War
der 3. Mai noch der "Tag IX" (FAZ), so war der 4. Mai der "Tag @": der
Tag des Internet – jenes geheimnisvollen, unergründlichen Raumes, der
stets für einen vorderen Platz in den prominenten Nachrichtensendungen
der alten Medien gut zu sein scheint.

Die
vor nicht allzulanger Zeit zumindest für Erstaunen sorgende
Feststellung, die Neuen (digitalen) Medien entfalteten ihre eigentliche
Wirkungskraft vor allem über die Alten (elektronischen) Medien, scheint
auf dem direkten Weg zur Binsenweisheit.
Gerade in den vergangenen Wochen mischte sich in das Feuerwerk aus @
(wie Generation) und e (wie Business) vermehrt auch der Buchstabe P
(wie Politik). So erlebten die großen Features, Dossiers und Serien in
den alten Medien ihre zweite, dritte oder vierte Wiedergeburt: alle
Jahre wieder stehen die Auswirkungen der Digitalisierung auf Bürger,
Politiker, Parteien – kurz: "das Wesen der Demokratie" – auf dem
Prüfstand.

Die
dafür stets benötigten äußeren Anlässe sind verschieden: so dienen
wahlweise der Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen (vgl.
Wahlkampfsites aller Couleur), die sich rasant ausbreitenden Versuche
digitaler Stimmabgabe (vgl. Internetwahlen von Betriebsräten,
Studierendenparlamenten oder Präsidentschaftskandidaten) oder auch die
Diskussion um die Einführung einer "Green Card" (vgl. Harald Schmidts
wortkarger, aber webfester Komparse "Mr. Singh", der die sympathischen
Analog-Asiaten "Li" und "Wang" ablöste) als Aufhänger für
Grundsatzartikel über das so "spannungsgeladene" Verhältnis von Politik
und Neuen Medien.

Der
Tenor: Alles wird sich ändern. Mal wieder. Substanziell Neues
vermitteln die Lageberichte von der digitalen Front freilich selten.
Nach den kaum noch zählbaren Toden (und Wiederauferstehungen) der
Internet-Ökonomie, dem Siegeszug (und Fall) des e-Business, dem
Erschrecken vor der digitalen Kluft (und der e-Elite) oder den
Warnmeldungen vor der Rückständigkeit des Standortes Deutschland
("D-Offline") erscheint es mehr als logisch, dass im Cyberspace auch
ein Plätzchen für die Politik reserviert ist.

Wirklich
interessant erscheint vielmehr, dass es noch immer solcher "analoger
Eselsbrücken" bedarf, die die Relevanz der Thematik auch für den
scheinbar so unspektakulären Bereich der Politik unterstreichen. Aber
bei näherem Hinsehen kann auch dies nicht überraschen. Denn auch beim
so populären e-Commerce sorgen erst künstliche Personen wie Robert
T-Online (inzwischen an der Börse), sein älterer Bruder Harald (kauft
seit kurzem via T-Online ein) und Boris Becker (ist dank AOL schon
lange drin) für das ersehnte Interesse und die nötige Furore. Vor allem
aber sollen diese Avatare den vielen Millionen, die noch nicht "drin"
sind, die Angst vor den Untiefen des Netzes nehmen. Denn das für viele
so schwer fassbare Netz ist trotz des medialen Dauerfeuers im letzten
Jahrfünft immer noch ein Ort des Unscharfen, Unheimlichen und
Gefährlichen.

Und
auch Politikerinnen und Politiker stellen sich dieser momentan
vielleicht wichtigsten Aufgabe mit wachsender Begeisterung: Ihr
Lieblingsmodus der Entzauberung ist im Augenblick der Chat, das
Online-Plauderstündchen mit Basis, Wählerschaft und Kritikern. Immer
seltener lassen sich die Inhalte solcher Meetings frei nach Zlatko als
"digitales Deppengeschwätz" charakterisieren, ein sachorientierter
Austausch ist zwar noch nicht die Regel – und doch unterscheiden sich
die Chat-Rooms wohltuend vom Phrasendreschen im Bierzelt.

Gestern
aber zeigte sich das Netz allerdings mal wieder von seiner bösen Seite
– und die Medien stürzten sich mit Genuss auf den
schlagzeilenträchtigen "Moloch" (siehe dazu auch den Kommentar von Florian Rötzer
in Telepolis). Der Virus mit dem schönen Namen "I Love You" machte sich
auf seinen Weg durch die die vernetzte Medienwelt: auf die
sachlich-warnenden E-Mails, die sich im Laufe des Vormittags ihren Weg
durch das Netz bahnten, folgten während des Nachmittags allmählich an
Panik zunehmende Meldungen in den alten Medien – von der Kurzmeldung in
den Vorabendnachrichten über den (unsäglichen) Kommentar im
"heute-journal", zum Aufmacher bei den "tagesthemen" und zur Top-Story
im RTL-Nachtjournal.

Die
Virus-Hysterie ist nur ein Beispiel für die mediale Berg-Tal-Fahrt des
Internet, die vor allem Unsicherheit und Unbehagen im Umgang mit den
zwei Seiten der neuen Kommunikationsmedaille verrät: Internet-Aktien
sind Goldesel und Groschengrab, die Computer-Kids sind Zauberlehrlinge
(T-Shirt-Millionäre) und Hexenmeister (Hacker), virtuelle Kunstfiguren
sind Heilsbringer (Robert T-Online) und Todesboten (Lara Croft). Und:
Ob der Liebesvirus tatsächlich größeren volkswirtschaftlichen Schaden
angerichtet hat als das digitale Dauerfeuer auf treudoofe Moorhühner
sollte als ad-hoc-Diplomthema an einschlägige Hochschulinstitute
weitergereicht werden.

Auch
und gerade Politiker begeben sich also auf dicht vermintes Gelände,
wenn sie sich zu Äußerungen über Wohl und Wehe der neuen Medien
hinreißen lassen. Denn anders als die Werbespot-Avatare Harald Schmidt
und Boris Becker können sie das Netz nicht auf
ironisch-selbstpersiflierende Art anpreisen – Politik ist schließlich
ein ernstes Geschäft.

Und
doch scheint gerade das Rühren der digitalen Werbetrommel derzeit eine
vordringliche Aufgabe für die politischen "Talking Heads" zu sein: so
musste sich Gerhard Schröder am Donnerstag Abend von
heute-journal-Moderator Alexander Niemetz die alberne Frage gefallen
lassen, "ob er seinen Laptop möge". Leicht pikiert gab der Kanzler zur
Antwort, dass er damit allenfalls begonnen habe, jedoch seine
"zahlreichen Lehrerinnen und Lehrer im Büro und auch zu Hause" ihm
schon den rechten Weg weisen würden.

Innenminister
Otto Schily sollte dagegen sachbezogen Stellung nehmen zum
Virus-Schadensfall und den daraus gegebenenfalls resultierenden
Sanktionen. Diese Aufgabe erledigte Schily in wohltuend
unaufgeregt-humorloser Weise – ganz anders etwa als noch vor wenigen
Wochen Familienministerin Christine Bergmann, die ob der haltlosen
Vorwürfe der Bild-Zeitung in der "Callboy-Link-Affäre" überreagierte
und so einigen digitalen Flurschaden anrichtete.

Die
gegenwärtige Großwetterlage in und um Digitalien legt die Vermutung
nahe, dass sich in der nächsten Zeit die Gelegenheiten häufen werden,
in der Politikerinnen und Politiker in ähnlicher Weise gefragt und
gefordert sind. Angesichts der Ambiguität der Neuen Medien scheint ein
nüchterner Umgang mit Hype und Hysterie angezeigt – denn die Rolle der
"großen Politik" für die Akzeptanz des Internet beim "kleinen Bürger"
ist in Zukunft weitaus höher einzuschätzen als die Annäherungsversuche
der Werbespot-Avatare oder die Enthüllungen altmedialer Ankermänner und
-frauen.