identity der amerikanischen Politik. Diese Kausalität zeigen die Autoren am Sinnspiel von „Star Wars“ – Reagan’s Raketenabwehr im Weltraum ist gleichlautend mit George Lucas’ SF-Kultfilmen. Hollywood, behaupten die Autoren des Buches, legitimiere den Konsumenten zu einer Identifikation innerhalb des Freund-Feind-Schemas.
Der erste Living-Room War
Die Initiation der fetischisierenden Kinomaschinerie aus Bild-Erinnerung-Trauma liegt für Holert und Terkessidis in Vietnam. Das Schlachten wurde zum Hauptthema einer nationalen Gefühlsrotation, die sich mit der Produktion von Filmklassikern wie „Apokalypse Now“ oder „Full Metal Jacket“ bis zu „Black Hawk Down“ selbst nährt. Die Massenkonsumware Krieg wurde zum Bestseller durch die Einbindung der Gegenkultur, einer Melange aus Hippiekiffern und Surf´n Roll. Vietnam ist auch der Motor, der Reagan kurz nach Amtsantritt vor Gründern einer Veteranen-Stiftung zu der im Buch zitierten Aussage veranlasste: „Das Schlimme an Vietnam war, dass wir euch nie erlaubt haben, den Krieg zu kämpfen, den ihr hättet kämpfen können. Und damit haben wir euch den Sieg verweigert, den all unsere anderen Veteranen genießen durften. Das wird nie wieder passieren…“.
Wie die Autoren in fünf Kapiteln erklären, sind es vor allem Männer, die die Sehnsucht nach Action und Ausnahmezustand treibt. Sie sind die testosterongeplagten Headhunter und „Lifestylerekruten“ – sie stellen die Amokschützen in den Schulen von Erfurt und Littleton.
Das letzte Kapitel widmet sich mit dem 11. September der „Kriegsarchitektur des Westens“ und „dem Vitalismus der Kampfzone“. Kriegerische Zustände beherrschten die Börsianer an der Wall Street und Ground Zero ist die tiefe Narbe: „Das Bedürfnis nach Sicherheit verwandelt die Stadt immer weiter in eine Kampfzone, während die „warzone“ zum Ort körperlicher Erfahrung in der Massenkultur avanciert“.
Sich weigern, mobilisiert zu werden
Der Vormarsch des American Way of Life in die islamische Welt scheint beschlossene Sache zu sein. George Bush am 21. November 2001: „Afghanistan ist erst der Anfang im Krieg gegen den Terror. Es gibt andere Terroristen, die Amerika und unsere Freunde bedrohen und andere Nationen als willige Sponsoren. Wir werden diese Übeltäter über die Jahre auf der ganzen Welt bekämpfen“. Der Lektüre von „Entsichert“ verleihen die aktuellen Ereignisse eine unheimliche Brisanz: was geschieht, wenn Rambo nach erfolgreichen operativen Maßnahmen und humanitären Aktionen in der Golfregion wieder nach Hause kommt?
The winner takes it all: Holert und Terkessidis demontieren in akribischer Recherche die inflationär eingesetzte Mär vom Siegertypen. Wie simpel und gefährlich kriegstreiberische Rhetorik arbeitet und wohin die Identifikation mit einer hochtechnisierten Tötungsindustrie führt, mündet nach den gut lesbaren 257 Seiten in ein Statement gegen die Vereinnahmung durch das Kriegsshowbusiness „…sich zu weigern, mobilisiert zu werden.“
Kulturpessimistische Verneinung und Verweigerung anstelle von machbarer Politik? Mit der Schuldzuweisung an die Massenmedien machen es sich die Autoren zu einfach. Ihr Bild des Nachrichtenkonsumenten ist zu schablonenhaft und negativ gefärbt. Dass Bilder lügen, dass Kriege herbeigelogen werden und mit immer neuen Wortschöpfungen für den Zuschauer erträglich gemacht werden, ist nicht neu.
Erschienen am 06.3.2003
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