Es lockt ein scheinbar ehrenvolles Amt: Internet-Direktor für Europa. Gewählt wird bereits im September, doch trotz guter Chancen ist bislang erst ein deutscher Kandidat offiziell ins Rennen um das internationale ICANN-Board gegangen. Weitere Kandidaten halten sich noch zurück – zu groß sind die Mühen, zu kompliziert die Aufgaben. Einen heiß gehandelten Favoriten gibt es allerdings dennoch …

Wer bei der ICANN Direktoriumswahl auf dem Siegertreppchen stehen will, muss nicht nur Geld und Zeit
mitbringen, sondern auch den Mut haben, sich auf ein Experiment mit ungewissem Ausgang einzulassen.
Einer der das Wagnis auf sich nehmen würde, ist Medien-Professor Dieter Otten aus Osnabrück, der sich als
Online-Wahlforscher bereits einen Namen gemacht hat. Gegenüber Net-Business bestätigte Otten seine Absicht
zu kandidieren.

Zunächst stand Otten mit seinem Engagement nicht alleine da. Bei den Wahlmachern von Spiegel-Online, die es
auf sich genommen haben, die deutsche Kandidatenliste zu koordinieren, gingen rund 90 seriöse Nominierungen
ein. Doch als sich abzeichnete, dass der europäische Gewinner der ICANN-Wahl im Jahr 7 Monate Zeit haben
muss, um 50.000 selbst aufgebrachte Mark für Reisen auszugeben, schrumpfte die Liste der Aspiranten auf eine
sehr übersichtliche Länge: neben Professor Dieter Otten werden Andy Müller-Maguhn (Chaos Computer Club),
padeluun, Künstler und Netzwerkaktivist, zwei nicht namentlich
genannte Kandidaten aus dem Umfeld der Bürgerverwaltungen (sys.org.) und ein Systemverwalter aus dem
Hause Alcatel genannt. Selbst von diesen aktuellen 6 Kandidaten sind längst nicht alle in der Lage, das Amt unter
den gegenwärtigen Bedingungen auszuüben. Fast alle sind der Meinung: der Job ist nicht wirklich spitze.

Guter Rat ist teuer, und der Sponsor, der für die Finanzierung des Amtes aufkommen könnte, ist noch nicht
gefunden. Eine denkbare Variante, an der bereits gebastelt wird, ist die Einrichtung einer Stiftung, die das
reisefreudige Leben des ICANN Direktors finanziert. Mit einer solchen Form der Unterstützung könnte verhindert
werden, dass die europäische Direktorenwahl zur "EWG" wird, in der sich vor allem die finanzstarke Wirtschaft
etabliert und die ICANN-Behörde zur Lobby von potenten Freizeitaktivisten oder Telekombossen verkommen lässt.
Als ob die finanzielle Bürde des Amts nicht schon schwer genug zu tragen wäre, lässt eine neue Nachricht die
europäische Kandidatur immer mehr zu einem riskanten Spiel werden. Nach kalifornischem Recht ist der
ICANN-Direktor auch juristisch für eventuelle Fehler der Behörde haftbar. Dass Angesichts dieser Nachricht der
Bewerberstrom nicht anschwillt, versteht sich von selbst.

Im sonnigen Kalifornien schüttelt man ob der deutschen Probleme verständnislos die Köpfe: Andrew McLaughlin,
Finanzchef von ICANN kann nicht verstehen, dass es in Europa niemanden reizt, ein "Taschengeld" für die Arbeit
beim "Straßenverkehrsamt" des Netzes auszugeben. Das Internet kennt keine Grenzen, das
Demokratieverständnis hingegen schon. In den Vereinigten Staaten ist es nicht anrüchig große Mengen Geld und
demokratische Ambitionen zum Wohle der Sache zu verbinden. Ein solventer Geschäftsmann, der sich in der
Politik tummeln will, ist dort an der Tagesordnung und meistens Wahlsieger.

Auch Jeanette Hoffmann vom Berliner Wissenschaftszentrum sieht das Hauptproblem in der finanziellen
Unabhängigkeit des Kandidatens: "Es muss eine Instanz gegründet werden, die sicherstellt, dass die Finanzierung
des Amtes nicht von einem einzigen Wirtschaftsunternehmen geleistet wird, dass den eigenen Favoriten bezahlt."

Erster offizieller ICANN Kandidat ist der Internet-Unternehmer Werner Röpke aus Erkerode.
Seine Selbstcharakterisierung "Ich bin kein Informatiker, Computer-Freak oder Online-Süchtiger, sondern
Geschäftsmann, der mit dem Internet äußerst erfolgreich neue Märkte erschlossen hat." Trotz eigener
Wahlkampf-Site werden dem FDP-Kandidaten keine
großen Chancen eingeräumt.

Stattdessen favorisieren Parteien und New Economy gleichermaßen einen Vertreter aus der Wissenschaft. Auch
hier wird Professor Dieter Otten als heißer Favorit genannt. Er sieht in ICANN eine der politischen Fragen der
Zukunft, die sich nicht auf die Domainvergabe kaprizieren wird. Otten sagte gegenüber der Net-Business über die
Aufgabe: "Ich freuen mich auf die Herausforderung, auch wenn es keine leichte Aufgabe werden sollte." Als
Professor und Medienexperte kann er den angestrebten Mix aus Unabhängigkeit, Zeitressource und Excellence
bieten. Otten selber sieht Deutschland gemeinsam mit den USA als die zwei Beine, auf denen sich Themen aus
dem Bereich e-Demokratie und e-Government durchs Netz bewegen.

Manuel Krüger, ehemaliges Mitglied des Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen hingegen zog seine Kandidatur
wieder zurück. Ausschlaggebend war für ihn, dass der Posten des ICANN-Direktors schwer einschätzbar ist. Die
Behörde selbst ist in zahlreiche Unterorganisationen eingebunden und leidet an einem Mangel an exekutiver Kraft.
Noch ist sie nur ein Experimentierfeld für demokratische Strukturen im Netz. Grietje Bettin, medienpolitische
Sprecherin der Grünen äußerte sogar direkte Kritik an ICANN und der Wahl: "Die Amerikaner werden dominant
bleiben, der afrikanische und asiatische Raum ist gänzlich unterrepräsentiert. Demokratisch ist das nicht,
dennoch muss ein geeigneter europäischer Direktor dabei sein."

Abgelehnt hat auch Jörg Tauss, SPD-Vorsitzender des Unterausschusses "Neue Medien",
weil ihm die zeitlichen Reserven fehlen. Gegenüber Net-Business verriet er aber, dass das Wirtschaftministerium
im ICANN-Monopoly mitspielen könnte: "Eine finanzielle Ausstattung ist über das Wirtschaftsministerium denkbar.
Allerdings darf der Direktor dann kein allzu abseitiger Kandidat sein." Kandidaten wie Andy Müller-Maguhn,
Sprecher des CCC oder padeluun würden zwar den sachlichen Anforderungen gerecht, allein für das
Wirtschaftsministerium wären sie wohl keine seriösen
Partner.

Am 31. August wird das
Nominierungs-Komittee von ICANN die 5 Kandidaten für Europa benennen.
Danach können
sich potentielle Kandidaten noch selbst nominieren, vorausgesetzt sie
haben die Unterstützung von 2% registrierten Wählern
ihrer Region. Ende August sollen die Kandidaten dann unter "Members"
von ICANN online vorgestellt werden. Angesichts der über 7000
registrierten ICANN-Wähler in Deutschland stehen die Siegeschancen für
einen Kandidaten aus Deutschland sehr gut.

Dennoch wünscht sich Medien-Professor Peter Glotz einen überzeugenden ICANN-Direktor für ganz Europa:
"Lieber ein guter Finne als ein schlechter Deutscher" lautet seine Empfehlung an das Online-Wahlvolk.

Dieser Artikel wurde in der aktuellen Ausgabe der Net-Business veröffentlicht.