Am 31. Juli ist es wieder soweit. Der amerikanische
Präsidentschaftswahlkampf startet in seine heiße Phase. An jeweils vier Tagen feiert sich eine, in den
USA zunehmend an Bedeutung verlierende, politische Institution – die Partei.

Der zeitliche Vortritt bei den Nominierungsparteitagen gebührt der präsidentiellen out-party.
Im Jahr 2000 sind dies die Republikaner, die zwischen dem 31. Juli und dem 3. August in Philadelphia, der
Wiege der Republik, tagen. Amerikanische national conventions erfüllen mehrere Funktionen: zunächst
dienen sie der offiziellen Nominierung des Präsidentschafts- und des Vizepräsidentschaftskandidaten, für die
sie zugleich eine wichtige Wahlwerbefunktion übernehmen. Denn kaum ein anderes Ereignis im Wahlkampf ist
von so viel kostenloser Medienaufmerksamkeit begleitet. Auf den Parteitagen werden aber auch Programme,
sogenannte platforms, verabschiedet, die als locker geschnürtes Regierungspaket kaum konkrete
Handlungsvorgaben enthalten. Die Langzeitwirkung einzelner soundbites sollte dabei jedoch nicht
unterschätzt werden. So haftet den Republikanern seit der Convention 1992 das moral-konservative
family values-Motto auch heute noch an.

Mythos, Metamorphose, Medienspektakel

Die U.S.-Parteitage haben eine klare Struktur und einen rituellen Ablauf, der über ein Jahrhundert hinweg
annähernd gleich geblieben ist:

Logo der Republican Convention
Order of Business

Monday
Welcome Speeches; Keynote Address

Tuesday
Reports of Convention Committees; Adoption of Platform

Wednesday
Presidential Nominating Speeches; Ballotting
Selection of Presidential Candidate
Selection of Vice Presidential Candidate

Thursday
Acceptance Speeches by Vice Presidential and Presidential Candidate
Campaign rally with balloons and marching bands

Die Spannungskurve steigt mit jedem Tag und kulminiert in der programmatischen acceptance speech des
Präsidentschaftskandidaten, die zugleich der Startschuss für den Hauptwahlkampf ist. Die Akzeptanz der Rede in
der wahlberechtigten Bevölkerung ist ausschlaggebend für die Positionierung des Kandidaten. Ob der
post-convention boost statistisch groß oder eher gering ausfällt, kann über Sieg oder Niederlage am
Wahltag im November entscheiden. Weil jedes Detail und jeder Moment ausschlaggebend sein kann, werden
National Conventions minutiös geplant. Der Sinn des Ereignisses ist die politische Metamorphose des
Kandidaten zum zukünftigen Präsidenten. Jede Convention in ihrer Gesamtheit und jeder einzelne der vier
Tage wird unter ein Motto gestellt. Der Ort, an dem der Parteitag stattfindet, ist symbolstrategisch gewählt und
liegt entweder in einem an Wahlmännerstimmen reichen Einzelstaat oder er ist parteihistorisch bedeutend, wie
etwa die Wahl Philadelphias für die 37. Republican National Convention 2000.

Republican Renaissance?

Philadelphia ist nicht nur die Gründungsstadt der Vereinigten Staaten, weil dort vor 225 Jahren der
Kontinentalkongress tagte. Zudem hielten die Republikaner ihre historisch bedeutsame erste National Convention
1856 in Philadelphia ab und ebenfalls dort versammelten sich exakt vor 100 Jahren die Republicans um den
späteren Gewinner der Wahl, William McKinley, zu ihrem Präsidentschaftskandidaten zu küren. Auf diese
raum-zeitlichen Parallelen weist der Parteivorsitzende Jim Nicholson auf der Republikanischen Convention-Homepage
ausdrücklich hin (www.RNC.org/ConventionNews). Die
Entscheidung für eine Stadt als Parteitagsort fällt im jeweiligen Parteivorstand und wurde 1999 einstimmig für die
Hauptstadt Pennsylvanias getroffen.

Die Vorbereitungen des Parteitages beginnen bereits ein Jahr zuvor und liegen bei den beiden großen Parteien in
der Hand des jeweiligen National Party Chairman – des Parteivorsitzenden, der, im Unterschied zu seinen
deutschen Kollegen, weder im Wahlkampf noch im Regierungsalltag eine wesentliche Rolle spielt. Dass der
Nationalkonvent ein Erfolg wird, ist eine zentrale Aufgabe des Chairman. Welche Herausforderung die
Organisation dieses Mega-Events darstellt, machen die Zahlen deutlich, mit denen die Parteizentrale – das
Republican National Committee (RNC) – auf ihrer Homepage wirbt. Für den
Parteitag 2000 werden 45.000 Besucher erwartet, darunter 2.066 Delegierte, 15.000 Pressevertreter
sowie 10.000 freiwillige Helfer.

Um diese organisatorische Herausforderung bewältigen zu können, setzt der Parteivorsitzende mindestens ein
Jahr vor dem Parteitag einen Organisationsausschuss – das Committee on Arrangements (COA) – ein. Das
RNC-COA besteht aus 62 Mitgliedern und ist so etwas wie das Managementgremium des Parteitages. Die
Zusammensetzung erfolgt nach einem föderalen Prinzip: jeder Einzelstaat und jedes Territorium entsendet
zumindest einen Vetreter. Der jeweilige Gastgeberstaat des Parteitages, in diesem Fall Pennsylvania, stellt drei
Mitglieder. Das Leitungsgremium des COA besteht aus sechs Personen, darunter ist mit
Jim Nicholson auch der Parteivorsitzende, der das Amt in Personalunion ausübt. Das COA Leitungsgremium
ernennt einen Convention Manager, der für den Gesamtablauf des Parteitages verantwortlich ist. Zu diesen
Gremien treten 12 Unterausschüsse hinzu, die sich mit den Details der Convention-Planung befassen: Facilities,
Program, Security, Transporation, Entertainment, News Media, Housing, Family & Youth, Special Events,
Technology, Tickets & Badges, Volunteers
. Das Ganze hat zunächst wenig mit Politik und viel mit
Organisation zu tun. Aufgrund des gigantischen Planungs- und Koordinationsaufwandes wurden Parteitage zu
recht mit Choreographie und Aufführung von Opern verglichen.

Motto und Ablauf der Politshow werden ganz auf den designierten Präsidentschaftskandidaten,
George Bush jr., zugeschnitten. Die Convention 2000 steht unter dem Motto "Renewing America’s Purpose.
Together."
Das "amerikanische Anliegen" wird dann an den folgenden Tagen auf unterschiedliche Politikfelder
übertragen:


Monday, July 31 – Opportunity with a Purpose: Leave no Child Behind.
Tuesday – August 1 – Strength and Security with A Purpose: Safe in our Homes and in the World.
Wednesday, August 2 – Prosperity with a Purpose: Keeping America Prosperous and Protecting Retirement Security.
Thursday, August 3 – President with a Purpose: A strong leader who can unite our country and get things done.

Bildung, innere Sicherheit, Verteidigungs- und Rentenpolitik sind damit bei den Republikanern thematisch
festgelegt. Eine Neuerung im sonst so festgefügten Programmablauf ist die Vorverlegung der acceptance
speech
des Vizepräsidentschaftskandidaten auf den Abend des 2. August. Hier scheint sich eine
personalpolitische Überraschung anzubahnen. Parteitage sind stets auch technologische Leistungsschauen. So
warten die Republikaner in diesem Jahr nicht nur mit einem erstmaligen Intranet-Service für die Medienvertreter
auf, sondern bieten unter der Adresse www.gopconvention.com
auch den interessierten Internet-Zuschauern die Möglichkeit, das Spektakel virtuell im Plenum sowie
backstage zu verfolgen.

Democratic Continuity?

Logo der Democratic Convention
Zu ihrem Parteitagsort 2000 wählten die Demokraten mit Los Angeles eine Stadt im bevölkerungsreichsten und
damit auch die meisten Wahlmänner und -frauen stellenden Bundesstaat Kalifornien. Die
National Democratic Convention findet zeitlich nach dem Republikanischen Parteitag statt, zwischen
dem 14. und dem 17. August. Die Anzahl der erwarteten Medienvertreter und Gäste ist der von den
Republikanern erwarteten Zahl vergleichbar. Die Delegiertenzahl ist jedoch mehr als doppelt so groß.
Auf dem Parteitag 2000 werden 4.339 Parteidelegierte erwartet (www.dems2000).
Die Struktur des Vorbereitungskomitees ist vergleichbar dem RNC-COA, allerdings weniger rigide.
Der Vorsitzende des Democratic National Committee (DNC), Joe Andrew,
ist zugleich der Präsident des DNCC – der Democratic National Committee Convention. Statt 12
Unterausschüssen bei den Republikanern begnügen sich die Demokraten mit neun: Media Logistics, Event
Logistics, Housing, Production, Communications, Community Affairs, External Affairs, Business Development,
Technology and Special Projects
. Die Schwerpunktsetzung ist dadurch anders gewichtet. Während bei den
Republikanern organisatorisch die Sicherheit sowie die Unterhaltung und inhaltlich Familie und Jugend einen
eigenständigen Ausschuss haben, spielen bei den Demokraten community affairs eine wichtige Rolle.

Democrats take over L.A.
Mit der Festrednerin Caroline Kennedy-Schlossberg bleibt der Kennedy-Mythos auch in diesem Wahlkampf
das harmonisierende Herzstück der Demokratischen Kampagne. Ob Al Gore die Chance der Convention nutzen
wird, um sich zumindest stilistisch von Bill Clintons pathetischem Hollywoodflair abzugrenzen, wird die
Parteitagsinszenierung zeigen.