Die Zukunft des
Bürgerengagements liegt im Netz. Um dies zu beweisen,
traf sich politik-digital mit Christian Simmert im Chatraum.
Mit dem Mitglied der Enquete-Kommission "Zukunft des
Bürgerschaftlichen Engagements" sprachen wir über
neue Formen der ehrenamtlichen Arbeit.Ein Gespräch über neue Formen des freiwilligen Engagements
mit Christian Simmert (MdB)
Christian Simmert,
Jahrgang `72, sitzt seit 1998 für die Bündnis-Grünen im Bundestag. Als
Mitglied der Enquete-Kommission für bürgerschaftliches Engagement
möchte er vor allem Raum und Rahmen schaffen, für neue Formen der
Freiwilligenarbeit in Vereinen, Parteien und Initiativen. Dass er dabei
auch den Neuen Medien eine aktive Rolle zuschreibt, bewies Simmert
gleich selbst: Das Interview wurde online geführt. politik-digital lud
ihn in den hauseigenen Chatraum und sprach mit dem engagierten Grünen
aus Warendorf über seine Arbeit in der Enquete-Kommission.
politik-digital: Herr Simmert, warum sind Sie in der Enquete Kommission "bürgerschaftliches Engagement"?
ChristianSimmert: Ich
interessiere mich für die neuen Formen bürgerschaftlichen Engagements –
unter anderem auch in Bezug auf Initiativen gegen Rechtsextremismus.
Die Formen von Engagement sind flexibler geworden, vor allem von jungen
Menschen, hier brauchen wir veränderte Rahmenbedingungen. Dafür will
ich mich in der Enquete engagieren.
politik-digital: Was umfaßt bürgerschaftliches Engagement alles?
Christian Simmert: Es gibt
sehr unterschiedliche Formen. Zum einen sind da die klassischen
Verbände und Vereine, die wichtige Arbeit vor Ort leisten. Es gibt aber
auch neue soziale Bewegungen, wie die Tafel-Initativen oder
Freiwilligenagenturen. Daneben gibt es Formen von punktuellem
Engagement, an Projekten orientiert, die meistens kommunal verankert
sind. Problematisch dabei: Es gibt auch Grauzonen. Eine spannende Frage
ist zum Beispiel: wo endet bürgerschaftliches Engagement und wo fängt
bezahlte Arbeit an. Ich bin überzeugt, dass freiwilliges Engagement
kein Ausfallbürge beispielsweise für soziale Dienstleistungen werden
darf.
politik-digital:
Und trotzdem ist das Engagement laut Herrn Dr. Bürsch, dem Vorsitzenden
der Kommission, ein Eckpfeiler im Gesellschaftsvertrag. Wie kann der
Staat denn diese Rolle unterstützen?
Christian Simmert:
Natürlich kommt Frauen und Männern, die sich bürgerschaftlich
engagieren eine wichtige Funktion in unserer Gesellschaft zu. Sie sind
eine Art sozialer Kitt für eine solidarische Gesellschaft, ohne die
auch unsere Demokratie nicht so lebendig wäre, wie sie ist. Dennoch
darf der Staat nicht überregulieren. Wir brauchen Rahmenbedingungen,
wie zum Beispiel stärkere Anerkennung der erworbenen Kompetenzen bei
Freiwilligendiensten durch Zertifizierungen. Darüber hinaus sind
Unternehmen gefordert, jungen Menschen, die einen Ausbildungsplatz
suchen und nicht so gute Zeugnisse haben, aber einen Freiwilligendienst
geleistet haben, eine Chance zu geben.
politik-digital: Welche Rolle spielen die Neuen Medien beim bürgerlichen Engagement? Welche Rolle sollten sie spielen?
ChristianSimmert sagt:
Neue Medien können beispielsweise eine interessante Plattform für die
Vermittlung von freiwilligem Engagement sei. Die neuen Formen des
Engagements zeichnen sich dadurch aus, dass gerade Teile der jüngeren
Generation sich nicht mehr ewig im Verein engagieren, sondern eher
projektorientiert und in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen. Hier
kann das Internet eine wichtige Mittlerfunktion übernehmen. Darüber
hinaus reden wir aber auch immer über Beteiligung und Mitsprache.
Bürgerschaftlich Engagierte wollen eben auch mitreden, wenn es um
Projekte geht und nicht nur "Ausführende" sein. Auch hier können neue
Medien Kommunikation ermöglichen und beschleunigen.
politik-digital:
Also Online-Partizipation und Organisation… Es gibt das klassische
Engagement, dass mit den Neuen Medien besser organisiert werden kann.
Wie sieht es denn mit reinem Online Engagement aus? Also freiwillige
Netzprojekte, die eine gesellschaftliche Funktion erfüllen. Ist das
auch förderungswürdig?
Christian Simmert:
Online-Engagement gehört natürlich auch zu den neuen Formen. Wenn wir
uns Initiativen gegen Rechtsradikalismus im Netz anschauen, dann ist
das eine neue und wichtige Form des zivilgesellschaftlichen
Engagements. Hier fördert der Staat bereits Initativen – auch innerhalb
der von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Bekämpfung des
Rechtsextremismus sind hier Mittel enthalten. Es muss jedoch noch mehr
getan werden, vor allem in Sachen Zugang zum Internet. Wir müssen in
der Jugendarbeit stärker auf Internet-Kompetenz setzen – gerade auch
für junge Frauen.
politik-digital:
A propos Rechtsradikalismus: Kürzlich wurde bekannt, dass die Regierung
noch mal 70 Millionen zur Bekämpfung locker macht. Wissen Sie, ob davon
auch etwas in Netzprojekte fließt?
Christian Simmert: In
diesem Paket befindet sich in der Tat die Möglichkeit auch
"Net-Projects" zu unterstützen. Wir haben in den vergangenen Monaten
immer wieder darauf gedrungen, dass eben nicht nur die "Großen-Tanker"
Fördermittel bekommen, sondern auch kleine Initiativen. Dort ist häufig
auch das Potential für solchen Internet-Initativen. Es hapert da nicht
an Kreativität, sondern oftmals an der Umsetzung und eben dann an den
finanziellen Mitteln. Dies soll mit den jetzt beschlossenen Geldern
möglich werden.
politik-digital:
Auf ihrer Homepage schreiben Sie zum Thema, dass die politische
Partizipation durch die Neuen Medien eine Veränderung für die
Parteienstruktur mit sich bringt, die auch insgesamt durchlässiger
werden muss. Sie denken da sogar an das "Ende der klassischen
Mitgliedschaft." Ist das "neue" Engagement ohne dauerhafte
Verpflichtung, ohne Mitgliedschaft denkbar? Also frei, flexibel aber
nicht verlässlich?
Christian Simmert: Es wird
immer das klassische Engagement geben, wie wir es kennen. Und das ist
gut so. Das "virtuelle Engagement" wird das reale nicht ersetzen.
Dennoch werden wir – gerade auch als Parteien – uns darauf einstellen
müssen, dass das Engagement sich durch das Internet verändert. Dies
wird zur Folge haben, dass Parteien – auch Bündnis 90/Die Grünen –
ebenfalls stärker virtuell interaktiv werden müssen. Dazu gehört auch
die Öffnung der Mitgliedschaft. Im Übrigen glaube ich, dass auch
virtuelles Engagement verlässlich sein kann, dies zeigt zum Beispiel
das Engagement bei dol2day, dort gibt es politisches Engagement im Netz
und das ist sehr kontinuierlich…
politik-digital: Wie stehen die Deutschen beim Bürgerengagement im internationalen Vergleich eigentlich da?
Christian Simmert: Im
internationalen Vergleich ist die Bundesrepublik Spitzenreiterin was
die Gründung von Vereinen angeht… Was ein Wunder, ist dies doch eine
deutsche Erfindung – nein im Ernst: 22 Millionen engagierte Bürgerinnen
und Bürger, dass ist auch international sehr viel. Wir haben aber einen
anderen kulturellen Hintergrund als z. B. in den USA. Dort ist
Engagement viel häufiger und stärker vertreten als hier – die
gesellschaftlich Verankerung ist dort stärker. Allerdings betrifft dies
eher "Mittel- und Oberklasse". Gleichzeitung hat das Engagement dort
eine Art Sozialkontrolle – engagierst Du Dich in Deinem Stadtteil
nicht, gehörst Du auch nicht wirklich dazu. Diese Form des Engagements,
das sehr viel mit sozialen Status zu tun hat, sollten wir nicht
kopieren.
politik-digital:
Noch einmal konkret zur Rolle des Staates beim Steigern des
Engagements: welche bürokratischen oder rechtlichen Hürden müssten
fallen?
Christian Simmert: Es darf
beispielsweise keine Hürde mehr für Erwerbslose geben, sich
bürgerschaftlich zu engagieren. Ebenfalls müssen kleine Initiativen die
Möglichkeit bekommen Eigenmittel zu erwirtschaften, ohne das ihnen
gleich die Gemeinnützigkeit aberkannt wird. Darüber hinaus brauchen wir
mehr Anerkennung und Förderung der Freiwilligendienste für junge
Menschen: 1. Verbreiterung des Angebotes (die Grünen wollen neben dem
ökologischen und sozialen Jahr auch ein kulturelles einführen) und 2.
müssen die Verwertbarkeit der erworbenen Kompetenz verbessert werden –
das heißt Zertifizierung. Das sind nur einige Beispiele für konkrete
Verbesserungen.
politik-digital:
Beabsichtigt die Enquete-Kommission denn auch "bürgerschaftliches
Engagement" bei ihrer Arbeit? Wird das auch über Netzanbindung möglich
sein?
Christian Simmert: Wir
setzen in der Enquetekommission sehr stark auf das Einbinden von
Verbänden und bürgerschaftlich Engagierten. Für meinen Geschmack geht
es dabei leider zuviel um klassisches Engagement – aber wir arbeiten
dran. Die Enquete-Kommission versucht ihr Internet-Angebot auf den
Seiten des Bundestages ständig zu verbessern, so dass dort feedbacks
möglich sind. Leider ist der Bundestag noch etwas unbeweglicher was
neue Medien angeht, es hat sich hier in den letzten Jahren aber schon
viel getan.
So jetzt muss ich aber langsam vom virtuellen ins wirkliche Leben zurück…
politik-digital:
Vielen Dank für das Interview. Vielleicht ergibt sich nach der
geplanten USA-Reise der Kommission noch mal die Möglichkeit, ein
Gespräch zu führen?`Würde mich freuen…
Christian Simmert: Sehr gerne, vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Carolin Welzel.