Twoday.net rühmt sich, der erste Anbieter deutschsprachiger Weblogs zu sein. Twoday.net hat 12 Monate aus den hier beheimateten Blog in Buchform zusammengestellt.

Ein Buch ist ein analoger Massenspeicher. Eine Readme-Datei erklärt ein größere Programm-Datei. Ein Weblog oder Blog ist die Verbindung des nautischen Logbuchs mit dem Internet. Alle drei Kommunikationsformen werden hier von Alexander Ostleitner und Michael Schuster zusammengeführt.
Als Gemeinsamkeit haben die Blogs die Technik. Mit ihnen lässt sich ohne großen Aufwand – und das meint vor allem: schnell – ein persönlicher Platz im virtuellen globalen Dorf besetzen. Womit dieser Platz besetzt wird, bleibt Bloggerin und Blogger überlassen, falls das IOC nichts dagegen hat
Entsprechend breit gestreut ist das thematisch besetzte Feld. Politik-digital.de benutzt seinen Metablog (http://www.politik-digital.de/metablocker/) für die journalistische Meinung und Meldung. Die Verbreitung von Meinungen und Meldungen mittels Blog brachte in Athen auch olympia.blogg.de unter die Leute. Daneben gibt es dann aber auch so charmante Projekte wie seinen VW-Bulli blogen zu lassen (gesehen und gelesen auf http://www.becksstreetboys.org/bulli/weblog.php).
Journalismus, Trends und ein VW-Bus
Aha, wieder ein neuer Trend im virtuellen Dorf, der den Informationsuperhighway mit Leben füllt, denkt sich der uninteressierte Beobachter. Und, um es vorweg zu nehmen: Wer vorher noch keine Affinität zu den neusten Trends des Netzes hatte und unter CMS, RSS usw. amerikanische Waffentechnologie oder die neusten Musikrichtungen vermutet, der wird mit „Readme.txt“ nichts anfangen können.
Ein Jahr der Community von twoday.net soll das Buch nachzeichnen. Dieses Jahr (Februar 2003 bis Februar 2004) wird durch die Augen der Blogger und Bloggerinnen erzählt. Durch die jeweiligen Einträge von „Cut1977“, „großstadtneurotikerin“ und „zora“ kommt so ein subjektives Allerlei zusammen.
Problematisch daran ist Vieles. Zum einem: Blogs sind ein Computerdingsbums. Direkt Bloginhalte auf Papier zu drucken und zwischen Buchdeckel zu pressen funktioniert nicht. Blogs funktionieren nicht sequentiell von links nach rechts wie eine Buchzeile. Ein besonderes Gimmick ist der automatische Eintrag von anderen Blogs in das eigene mittels RSS-Feed. Also die Möglichkeit, die Meldung eines anderen im eigenen Blog live und in Farbe zu kommentieren. Bücher können diese Verschränkung nicht nachzeichnen und somit fehlt „readme.txt“ ein ganz entscheidendes Merkmal seines Gegenstandes.
Senkrecht vs. Waagerecht
Außerdem ist ein Blog, wie jede andere Netztextart, mehr oder minder senkrecht. Im Netz wird von oben nach unten gelesen. Oben stehen die relevanten oder neuen Informationen. Wen es interessiert, der scrollt nach unten durch. Im Blog steht also oben der neuste Eintrag, darunter dann die Kommentare der Besucher dazu, dann die älteren usw. Wen es nicht interessiert, der surft weiter.
Nicht so in „readme.txt“. Hier muss von links nach rechts und von vorne nach hinten mit der dadurch erzeugten gleichen Wertigkeit für jeden ins Buch aufgenommenen Eintrag Seite für Seite gelesen werden. Flucht nur durch Überblättern, nicht durch Links. Also muss alles mitgenommen werden, was im Netz nicht zur Kenntnis genommen worden wäre.
Warum überhaupt?
Damit verbunden das überwältigende Problem des Buches: Es wird nicht klar, wofür und warum (außer dem Marketing-Effekt, twoday.net hat ein eigenes Buch, hoho) das Buch stattfindet. Wer in der Community von twoday.net präsent ist, wird seine Lieblingsblogger und –bloggerinen online verfolgen bzw. als Lieblingsblogger oder –bloggerin online seine Leser haben. Wofür also dann noch das Buch kaufen?
Wer noch nie was von twoday.net hörte aber Interesse an dem Phänomen „Blog“ hat, wird auch vermissen, dass dieses Phänomen nicht erklärt wird. Außer natürlich implizit als Kummerkasten, Meckerecke und Tagebuch im virtuellen Raum. Politische und gesellschaftliche Relevanz, Informationsfluss von unten nach oben und Meinungstransport wird hier verdrängt durch BBaB: Durch Beziehungskisten, Bürostress und andere Banalitäten.
Dieser Text erscheint auch in der Berliner Literaturkritik (www.berliner-literaturkritik.de).
Literaturangaben:
OSTLEITNER, ALEXANDER / SCHUSTER, MICHAEL (Hg.): Readme.txt. Weblogs. Twoday.net 2003-2004. BoD GmbH, Norderstedt 2004. 179 S., 20,90 €.