(20. Juli 2006) Ein neues Handbuch zum Thema Online-Campaigning richtet sich an die Praktiker im Kampagnengewerbe. Eher an der Theorie interessierte Leser werden von dem Band nur begrenzten Nutzen haben.
Die Herausgeber des Sammelbandes „Wahlkampf im Internet“ haben für ihr Buch einen umfassenden Anspruch formuliert. Wissenschaftlich fundiert will man einen umfassenden, praxisorientierten Überblick zum Stand des Online-Wahlkampfs in Deutschland liefern. Herausgekommen ist eine Beschreibung des Ist-Zustandes im amerikanischen und deutschen Wahlkampf. Dabei haben sich die Herausgeber, Studierende der TU Ilmenau, auf die Präsidentschaftswahl 2004 bzw. die Bundestagswahlen 2002 und 2005 konzentriert.
Wahlkampf im Netz – was bringt’s?
Der schmale Band unterteilt sich in insgesamt fünf Abschnitte. Ausführungen zum strategischen Online-Wahlkampf referieren aktuelle Zahlen zur Internetnutzung in Deutschland, zur Nutzung von politischen Homepages sowie den daraus abgeleiteten potenziellen Zielgruppen im WWW-Wahlkampf. Wirklich neu sind diese Ergebnisse allerdings nicht: Die Nutzer politischer Homepages bilden nur einen kleinen Teil der Internetnutzer, sind meistens sehr technikaffin, formal höher gebildet, männlich und jung. Politikerhomepages werden meist nur von Unterstützern der eigenen Partei oder Journalisten zur Informationsbeschaffung besucht. Zudem sei es nahezu unmöglich, über das Netz Nichtwähler oder Unterstützer des politischen Gegners zu erreichen.
Aber selbstverständlich ist eine eigene Seite im Wahlkampf als Kommunikationszentrum der Kampagne, Archiv und kostengünstige Plattform unverzichtbar. Interaktive Elemente – wenn sie denn konsequent eingesetzt werden – regen zur Mitarbeit an. Und vor allem im amerikanischen Wahlkampf werden die Seiten erfolgreich zur Spendenwerbung genutzt.
Von Usertracking bis Podcast
Das folgende Kapitel fragt nach der jeweils richtigen Organisation einer Kampagne. Howard Deans Online-Community hat gezeigt, dass die traditionelle Top-down-Strategie nicht immer richtig sein muss. Andererseits hat die seine Kampagne auch deutlich die Grenzen der netzbasierten Kommunikation offenbart – schließlich übersteigt auch in den USA die Zahl der politisch interessierten „Off-Liner“ die der Netzaktivisten deutlich. Dean schien zwar bis zu den Primarieszumindest medial deutlich vorn zu liegen, aber letztlich mangelte es an Geld für traditionelle Werbung, während seine offene Community zunehmend zerfaserte.
Abschnitt drei kommt als lesenswertes, weil verständliches technisches Handbuch daher. Wer wissen will, was Newsfeeds von Newslettern unterscheidet oder wie Chats funktionieren, wird den Abschnitt mit Gewinn lesen. Der Band zeigt hier deutlich seinen Lehrbuchcharakter – klar gegliedert, verständlich geschrieben.
Konkrete Fallbeispiele sollen die theoretische Darstellung abrunden, was allerdings nur zum Teil gelingt. Sehr knapp, manchmal an der Grenze zur Oberflächlichkeit schrammend, werden Aspekte konkreter Kampagnen nachgezeichnet. Von Howard Deans Kampagnenblog, über das erste Online-Spendenformular der Grünen bis zu negative-campaigning-sites von George W. Bush gegen seinen Herausforderer John Kerry wird ein breites Spektrum (leider nur) beschrieben.
Fragen aus der Praxis, ein umfassendes Glossar sowie zahlreiche Literaturhinweise schließen den Band ab. Stellenweise werden – nicht immer gelungen – Interviews und Stellungsnahmen amerikanischer Wahlkampfmanager eingestreut, deren Aussagewert stark schwankt. Für den deutschen Wahlkampf fehlen diese Kommentare leider gänzlich.
Wem nutzt dieses Buch?
Wer auf der Suche nach theoretischer Erkenntnis zum Thema Online-Wahlkampf ist, wird von dem Band wahrscheinlich enttäuscht sein. Auch wenn sich die Kurzfassung einer mehrjährigen Studie zu den Möglichkeiten der politischen Mobilisierung durch das Internet durchaus mit Gewinn liest, bleiben die Autoren doch zumindest ein Kapitel zu Möglichkeiten, Grenzen und Forschungsstand in Sachen Internet-Wahlkampf schuldig.
Wirklich profitieren könnten Kandidaten und/oder Kampagnenmanager, die vor einem Wahlkampf stehen und wenig bis keine Ahnung von Online-Wahlkampf haben. Für diese Zielgruppe ist das „How-To“-Lehrbuch ein echter Gewinn: nämlich ein umfassendes Lexikon mit aktuellen Beispielen und wissenschaftlichem Bezug ohne zu theoretisch zu werden.
Drei Kritikpunkte seien an dieser Stelle angemerkt. Die Homepage zum Buch bietet wenig mehr als das digitalisierte Inhaltsverzeichnis. Einzelheiten zu den Autoren und Herausgebern finden sich nur auf der Homepage, nicht jedoch in der Printausgabe. Bei den Fallbeispielen beschränkt man sich darauf, Aspekte der einzelnen Kampagnen lediglich zu benennen, nicht jedoch in einen Zusammenhang zu stellen oder gar zu bewerten. Gelegentlich schleicht sich sogar der Eindruck ein, dass die betreffenden Portale lediglich besucht wurden, um per Liste abzuarbeiten, welche Features genutzt wurden. Insofern kann „Wahlkampf im Internet“ leider nur begrenzt empfohlen werden.
Homepage zum Buch: www.wahlkampf-im-internet.de
Anmerkung (25.07.2006): Fünf Kapitel des Buchs sind online abrufbar.