In der Dramaturgie des Präsidentschaftswahlkampf spielen die
Nominierungsparteitage der Parteien eine wichtige Rolle. Als reale und mediale Massenereignisse versetzen Sie
weite Teile der Nation für eine Woche in eine Art politisches Fieber. Diesmal betreten auch neue Figuren die
hell erleuchtete Wahlkampf-Arena: die "Dotcom-Delegierten".
Nach einer längeren Verschnaufpause kommt der US-Wahlkampf wieder auf Touren und mit von der Partie ist
erstmals auch eine Frau: Jackie Strike. Sie ist eine der vielen
virtuellen Anwärter und Anwärterinnen auf das amerikanische Präsidentschaftsamt, weist aber wohl als einzige
eine enge Verbindung auf die andere Seite des Atlantiks auf: Massive Unterstützung erhält der energische
Avatar von Peer-Arne Böttcher und Lars Hinrichs – zwei politik-digital-Machern der ersten Stunde, die den
Online-Auftritt der digitalen Dame erfolgreich von Hamburg aus koordinieren.
Mit Blick auf die Dramaturgie des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs ist die gesteigerte
Aufmerksamkeit für solche "fake candicacies" allerdings kein Zufall – nach der Hektik der Vorwahl-Tour mit dem
Gipfelpunkt des "Super Tuesday" beruhigt sich das Wahlkampfgeschehen. Die
siegreichen Kandidaten der ersten großen Ausleserunde verringerten danach ihre öffentliche Sichtbarkeit und
widmeten sich den Vorbereitungen für die nächste "Bergetappe" auf dem Weg ins Weiße Haus: die
"National Conventions" der Parteien, die hochoffiziellen Nominierungsparteitage.
Die hochgradig ritualisierten Veranstaltungen überbrücken dabei geschickt das mediale Sommerloch – zuerst
sind die Republikaner an der Reihe, sie haben mit Philadelphia eine traditionsreiche Ostküstenmetropole zum
Austragungsort ihrer Zusammenkunft gemacht. Online wie offline setzen die Republikaner alles daran, die Zeit
vom 31. Juli bis zum 3. August für ein politisches Volksfest zu nutzen, als dessen Höhepunkt die formelle
Kandidatenkür aus einer Fülle von Begleit-Events wie etwa dem PoliticalFest
herausragt.
Unter "gopconvention.com" haben die Webmaster im Zeichen des
Elefanten schon längst ein imposantes digitales Bühnenbild aufgebaut, das sich mit Beginn der Veranstaltungen
schnell zum virtuellen Treffpunkt mausern wird. Mit einem ausgeklügelten System von Online-Reportagen,
Webcasts oder Live-Chats für die zu Hause Gebliebenen sowie einer Fülle von Informationen maßgeschneidert
für die aus dem ganzen Land anreisenden Delegierten wird die Convention-Site für einige Tage zum Nabel der
republikanischen Politik.
Eines der zahlreichen Highlights der Virtual Convention ist der Service zur Online-Anmeldung als
Dotcom-Delegate. Nach einer einfachen Registrierungsprozedur, in der Name, e-Mail-Adresse, Staat und
Postleitzahl abgefragt werden, erhalten die interessierten Besucher eine freundliche Begrüßung: "Die
Dotcom-Delegierten-Erfahrung. Nehmen Sie Teil an der Begeisterung in Philadelphia, ohne Ihr Wohnzimmer
zu verlassen!" Auf die virtuellen Convention-Teilnehmer warten zahlreiche Überraschungen, wie ein special floor
pass für das Backstage-Erlebnis, ausführliche Mitspracherechte, exklusive Einblicke in das digitale Medienzentrum
"Internet Alley" sowie die bislang einmalige Chance, auf dem virtuellen Welcome Banner für George W. Bush
zu unterzeichnen.
Allerdings handelt es sich hierbei keineswegs um ein neues Experiment in Sachen E-Demokratie,
sondern vielmehr um einen cleveren PR-Gag. Das Anmeldeverfahren erlaubt nämlich auch Nicht-Amerikanern den
Zugang zum virtuellen Nominierungsparteitag – in der so genannten International Delegation. Zumindest im
Vorfeld der Convention waren die "Sonderrechte" der digitalen Delegierten jedoch kaum mehr als nette Spielereien
(Test Your GOP IQ) oder leicht gehobener Presseservice (Behind the Podium). Wie weit sich dieses Delegatiertenzentrum
auf neues Terrain vorwagt, wird sich erst im Laufe der Convention zeigen – dann sollen die Dotcom-Delegates einerseits
mehr über die Vor-Ort-Aktivitäten ihrer jeweiligen Heimatstaaten erfahren und Gelegenheit zum Meinungsaustausch
über "Inhalte und Personalfragen" erhalten.
Das Vorfeld der Nominierungswoche haben die Republikaner jedenfalls überzeugend genutzt, um Ihre Medienkompetenz
unter Beweis zu stellen. In einer Ansprache an die Netizens unterstreicht Jim Nicholson, der Vorsitzende der
Grand Old Party, die hohe Bedeutung und Alltagstauglichkeit der Neuen Medien. Nicht allein deshalb ist die Website
zur Convention bereits mehr als nur digitales Beiwerk zum analogen Jubelfest, sondern bereits ein erster Hinweis
in Richtung Technologie- und Wirtschaftspolitik. Der Elefant, das Wappentier der Partei, will niemandem im
Wege stehen. Der New Economy schon gar nicht.