"Das amerikanische Volk hat gesprochen, aber es wird noch eine Weile dauern bis wir wissen, was es gesagt hat."
Noch-Präsident Bill Clinton fand am Mittwoch eine geradezu philosophische Umschreibung
für die Ereignisse der amerikanischen Wahlwoche, denn aus dem längsten
Wahltag der US-Geschichte ist inzwischen eine mehrtägige Veranstaltung
geworden, die sich möglicherweise noch bis weit in den November hinein
ziehen kann.

Die
durch den knappen Wahlausgang im Bundesstaat Florida notwendig
gewordene Nachzählung gießt reichlich Öl ins Feuer einer Debatte, die
zwar schon im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen geführt wurde, nun
aber vom
politikwissenschaftlichen Rand ins tagespolitische Zentrum gerückt ist:
Ist das entlang bundesstaatlicher Grenzen organisierte
Mehrheitswahlrecht ein überkommenes Relikt aus der Zeit der
Gründerväter?

Neben
den Diskussionslinien um die Vor- und Nachteile von Mehrheits- und
Verhältniswahlrecht, die Notwendigkeit der Wahlmänner-Versammlung, das Design der Stimmzettel
und den Einsatz von Wahlmaschinen, sind die noch in der letzten Woche
vor der Wahl heftig diskutierten Stimmentauschbörsen im Internet in den
Hintergrund gedrängt worden. Durch die historische Dimension der Wahl
(oder Nicht-Wahl) des amerikanischen Präsidenten sind die innovativen
Online-Angebote aus den Schlagzeilen der selbst in die Kritik geratenen
großen Medienverbünde geraten.

Zur Erinnerung: Online-Handelsplätze wie das vorzeitig stillgelegte "Voteswap2000" oder die bis zur Wahl aktiven
Win Win Campaign, Nader´s Traders und VoteExchange
richteten sich an potenzielle Wähler des Grünen Ralph Nader sowie an
Gore-Anhänger: im Gegenzug für die Unterstützung des Vizepräsidenten in
den hart umkämpften "Battleground States" hatten die Anhänger des
demokratischen Kandidaten in
sicher gewonnen oder verloren geglaubten Bundesstaaten Naders Grünen
zum Sprung über die 5%-Hürde helfen sollen.

Die
zusätzlichen Unruhestifter an der Wahlfront funktionierten zunächst
einmal nach dem Muster einer Kontaktbörse und ähnelten wenn auch nicht
technisch, so doch prinzipiell dem Bertelsmann-Neukauf Napster:
kooperationsbereite Wähler wurden quer zu bundesstaatlichen Grenzen
miteinander in Verbindung gebracht und konnten dann ihre Stimme für ein
"Vote-Swapping" zur Verfügung stellen. Auf diese Weise wurde kein
bindender Vertrag über den Stimmentausch beschlossen, sondern lediglich
das Interesse an einer "strategischen Stimmabgabe"
bekundet. Dadurch war – wie sich nach dem Verlauf der Wahl nun zeigt,
keineswegs auch das Einlösen der virtuellen Übereinkunft sichergestellt.


Mit
den Online-Plattformen zum Stimmentausch fand aber eine vermeintlich
ganz andere Diskussion aus der vergangenen Woche ihre Fortführung auf
neuem Terrain. Schließlich hatte sich ja auch Napster den Groll der
mächtigen Musikindustrie zugezogen, da die Plattform eingefahrene
Konventionen über den Haufen warf.


Treibendes
Element sowohl bei Napster wie auch bei den Websites zum Vote-Swapping
ist die intelligente Nutzung der Kommunikationsmöglichkeiten der
Online-Kommunikation. Durch die Vermittlungsplattformen entsteht ein
"peer-to-peer-Netzwerk", in dem schnell und variabel unterschiedliche
Inhalte ausgetauscht werden – dabei ist es nur in zweiter Linie
wichtig, ob der Tauschgegenstand nun begehrte mp3-Dateien oder Optionen
auf Wählerstimmen sind. In beiden Fällen reizt der Eingriff in eine
virtuelle Schatzkammer.

Insbesondere
durch die Verschiebung der Kommunikationsrichtung unterscheiden sich
die Tauschbörsen deutlich von den marketinglastigen Online-Kampagnen
der Präsidentschaftskandidaten und den quotenorientierten
Berichterstattungsversuchen der Online-Medien. Die Bereitstellung einer
kostengünstigen, dabei aber reichweitenstarken Kommunikationsplattform
und die Zusammenführung eines über die Bundesstaaten verteilten
Publikums setzt im besten Sinne auf das "interaktivierende" Potential
der Online-Kommunikation.

Doch
trotz dieses internet-bezogenen Konzepts hat die nationale
Stimmentauschaktion nicht gut genug funktioniert – denn ganz offenbar
hat Al Gore nicht genügend Schützenhilfe erhalten und auch Ralph Nader
hat sein Ziel eines 5%igen Stimmenanteils am "popular vote" verfehlt.
Dennoch weht ein Hauch von Napster durch die politische Netzwelt. Das
Modell der Online-Tauschbörse als Vehikel zur politischen
Meinungsbildung scheint durchaus geeignet, die politische Kommunikation
im Internet um eine neue Facette zu bereichern.



Eines aber hat die Episode des "Vote-Swappings" schon jetzt geleistet:
Bereits vor der Wahl hat diese bislang unbekannte Form politischer
Partizipation nämlich auf die Entstehung "virtueller
Stimmgemeinschaften" hingewiesen, die im US-Wahlrecht eigentlich gar
nicht vorgesehen sind. Damit wurde die nun heiß geführte Debatte um
eine Wahlrechtsreform schon vor der Wahl begonnen.