Warum die Diskussion über den braunen Internet-Sumpf ziemlich morastig daherkommt.

 

Boris
Becker ist ja bekanntlich schon seit einiger Zeit drin und Gerhard
Schröder Dank der D21-Nachhilfestunden seit kurzem auch. Beide
engagieren sich derzeit entschieden gegen den neu entflammten
Rechtsextremismus, der zur Zeit ähnlich wie die Flächenbrände in
Montana die
nationale Nachrichtenlage dominiert. Das neue Dilemma, neben dem
üblichen konstatierten Gewaltanstieg der braunen Dumpfschläger, ist
deren
Internetkompetenz. Nach dem man sich in den Sommerlöchern Anfang der
90er noch darüber echauffierte, dass die Rechten einem den Traum
an eine saubere, authentische Rockmusik raubten, bremsen sie jetzt die
Euphorie um den neuen Internetboom und zeigen in Faustscher Manier
die Schattenseiten der neuen Vernetzungs- und
Kommunikationsmöglichkeiten.

Aber was kann man dagegen tun?

Während Udo Lindenberg bereits davon träumt die alten Weggefährten aus den 80er Jahren aus dem Vorruhestand zu holen, weil deren
Engagement nicht nur musikalisch ein wenig eingeschlafen ist, verteilt die PDS auf ihrer Homepage
Anti-Nazi-Banner
,
mit denen man seine
Solidarität gegen Rechts auch im Netz demonstrieren kann. Der Hype um
die Angst von Rechts durch Propaganda und Netzwerkaufbau im
Internet geht sogar so weit, dass Personen und Provider verdächtigt
werden, ein böses Spiel zu treiben, weil sie Adressen verkaufen oder
besitzen, die rechtsradikale Inhalte vermuten lassen. Blödsinnigerweise
ist auf den Seiten eines 28jährigen Soldaten, dem die Domain
"heil-hitler.de" gehört, nichts zu finden. Dass Rudolf Scharping jetzt
verstärkt gegen rechtsradikale Tendenzen in der Bundeswehr vorgehen
will,
hat damit natürlich überhaupt nichts zu tun und diese Vermutung muss
dann doch eher dem Sommerloch zugeschrieben werden.

Und
da zeigt sich die Redundanz aller Diskussionen, die momentan geführt
werden. Diesen Sommer ist einfach nichts los beziehungsweise noch
weniger als in den vergangenen. Keine Hinterbänkler, die sich mit
abstrusen Bekundungen zu alten Themen auf Platz drei der Tagesthemen
spielen, kein Diätbericht vom Wolfgangsee, sondern nur Unspektakuläres
aus Mallorca. Nach dem Steuer- und dem angedeuteten
Rentenkonsens kommt nun auch die große Koalition gegen Rechts, weil
irgendwie ja doch alle in der Mitte sind.
"Netz gegen Gewalt"

nennt sich
die mit heißer Nadel gestrickte Initiative der CDU gegen Rechts.
Ruprecht Polenz, Generalsekretär der CDU, hat aber geschickterweise
sofort
nach dem Launch der Site die anderen Bundestagsparteien aufgerufen,
sich an der Netzaktion zu beteiligen, 1:0 für die CDU, die aus der
Tiefe
des virtuellen Raums kommend, den braunen Sumpf trocken legen möchte.
Das Netz als Netz gegen das Netz von Rechts? Die Inhalte auf der
Site sind zwar gut gemeint, aber dennoch nicht wirklich aufklärend,
sondern mehr ein Sammelsurium bereits bestehender Initiativen und
Aktionen. Ein virtuelles Bündnis aller Parteien wäre wirklich mal was
Neues gewesen.

Nun
ist es ja grundsätzlich sehr lobenswert, wenn deutsche Politiker
endlich das Medium nutzen, um die rechten Propagandisten mit ihren
eigenen Waffen zu schlagen. Aber "es geht darum, die Rechtsradikalen zu
bekämpfen und nicht das Internet" meint Jörg Tauss, einer der
wenigen, die als Experten die Übersicht bewahren. Tauss nimmt auch die
Zentralstelle zur Vergabe von Internet-Adressen Denic gegen Vorwürfe
in Schutz, die Vergabe von Web-Adressen wie www.heil-hitler.de nicht
verhindert zu haben. Es sei nicht die Aufgabe von Denic, solche
Adressen
im Internet aufzuspüren, sondern die von Verfassungsschutz, Polizei und
Jugendschutz-Organisationen: "Ich erwarte von diesen Organisationen,
dass sie dieser Aufgabe auch nachkommen."

Ganz zurecht weist dagegen Stern-Kommentator Niklas Frank
auf manche demokratische Verfehlung der deutschen Politiker in den
letzten
Monaten hin, "die als Volksvertreter ohne Moral, die Fundamente unserer
Demokratie aushöhlten" und deren undemokratisches Verhalten nur
allzu gerne in der derzeitigen Diskussion ausgeblendet wird. Der Weg
ging von der Unterschriftenaktion über den Spendensumpf bis zu den
abgewandelten "Das Boot ist voll"-Parolen, die sich jetzt als "Kinder
statt Inder"-Plattitüden tarnen.

Die
Schuld am Eskalieren der Situation sucht man dann doch lieber im
Internet und natürlich auch im Sommerloch. Ist es so, dass wenn
Politiker selbst keine spannenden Meldungen mehr produzieren, man
selber eine machen muss? Das Paradoxe daran ist nur, die Journaille hat
das längst getan und das Sommerloch beziehungsweise das seltsame
Auftauchen eines Themas zum Thema erhoben. Aber was passiert, wenn
viele die Ernsthaftigkeit einer Diskussion anzweifeln, aber dennoch als
Teil des Systems mit dieser Diskussion ihr Geld verdienen? Sie
produzieren Nachrichten, die keine sind, aber sie werden zu Nachrichten
weil andere hinterher ziehen müssen und auf sie reagieren. Erst durch
diese Interaktion wird eine Meldung zur Meldung und ein Thema zum
Thema, die Diskussion als perpetuum mobile. Spannend ist es deswegen
zu beobachten, was aus all den jetzt angekündigten Aktionen – seien sie
analog oder digital – wird, wenn erst mal wieder auf die nächste
"Randgruppe" in der Bevölkerung eingedroschen wird. Ab September geht
es an das Thema Rentenreform …