"Auf Worte lasst Taten folgen": auch die Bundesregierung
scheint sich auf diese Binsenweisheit besonnen zu haben und will nun ernst machen mit ihrem
digitalen Engagement. Deutschland soll endlich an die Spitze der IT-Nationen anschließen und
die reformwillige rot-grüne Regierung möchte sich als Motor betätigen.


Nachdem man sich zunächst bemüht hatte, dass breitenwirksame IT-Wunder herbeizureden, ist die
Regierung nun dazu übergegangen, konkrete Schritte anzukündigen. Bundeskanzler Schröder
formulierte vergangene Woche das nationale Ziel, die Informationstechnologie in den Adelsstand
der Allgemeinbildung zu befördern und erteilte ihr mit einem Zehn-Punkte Programm
den Ritterschlag.

Das ambitionierte Vorhaben dreht sich im Kern um die Nutzermobilisierung. "Internet für alle":
Damit jeder die Chance bekommt, seinen Wissenshorizont via Internet erweitern zu können und
dies nicht mehr von finanziellen Barrieren eingeschränkt wird, sollen nun wirklich alle
Schulen mit Internetzugängen ausgestattet werden, so der Bundeskanzler.
Bevölkerungsgruppen, die bisher jenseits des digitalen Grabens lebten, sollen Brücken
geschlagen bekommen. Vor allem Arbeitslosen wird eine neue Chance geben, indem ihnen Kurse die
Grundkenntnisse der digitalen Welt vermitteln, so dass sie die fehlende Qualifikation in Sachen
Computer und Netz nachholen können. Wer schließlich den eloquenten Umgang mit den Neuen Medien
mit der "Internet-Reifeprüfung" schwarz auf weiß belegen kann, erhöhe seine Attraktivität für
potentielle Arbeitgeber, lautet die Hoffnung der Bundesregierung.

Der Staat als Schrittmacher

Mag auch der Skeptiker hinter den kernigen Parolen des Bundespresseamtes
(.com schon Deutschland!) eine reine Imagewerbung vermuten, das Vorhaben der Regierung zielt
in die richtige Richtung. Es ist nämlich so, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der
staatlichen Sorge um den digitalen Fortschritt und der tatsächlichen Schrittgeschwindigkeit
desselben vermutet werden kann. Der Staat fungiert als digitaler Pacemaker.

Die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Durchdringung der IT ist
mittlerweile mehr als eine politische Feierabendbeschäftigung. Länder wie die Vereinigten
Staate, Großbritannien und Finnland machen uns vor, wie eine koordinierte staatliche Förderung
die Internetnutzung in die Höhe treibt. Dazu müssen harte Faktoren wie die PC-Ausstattung des
öffentlichen Raumes und weiche Infrastruktur wie eine adäquate Rechtssprechung und Engagement
für die Ausbildung Hand in Hand gehen.

Digitale Brücken an analogen Gräben

Allerdings kann ein bloßes Schielen auf die Nutzerzahlen in die Irre führen: wie eine Studie
der Technologieberater von Booz, Allen & Hamilton zeigt, ist das Problem die ungleiche
gesellschaftliche Verteilung der Nutzerschicht. Der Einzug digitaler Technologie in den Alltag
vertieft den klassischen Graben zwischen gut ausgebildeten, jungen Stadtbewohnern und weniger
gebildeten Schichten. Die Verteilung der "Surfer" in den verschiedenen Bildungsschichten läuft
dem Anteil an der Gesamtbevölkerung diametral entgegen: 45% aller Deutschen haben einen
Hauptschulabschluss, diese Gruppe macht aber nur 26% der Internetuser aus. Umgekehrt besitzen
nur 10% der Bevölkerung einen Hochschulabschluss, stellen aber 17% der Nutzergruppe.
Auch die Unterschiede zwischen Stadt und Land werden digital gestützt: Das Landleben genießen
zwar 34% der Deutschen, aber lediglich 18% der Nutzer leben in ländlichen Gegenden. In der
Stadt leben 52% der hiesigen Bevölkerung, die einen Anteil von 58% bei den Internetusern
ausmachen.

Diese Zahlen mögen auf den ersten Blick nicht dramatisch erscheinen, sondern werden es erst
vor dem Hintergrund des Stellenwertes, den die Informationstechnologie in den nächsten Jahren
einnehmen soll. Längst sind die neuen Technologien zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor
geworden, messen sich Volkswirtschaften mit dem Anteil, den der IT-Umsatz am Bruttosozialprodukt
hat und brüsten sich mit dem Standortfaktor, den eine hohe Digitalisierung der Bevölkerung
mittlerweile ausmacht.
Eine weitere Vertiefung des Unterschiedes zwischen gebildet und weniger gebildet, arm und
reich, Stadt und Land, kann sich eine moderne Industrienation einfach nicht mehr leisten.
So ist das 10 Punkte Programm der Regierung im Rahmen der d21-Initiative kein schmückendes
Beiwerk sondern kommt grade noch zur rechten Zeit.

Masse und Klasse

Neben
der problematischen Nutzerverteilung in den gesellschaftlichen
Segmenten gibt es einen weiteren qualitativen Faktor, der bisher
vernachlässigt wurde: die inhaltliche Ausgestaltung der
Internetnutzung. Das Internet, so sieht es auch die Bundesregierung,
soll mehr sein als ein Lifestyle- oder Spaßfaktor. Das Internet soll
synonym für Information und Bildung stehen. Auch hier haben Booz Allen
& Hamilton in ihrer von d21 in Auftrag gegebenen Studie klare
Defizite und Lösungsansätze herausgearbeitet. Die klassischen
Zugangsbarrieren sind finanzieller Natur, ergänzt von Unkenntnis der
Anwendung und dem Unwissen um die Vorteile der Technologie im
(Bildungs-) Alltag. Hier kann die deutsche Regierung nach Meinung der
Berater einiges bewerkstelligen, um finanziell schlechter gestellte
oder IT-skeptische Kreise online zu bringen. Zunächst soll der Staat
demnach stärker darauf achten, dass die kommerziellen Anbieter sich
nicht auf die einkommensstarken Teile der Bevölkerung kaprizieren.
Finanzielle Unterstützung für einkommensschwache Familien bei der
PC-Ausstattung wäre eine Möglichkeit. Zudem macht eine fehlende
Qualitätssicherung der Internetangebote diese unübersichtlich und
gerade bei Angeboten, die sich an Einsteiger richten, ist die
thematische Betreuung wenig transparent, so Booz Allen & Hamilton.
Einfache Programme, anwenderfreundliche Oberflächen und eine
thematischer Einordnung von Anbietern und Angeboten könnten vom Staat
in ihrer Entwicklung gestützt werden und den IT-Muffeln den Zugang
erleichtern.

… und der Staat verleiht Flügel

Es gibt, so die Berater in ihrer Studie, einen direkten Zusammenhang zwischen der Höhe der
Internetdurchdringung eines Landes und dem staatlichen Engagement. So ist der neue
Produktionsfaktor "Information" den USA auf Bundesebene 5,5 Mrd. Dollar jährlich wert, für IT
in Schulen allein wurden schon vor zwei Jahren 6,5 Mrd. Dollar ausgegeben. Kein Wunder, dass
die Vereinigten Staaten in vielen Bereichen der Strukturentwicklung weit vorne liegen.

Aber auch Deutschland darf sich rühmen, in einigen digitalen Entwicklungsfächern Klassenerster
zu sein: bei der technischen und rechtlichen Ausgestaltung der digitalen Signatur oder der
technischen Telekommunikationsinfrastruktur zum Beispiel. Und auch hier zeigt sich, wie sehr
das Interesse der Regierung beflügeln kann: die digitale Signatur beispielsweise ist Teil der
Forschung des Media@Komm – Projektes zur digitalen Stadtverwaltung, mit 50 Millionen Mark
getragen von der Bundeswirtschaftsministerium.

Diese Vorreiterrolle der "Amtsschimmel" ist also ein wesentlicher Entwicklungsfaktor. Denn die
schönsten Initiativen und die wohlmeinendste Unterstützung verpufft im digitalen Hohlraum,
wenn die Regierung selber nicht weiß, wovon sie eigentlich spricht.
Die Fortschritte in der digitalen Verwaltung, Mitarbeiterschulung, Auftragvergabe via Internet
und sinnvolle, funktionale Webangebote der Ämter bringen auch Schwung in die private Nutzung.

Als Schritt in die richtige Richtung ist vor diesem Hintergrund die ausdrückliche Förderung
des eGovernment im Schröder`schen Programm zu werten. Der Bund Online 2005
soll möglich machen, dass die Verwaltungsangelegenheiten
bald vom heimischen PC aus erledigt werden können. Vorbild für diese großangelegte Aktion ist
ein Projekt der englische Regierung, die umgerechnet über 5, 52 Milliarden DM ins eGovernment
investiert.

Geht
es nach Booz Allen & Hamilton soll die Regierung auch im
kommerziellen Sektor aktiver werden und stärker mit der Wirtschaft
zusammenarbeiten. Auf der Vorschlagsliste der Berater stehen neben der
Motivation von Start-up Gründern und der Einrichtung von eCommerce
Portalen auf städtischen Sites auch die stärkere Einbindung
traditioneller Betriebe in den eCommerce. Auch hier gibt es bereits
vielversprechende Ansätze im www, wie zum Beispiel die
Online-Initiative des deutschen Handwerks in Form des Portals
www.handwerk.com
.

Brauchen wir einen eMinister?

Obwohl die Bundesregierung den Handlungsbedarf erkannt hat, stellen die Berater noch erhebliche
Defizite bei der Koordination der verschiedenen Bemühungen fest. Auf gut Deutsch: die eine
Hand weiß nicht, was die andere tut. Es fehlt eine zentrale Stelle, die alle Bemühungen
bündelt und den Informationsfluss beweglich hält. Ein spezielles Internetministerium wie es
andere Länder eingerichtet haben, ist dazu nicht unbedingt notwendig. Die föderale Struktur,
die unter anderem bei der Bildungshoheit der Länder zum tragen kommt, sollte im Falle einer
zentralen Stelle berücksichtigt werden. Dass diese zentrale Stelle dringend erforderlich ist,
zeigt jedoch die Fülle der Projekte und Initiativen, die derzeit wie Pilze aus dem digitalen
Brachland schießen. Landesregierungen, Ministerien, Verbände und Privatwirtschaft sollen sich
stärker vernetzen und in ihren Aktionen abstimmen.
Denkbar wäre eine Koordinierungsstelle für Konzeptionsarbeit, ergänzt von einer bundesweit
zugängliche Datenbank zum Nutzungsverhalten und schließlich in der Praxis eine konzertierte
Bildungsarbeit, um die verbreitete Scheu vor der digitalen Technologie zu verringern.

Am Anfang einer solchen staatlichen Initiative, so meinen die Berater muss natürlich noch
mehr Beratung stehen: eine detaillierte Nutzungsstudie soll endgültig offen legen, wo die
virtuellen Haken sind. Und IT-Visionen brauche das Land, meinen Booz Allen & Hamilton.
Ein bisschen hat die Regierung schon gelernt: Der Slogan zum 10 Punkte Programm
"Deutschland erneuern" klingt ein wenig wie "Deutschland erwache". Jenseits der
missionarischen Parolen steht jedoch der dringende Versuch, diejenigen aus ihrem
Dornröschenschlaf zu holen, die Gefahr laufen, den digitalen Weckruf zu verpassen.