(22. Juni 2006) Der Titel verspricht viel und das Buch hält das Versprechen. “Die wunderbare Wissensvermehrung. Wie Open Innovation unsere Welt revolutioniert” ist ein Sammelband, in dem Fachleute aus ihrem Blickwinkel zeigen, welche Potenziale öffentliche Innovationsprozesse (Open Innovation), zu bieten haben.
Schnell wird klar, dass diese Potenziale eben nichts mit Wundern zu tun haben, sondern durch neue, offene Wege der Nutzung von Wissen und insbesondere durch eine freie Zusammenarbeit der Internetnutzer verwirklicht werden können.

Herausgegeben von den Mitarbeitern der Heinrich Böll Stiftung Olga Drossou und Andreas Poltermann und vom freien Autor Stefan Krempl, ist das Buch im April 2006 beim Heise Zeitschriften Verlag in der Reihe Telepolis erschienen. Ideen für das Buch lieferte die Konferenz Open Innovation – Auf der Suche nach neuen Leitbildern, welche die Heinrich-Böll-Stiftung mit der Technischen Universität Berlin und der Humbold Universtität 2004 in Berlin veranstaltete. Die über 20 Autoren sind prominente Spezialisten aus Universitäten, Unternehmen und Vereinen (Wikimedia, Linux-Verband u.a.), die die Überzeugungen teilen, dass Wissen gemeinschaftlich zu erzeugen und anzuwenden ist.

Open Innovation als Postulat für eine neue Innovationskultur

Das Buch vereint in seinen Beiträgen verschiedene Ansätze miteinander: Den Open Source- und Free Software-Gedanken mit Innovationstheorien und -praktiken. Die offene Verbreitung von Wissen wird als Voraussetzung von Innovation vorausgesetzt. Das Beispiel von Open Source ist so nicht nur eine innovative Methode zur Softwareerstellung, sondern auch eine allgemeine Kreationsmethode. Damit wird der in Großteilen von Wirtschaft und Politik vorherrschende Gedanke, von der Notwendigkeit der Verknappung von Wissen und Information, wie z.B. durch Patente, in Frage gestellt werden. Denn gerade die Ausweitung geistiger Eigentumsrechte droht die Potenziale der Neuen Medien enorm einzuschränken. Dieses Buch bezeichnet sich daher selbst als ein Plädoyer für die Innovationsfreiheit durch eine neue und offene Nutzung von Daten, Informationen und Wissen. Es ist in vier Teile gegliedert.
Aufbau
Der erste Abschnitt ist der Theorieteil. Die zwei eng miteinander verbundenen Konzepte Open Innovation und kontextorientierte Innovationsstrategie werden hier in je einem Beitrag von Professor Rainer Kuhlen und einem Autorenteam vorgestellt.
Abschnitt zwei kann als Technikteil bezeichnet werden. Die Berliner Wissenschaftler Wolfgang Coy und Barbara van Schewick zeigen anhand vieler Beispiele, dass das Internet nur dann weiter so viele und abwechslungsreiche Innovationen hervorbringen kann, wenn die bisherige offene Netzstruktur erhalten bleibt.
Der dritte Teil vereinigt fünf Beiträge, die die verschiedenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nennen, die für einen Erfolg verbraucherfreundlicher Innovationen notwendig sind. Eine der wichtigsten Bedingungen ist, dass die Kosten für die vielen möglichen Innovatoren – beispielsweise durch die Copyleft-Lizenz] – gering bleiben.
Der letzte Teil geht über die wirtschaftlichen Perspektiven hinaus und eröffnet den Blick auf die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen von Open Source Systemen und sozialer Software.
Offene oder geschlossene Innovationsprozesse
Ursprünglich kommt der Begriff Open Innovation aus der Betriebswirtschaftslehre. Henry Chesbrough von der University of Berkeley hat mit seinem 2003 erschienenen Buch Open Innovation. The New Imperative for Creating and Profiting from Technology einen Gegenentwurf zu der Praxis von abgeriegelten Forschungslabors und der strengsten Geheimhaltung von Erfindungen geschaffen. Er sieht die Notwendigkeit der Einbeziehung weiterer Akteure in den Innovationsprozess. Für die Autoren des Buches geht dies jedoch nicht weit genug, da Chesbrough die Abschwächung der geistigen Eigentumsrechte nicht für nötig hält. Auch sieht er noch keine aktive und kreative Rolle des Kunden im Innovationsprozess, wie das Frank Piller in seinem Beitrag tut. Der Gewerkschafter Ulrich Klotz sieht darin eine Demokratisierung von Innovationsprozessen und weist damit auf die politische Dimension von Open Innovation hin.
Die politische Dimension
Mit dem Konzept der Open Innovation wird auch die Hoffnung verbunden, wieder mehr Akteure ins politische Leben einzubeziehen. Dazu dienen Formate wie Weblogs oder Onlinewahlen, deren Wirkung aber bisher begrenzt war.
Vor der inflationären Verwendung des Begriffs Innovation in der deutschen Politik grenzen sich die Verfasser ab. Zugleich wollen sie die Richtung der Diskussion beeinflussen – hin zu einer neuen zukunftsträchtigen Innovationskultur, die auf einem offenen Umgang mit Wissen basiert. Es wird auch der Versuch gemacht, den Innovationsbegriff mit dem Konzept der Nachhaltigkeit zu verbinden. Gerade hier ist sicherlich noch viel Arbeit zu leisten.
Die Vielzahl der Themen und Begrifflichkeiten erschwert die Lektüre für den sachfremden Leser. Trotzdem eröffnet das Buch auch für Nichtexperten völlig neue Blinkwinkel auf das Internet und seine Innovationsfähigkeiten und -bedingungen. Zudem werden Experten in den Beiträgen unbekannte Argumente finden, die für eine neue Innovationsstrategie sprechen. Freilich kommen anderslautende Meinungen höchstens am Rande zu Wort. So ist es interessant, dass Michael Stolpe in seinem Beitrag „Alternativen zum weltweiten Patentschutz für pharmazeutische Innovationen“ versucht, das Konzept von Open Innovation auf die Pharmaindustrie anzuwenden. Denn gerade die Pharmaindustrie betont immer wieder die hohen Kosten für Forschung und Innovationen. Daraus und aus vielen anderen Ansätzen des Buches ergeben sich weitere interessante Diskussionen und Implikationen, die es sich auch weiterhin lohnt, zu verfolgen.