Wenn ein Band zur Wissensgesellschaft mit einem Zitat von Tony Blair eröffnet, dann ist zu erwarten, dass es um Grundsätzliches geht, um das große Ganze mehr als um den operativen Kleinkram. Um einen effizienter Staat, der trotzdem alle Wünsche erfüllt und dem Bürger dient statt über ihn zu herrschen. Der Vertrauen aufbaut und seine eigene Rolle im Informationszeitalter neu definiert.
Die „Internet Business Solutions Group“ von Cisco Systems hat einen „Standpunkt” zur Frage vorgelegt, wie diese Neudefinition konkret aussehen könnte. Es geht um ein ernstzunehmendes Ziel: Wie gelingt es, ein so komplexes System wie eine „Gesellschaft“ auf eine Art und Weise zu managen, dass diese Gesellschaft ihr administratives Zentrum preis gibt und sich zu einem Schwarm dezentraler Kompetenz wandelt? Gibt es Regeln dafür, wie ein Staat sich selbst in seine Einzelteile zerfallen lassen und dennoch voll funktionsfähig bleiben kann? Weiter noch: Ist es nicht denkbar, dass gerade die Zersplitterung und Dezentralität eine effizientere und effektivere Erfüllung staatlicher Aufgaben und einen höheren Grad gesellschaftlichen „Funktionierens“ erlaubt? Und sind es nicht die modernen Kommunikationstechnologien, die diese höhere Reife staatlichen Seins erst ermöglichen, da sie wirksame dezentrale Kommunikation und Information ermöglichen? Falls dem so sein sollte: Wie „baut“ man ein solches System?
Die titelgebende „Connected Republic“ als Zielvorstellung der Cisco-Vision kann man sich als eine Art Verbund mündiger, informierter, medienkompetenter und partizipationswilliger Institutionen (vom Bürger bis zum Behördenapparat) vorstellen, deren Ansinnen es ist, ihre Welt zu einem besseren Ort zu machen. An anderer Stelle hätte man das eine „Bürgergesellschaft“ genannt, aber der starke Fokus, den das Papier auf die durch technischen Fortschritt hinzugewonnenen Möglichkeiten technischer Interaktion legt, rechtfertigt wohl die Neubenennung. Die Rolle des Staates in dieser „Connected Republic“ wandelt sich vom Alles-Erlediger zum (Infra-)Struktur-Bereitsteller. Dies spiegelt sich in den „zentralen Werten“ der „Connected Republic“, nämlich: (1) Kundenorientierung, (2) Vernetzung, (3) Befähigung zu selbstverantwortlichem Handeln und (4) Schaffung von öffentlichem Nutzen.
Die Rolle des Staates wird dabei naturgemäß zurück genommen: Nutzen soll er vor allem generieren, indem er Netzwerke erstellt, unterstützt oder steuert. Hierzu muss er nicht unbedingt eigene Leistungen erstellen. Auch seine Organisationsform soll sich den Vernetzungsmöglichkeiten anpassen: Die Behörde selbst als Netzwerk, „der“ Staat als flexibel zweckgetrieben interagierendes System von „Networked Virtual Organizations“.
Das Konzept der „Connected Republic“ ist ein intelligentes und durchaus visionäres. Zwar ist das 100-Seiten-Heft nicht die erste Gelegenheit, bei der über derartige Vernetzungsformen nachgedacht wird. Da wir von einer solchen vernetzt operierenden Gesellschaft noch sehr weit entfernt sind, ist das Weiterdenken aber zu begrüßen. Wenn zu Beginn des Papiers die ambitionierte Vision vorgestellt wird („Menschen und Gemeinschaften [werden] in den Mittelpunkt von reaktionsfähigen Netzwerken“ gestellt), dann kann dem Leser gar ein wenig flau werden ob der Größe dieser Vision, die ja nichts weniger als die komplette Ablösung unseres tradierten Zentralitätsgedankens in sich trägt.
Aber genau in diesem (zweiten) Kapitel hat das Papier seine Stärke: Das Auflösen der Versäulung staatlicher Organisiertheit wird tapfer konzipiert. Die Autoren trauen sich in den Dschungel staatlicher Organisiertheit hinein und benennen so deutlich, wie es eben heute geht, was es bedeutet, aus einer „Behörde“ eine virtuelle vernetzte Einheit zu machen. Sie bemühen sich auch, den Nutzen darzustellen, den eine Gesellschaft von dieser Machtverschiebung hin zum Bürger haben kann. Neben den zwangsläufig auftauchenden „Mehrwert“- und „Effizienz“-Begriffen wird durchaus vermerkt, dass es einer Demokratie auf ganz anderer Ebene gut tut, wenn die Bürger einen Teil ihrer Autorität zurückerstattet bekommen.
Das kann in einer so knappen Darstellung natürlich nicht zu Ende gedacht werden. Muss es auch nicht, denn es ergeben sich gerade an den offenen Enden interessante Bezugspunkte zu anderen, älteren Fragen der Informationsgesellschaft, die es als nächstes erst einmal auszuformulieren gälte. Zum Beispiel, wo die Mitglieder dieser vernetzten Gesellschaft eigentlich die Befähigung zur meisterhaften Navigation im Informations- und Kommunikationsdschungel erhalten sollen? Und wenn es eine Gruppe gibt, die auf der Klaviatur der virtuellen Vernetzung Virtuosität entwickelt: welche Bedeutung hat das für den zurückbleibenden Rest?
Buchbesprechung Connected Republic – Teil II weiter hier…
Dr. Thomas Hart ist Projektleiter bei der Bertelsmann Stiftung