„Wenn sie mir bitte ihr Geburtsdatum nennen könnten, aus Sicherheitsgründen,“ bittet die freundliche Dame vom Bertelsmann-Verlag, „bitte haben sie Verständnis.“ Natürlich hat man Verständnis, schließlich ist niemand geringeres als der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zur Buchpräsentation eingeladen, da hat Sicherheit Priorität.
Das Buch, das Schäuble in einem Streitgespräch bewirbt, heißt „Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft“, geschrieben vom Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar. Er beschreibt darin mögliche Gefahren unkontrollierter Datenerhebung und Überwachung durch Staat und Privatwirtschaft für die Gesellschaft.
Schlagabtausch zwischen Schaar und Schäuble
Ein Streitgespräch zwischen dem obersten Datenschützer und dem obersten Datensammler: Das verspricht spannend zu werden. Zunächst beginnt der Schlagabtausch mit Abtasten. Schäuble erklärt, das Buch sei lesenswert, man solle es kaufen. Überhaupt seien die Positionen gar nicht so unterschiedlich – nur das mit der Überwachungsgesellschaft und ein paar Schlussfolgerungen könne er nicht teilen. Tatsächlich stellt sich schnell heraus: Hier ringt die digitale Welt mit der analogen, der Badener aus dem Schwarzwalddorf mit dem großstädtischen Berliner Schaar.
Schäubles Credo: „Der Staat darf sich nicht künstlich blind machen.“ Zunächst mal solle er alle Daten speichern, dann müsse man den Zugriff regeln. Selbstverständlich nur im Einzelfall und unter Richtervorbehalt. Schaar erklärt, warum gerade dies ein Problem darstellt und plädiert für ein System der Datenvermeidung. Das ungehemmte Nutzen moderner Überwachungstechnik führe zwar nicht zu einem orwellschen Überwachungsstaat, jedoch zu einer sich selbst überwachenden Gesellschaft, eben der Überwachungsgesellschaft. Auf diese Gefahren wolle er aufmerksam machen.
Die Vorratsdatenspeicherung etwa, so Schaar, stelle die Unschuldsvermutung auf den Kopf. Wer die Telefondaten seiner Bürger sechs Monate speichere, halte diese nicht für unschuldig. Schäuble kontert: „Sind sie auch gegen Autokennzeichen? Die haben wir doch auch nur um bei einem Schaden sagen zu können: Du warst es!“ Den Hinweis, bei den KFZ-Kennzeichen würden keine Bewegungsprotokolle erstellt und nichts zentral gespeichert, quittiert Schäuble mit einem „Aber ich seh’ Sie doch um die Ecke fahren!“ So geht es in einem fort.
"Schmeißen Sie Ihre Handys weg!"
Schaar zählt Beispiele auf, die illustrieren sollen, wo überall Daten entstehen, wie diese ohne Wissen der Bürger genutzt werden können. Ein Problem sei etwa das Anlegen von Nutzerprofilen beim Online-Handel – oder die Möglichkeit, mittels Handyortung Bewegungsprofile zu erstellen. „Schmeißen sie Ihre Handys weg!“ ruft daraufhin Schäuble in den Saal.
Er erklärt, er könne nichts schlimmes daran erkenne, wenn Online-Händler Daten sammeln. Sein Buchhändler habe ihm früher schließlich auch Buchempfehlungen gegeben. Auf eine Frage aus dem Publikum, ob der Staat denn tatsächlich wissen müsse, welche Texte die Bürger im Internet lesen, reagiert Schäuble ungläubig. „Ist das so?“ Er lese ja sowieso noch Zeitung und die jungen Leute würden das halt im Netz tun, da gebe es nun mal Risiken.
Wolfgang Schäubles argumentiert damit, dass den Menschen ihre Privatsphäre anscheinend nicht so wichtig sei: „Die Leute quatschen ja auch im Zug ins Handy.“ Für ihn reiche es aus, nicht das Datensammeln Restriktionen zu unterwerfen, sondern höchstens die spätere Nutzung dieser Daten. Schaar bennent in seinem Buch Einwände gegen dieses Vorgehen: ein möglicher Missbrauch von Daten oder die nachträgliche Ausweitung der Nutzung, wie zum Beispiel bei den Mautdaten, sprächen dagegen. Er wirft die Frage auf, warum denn persönliche Daten gesammelt werden müssen, um möglicherweise in der Zukunft verdächtige Personen auch noch im Nachhinein überprüfen zu können. Schäuble wischt dies mit dem Hinweis auf die Wehrhaftigkeit des Staates vom Tisch.
Datensammler sitzen in Politik und Wirtschaft
Wahrscheinlich versteht die Mehrheit der bundesdeutschen Gesellschaft nicht so richtig, wie das mit der Vorratsdatenspeicherung jetzt genau funktioniert, was nochmal ein Bundestrojaner ist und welche Folgen dies alles für unsere liberale Demokratie haben kann. Für diese Menschen hat Peter Schaar sein Buch geschrieben.
Es enthält zwar insgesamt nur wenig neues, fasst aber klug die bisherige Diskussion zusammen. Denn das größte Problem der Datenschützer ist nicht die einzelne Überwachungsmaßnahme, der man sich zur Not entziehen könnte, sondern die Summe aller Übergriffe auf die Privatsphäre. Schaar will mit seinem Buch „die Komplexität dieses Themas transparent machen.“ Dazu gibt er einen weiten Überblick über die neuen Technologien, die Überwachung immer einfacher machen. Er erklärt warum und wo wir überall Datenspuren hinterlassen und wie diese vom Staat oder der Wirtschaft genutzt werden können.
Dabei sieht Schaar in der modernen staatlichen Sicherheitspolitik einen Hauptgegner der Privatsphäre und Antreiber der Überwachungsgesellschaft. Sicherheitspolitik, so Schaar, definiere sich immer deutlicher über Überwachung. Und zwar präventiv und auf Vorrat. Als Beleg für seine These führt er Beispiele für bisherige Eingriffe in die Privatsphäre an: den Lauschangriff, den Verlust des Fernmeldegeheimnisses, Online-Durchsuchung, Anti-Terror-Gesetze und ein Zusammenrücken von Polizei und Geheimdienst. Auch die Sammlungen von Daten über Arbeitslosengeld II-Empfänger lässt Schaar nicht aus. Er zeichnet so das Bild eines Staates, der wie in einem Automatismus alle neuen technischen Möglichkeiten sofort auf ihre Überwachungsfähigkeit überprüft und dann zur Überwachung seiner Bürger einsetzt.
Dennoch ist Schaar nicht so unklug, einfach alarmistisch „Big Brother is watching you!“ zu rufen und den Bürger vor „dem Staat da oben", „dem System" zu warnen. Er stellt zudem die Gefahr heraus, die Daten als Wirtschaftsfaktor darstellen: Hier werden Kundenprofile erstellt oder Scoringwerte erhoben, auf die man keinerlei Einfluss hat, die aber darüber bestimmen, ob man ein Bankkonto einrichten oder eine Wohnung mieten kann.
Der Bürger ist am Verlust der Privatsphäre mitschuldig
Auch macht Peter Schaar deutlich, dass viele Menschen mit ihrer Bereitschaft, auch noch die intimsten Informationen Preis zugeben, eine erhebliche Mitschuld am Verlust ihrer Privatsphäre tragen. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft sei ein aus Bequemlichkeit und falsch verstandenem Sicherheitsbedürfnis selbst gewählter.
Obwohl der Titel den Eindruck erweckt, das Kind sei schon in den Brunnen gefallen, der Bürger seiner Privatsphäre bereits verlustig gegangen, gibt Schaar eine ganze Reihe von Beispielen, wie diese doch noch zu retten sei. Er denkt vor allem an Techniken zur Datenvermeidung und ein modernes Datenschutzrecht. Hier wäre vor allem der Datenschutzbeauftragte selbst gefragt – und angesichts der ganzen genannten Beispiele taucht die Frage auf, was der Datenschutzbeauftragte so den ganzen Tag gemacht hat.
Insgesamt ist „Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft" ein gelungenes und wichtiges Buch, das Argumentationshilfen bietet gegen den vielzitierten Satz: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“