Stefan Wirner hat sich die Reden der beiden Kontrahenten angeschaut und entlarvt auf provokante Weise Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
Schröder oder Stoiber – oder Schröderstoiber? Der Kampf der beiden großen Parteien um die Wählerstimmen in der “Mitte” lässt viele Bürger enttäuscht über die Austauschbarkeit und rhetorische Beliebigkeit der Parteien klagen. Wenn Schröder der “Genosse der Bosse” ist und Stoiber gleichzeitig den perfekten Sozialdemokraten verkörpert – wieso soll man sich dann überhaupt noch zwischen verschiedenen Parteien entscheiden?
Der Berliner Autor Stefan Wirner zeigt in seinem Buch “Schröderstoiber” (Verbrecher Verlag), was der Kanzler und sein Herausforderer wirklich meinen und hat dazu aus über 30 Einzelreden je eine Rede für Schröder und eine Rede für Stoiber montiert. Die Reden wurden so zwar nie gehalten, aber dennoch wurde jeder einzelne Satz von den beiden gesagt. Durch die Verdichtung der Aussagen der beiden Konkurrenten entsteht ein Bild des Kanzlers und des Kandidaten, das in seiner bestechenden Klarheit so nur selten zu sehen ist. Durch die Montage zeigen sich gerade die Unterschiede der beiden Politiker, die in der Beliebigkeit der “Mitte” sonst zu verschwinden drohen.
Zum Beispiel Europa: Hier findet Stoiber klare Worte: “Die EU ist kein Staat. Wir sind nicht die Vereinigten Staaten von Europa. Brüssel ist nicht unsere Hauptstadt.” Der Kanzler hält dagegen: “Wir brauchen nicht weniger, wir brauchen mehr Europa.”
Hier kann der Leser bereits stutzig werden: Wo ist denn nun die Mitte? Gibt es etwa eine “linke” und eine “rechte” Mitte? Wirner zeigt mit seiner Installation die Grenzen der politischen Mitte, die von beiden Parteien für sich beansprucht wird. Im Schatten des großen TV-Duells Schröder vs. Stoiber liest sich “Schröderstoiber”, das augenzwinkernd als ein “mögliches Manuskript” für das TV-Duell geschrieben wurde, wie ein heilsamer Ideologie-Schock. Denn Wirner möchte mit “Schröderstoiber” zeigen, welche Ideologie hinter dem politischen Jargon noch immer waltet.
Ausgangspunkt für das Projekt war der “Wunsch, etwas gegen Stoiber zu tun”, wie Wirner, Redakteur der linken Wochenzeitung Jungle World, im Interview mit politik-digital zugibt. Zwar ist Wirner ein Kritiker der rot-grünen Bundesregierung, aber angesichts des Herausforderers Stoiber sei es schwierig, die Regierung noch zu kritisieren, ohne damit womöglich Stoiber den Weg ins Kanzleramt zu bahnen. Wirner schafft die Quadratur des Kreises dennoch: Die Unterschiede der Kandidaten werden ebenso herausgestellt wie ihre Gemeinsamkeiten: nämlich ihre “Gebrauchsphilosophie” und die Angewohnheit, “dem Volk nach dem Mund zu reden”.
Und wen soll man nun am 22. September wählen? Wirner rät zum “kleineren Übel” (falls man denn eins entdecken könne). Vor allem aber geht es ihm um eins: “Wie es um die Demokratie in Deutschland bestellt ist, belegen (…) die Worte der Kontrahenten. Revisionismus, Nationalismus und Rassismus sind aus dem Programm von Schröderstoiber nicht wegzudenken. Unglücklicherweise ist momentan nur einer der beiden zu stoppen.”
Erschienen am 04. 04. 2002
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