Das Internet durchdringt immer mehr Lebensbereiche und ist längst zum Lebensraum für viele Menschen geworden. Sollte die Politik darauf mit der Berufung eines Internetministers reagieren? Unbedingt, meint der FDP-Netzpolitiker Jimmy Schulz. Die Berliner Stadträtin Juliane Witt (DIE LINKE) dagegen hält die Schaffung eines solchen Amtes für absurd.
Außer Frage steht wohl, dass sich die Politik lange Zeit geradezu stiefmütterlich den Erfordernissen des digitalen Zeitalters annahm und nicht gerade mit Sachverstand glänzte. Doch insbesondere auch die Achtungserfolge der Piratenpartei katapultierten das Thema zuletzt ganz nach oben auf die politische Agenda. Sollte dieser gewachsenen Bedeutung netzpolitischer Belange mit einem eigens dafür geschaffenen Amt bzw. Ressort Rechnung getragen werden?
Pro-Standpunkt Jimmy Schulz
Die Netzpolitik hatte lange einen schweren Stand. Als neues Thema musste sie sich an bestehende Strukturen anpassen. Das Ergebnis ist, dass heute eine Vielzahl von Gremien um die Lufthoheit ringen. Es streiten sich die Ministerien Wirtschaft, Innen, Familie sowie Landwirtschaft & Verbraucherschutz um Zuständigkeiten, von den Ausschüssen und Gremien im Bundestag ganz zu schweigen. Als Parlamentarier halte ich deswegen einen eigenen Ausschuss Netzpolitik – sozusagen als institutionalisierter Nachfolger der Enquetekommission – nicht nur für wünschenswert, sondern vielmehr für unbedingt notwendig. Aber auch in der Exekutive wäre eine Abbildung der Relevanz des Themas richtig. Ich kann mir sehr gut die Einrichtung des Postens eines Internetministers vorstellen. Wohlgemerkt: nicht die Einrichtung eines Internetministeriums. Ein unnötig aufgeblähter Apparat wäre gerade im schnellen, zukunftsorientierten Bereich Internet kontraproduktiv. Aber: Es wäre durchaus sinnvoll, die unterschiedlichen und teils gegenläufigen Aktivitäten innerhalb der Bundesregierung zu koordinieren und zu bündeln. Analog zur Rolle des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien könnte ein „Staatsminister Internet“ bei der Bundeskanzlerin also mit einem direkten Zugang zu den politischen Schaltstellen angesiedelt werden. Eine solche Position kann einen Ansprechpartner nach innen und nach außen sein. Vor vielen Jahren hat Henry Kissinger nach der „Telefonnummer Europas“ gefragt. Eine solche Nummer fehlt in der deutschen Netzpolitik bis heute. Gerade ein föderales Land wie die Bundesrepublik benötigt mitunter Instanzen, die die Arbeit der unterschiedlichen Behörden und Einrichtungen in den Ländern zusammenführt und ihre Ergebnisse mit Sachkenntnis und Verve vertritt. Ebenso braucht die überaus engagierte und aktive Netzgemeinde in Deutschland einen Ansprechpartner. Mit dem Ausschuss Netzpolitik und einem kompetent besetzten Staatminister Internet wären Legislative wie auch Exekutive gut für die netzpolitische Zukunft aufgestellt.
Contra-Standpunkt Juliane Witt
Die netzpolitische Zukunft ? … können nur wir alle sein
Natürlich habe ich jahrelang dafür geworben, dass Netzpolitik ein anerkanntes Politikfeld sein möge. Und natürlich ist es Anerkennung und Genugtuung, dass es im Land Berlin nunmehr ein deutliches Bekenntnis gibt, dies auch in Person und Geschäftsverteilung des Landes zu verdeutlichen. Aber ist dies ein Votum für einen Internetminister? Nein! Wenn nun im Sinne eines Beauftragten jemand etwas von dem auf seine Schultern lädt, was man selbst ungern tragen mag, ist das für eher hierarchisch strukturierte Gemüter immer eine erleichternde Sache. So ein Verantwortlicher muss natürlich ganz oben angebunden sein, sonst wird das in solch staatsgläubiger Welterzählung nichts, schließlich muss er „das Ohr“ der Mächtigen haben… Jemand kann die Lobbyistenrolle annehmen, und wir sind entlastet. Doch schon bezogen auf all die vorhandenen Beauftragten ist dies eine seltsame, unemanzipatorische Haltung. Beim Thema Internet stößt dieser Ansatz, „einer werde es schon richten“, ins absolut Absurde vor. Natürlich kann ich mir, da die Auswahl eines solchen Beauftragten nach mindestens einem Jahr einen Stab, eine Behörde, ein Ministerium, drei Pförtner nach sich ziehen würde, eine Reihe potentieller Mitarbeiter vorstellen. Aber es ist das Allerletzte, was wir brauchen. Eine Behörde, die dieses Internet irgendwie abbilden, beforschen, lenken, koordinieren oder auch nur im Blick haben will, ist ebenso skurril wie die Gesamtillusion, das Web und seine täglich sich erweiternden Optionen seien steuerbar. Es ist eben nicht nur eine andere Art der Produktion entstanden – sondern auch eine andere, schnellere Art des Reagierens, die quer durch alle Gesellschaftsschichten, Ressorts, Themen und Familien reicht. Da geht es um ein verändertes Demokratieverständnis, um eine Kommunikationsethik, die Offenheit neu definiert, ein Einlassen auf eine prozesshafte Politik. Das höhlt zum Teil auch die gewählten Vertreter der Demokratie aus. Das kann auch mal zu Ungerechtigkeit und neuer Einseitigkeit führen und manchmal eine sich selbst zerstörende Dynamik haben. All das stimmt, es ist ein Prozess und wir alle sind daran beteiligt. Braucht dieser Prozess einen Minister? Nein. Was er braucht, sind stattdessen mündige, kluge und engagierte Bürgerinnen und Bürger, wohlgemerkt: nicht nur in den Metropolen, nicht nur bis 35 und ohne soziale Ausgrenzung. Dafür sollten wir streiten.