Der sperrige Begriff der Partizipation macht allmählich Karriere. Nach E-Voting, E-Government und E-Campaigning erhält nun auch das stets bemüht klingende Mitmachwort die begehrte "E-"Vorsilbe. politik-digital skizziert den Raum für bürgerschaftliche Beteiligung im Internet.
Der sperrige Begriff der "Partizipation" avanciert zum neuen Schlagwort der digitalen Politik. Nach E-Voting, E-Government und E-Campaigning erhält nun auch das stets bemüht klingende Mitmachwort die begehrte "E-"Vorsilbe. Im Januar veranstaltete das "Forum Informationsgesellschaft" einen Workshop zum vermeintlich neuen Modethema, im Mai legen Innen- und Wirtschaftsministerium mit einer gemeinsamen Tagung nach. Und auch für die Enquete-Kommission zur "Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements" ist die digitale Bürgerbeteiligung ein Thema – wird der "mitmachende Bürger" ein anerkannter Player in einer zeitgemäßen Politikarena?
Politikwissenschaftliche Modelle beschreiben Bürgerbeteiligung häufig entlang der vier Phasen des Politikkreislaufs: Themensetzung, Politikformulierung, Politikimplementation und Politikbewertung. In älteren Forschungsansätzen bestehen die Chancen für ein bürgerliches Engagement dabei im wesentlichen in den ersten beiden Bereichen. Das "Mitmachen" ist hier allerdings auf ein relativ indirektes Eingreifen begrenzt, nämlich die gelegentliche Bestimmung politischer Themen oder die Wahl von Repräsentanten in die Parlamente. Eine weitere Beteiligung ist eng an die Übernahme institutioneller Beteiligungsmuster geknüpft, z.B. in Form von Partei-, Verbands- oder Vereinsmitgliedschaften.
Neuere Diskussionen finden inzwischen auch Raum für neue Beiteiligungsformate, die nicht mehr starr an politische Institutionen gebunden sind. Dazu zählen etwa die Planung und Durchführung von Themen-Kampagnen oder Volksentscheiden, das Einbringen von Petitionen, die Mitwirkung an Planungsvorgängen, die Mitarbeit in Bürgerinitiativen oder Protestäußerungen als Kritik und Politikbewertung.
Für eine nähere Beschreibung der "E-Partizipation" wäre es nun erforderlich, entlang des gesamten Politikzyklus nach den "digitalen Entsprechungen" für die unterschiedlichen Beteiligungsformate zu suchen – eine reizvolle Aufgabe für die wenigen internetfesten VertreterInnen der Beteiligungsforschung. Ein neugieriger Blick ins Netz bringt einige Fälle zum Vorschein,
die in verschiedenen Phasen des Politikzyklus ansetzen und zukünftige Möglichkeiten digitalen Bürgerengagements aufzeigen.
E-Partizipation: "die andere Seite" politischer Beteiligung?
Paradoxerweise scheint bürgerschaftliches Engagement gerade in den Zeiten des Internet als die "andere Seite" herkömmlicher Beteiligung im Schoße der Mitgliederparteien einen Aufschwung zu erleben. Während es den Dinosauriern des politischen Systems immer schwerer fällt, dauerhaft für personellen Nachschub zu sorgen, so stürmen beteiligungswillige Bürger die offenen Diskussionsforen virtueller Parteizentralen und politischer Online-Medien sowie andere kommunikative Orte im Datenraum. Das digitale Lesen und Schreiben ist freilich nur der Anfang – die vormals
scharfen Grenzen der Partizipation im üblichen parteilichen Rahmen beginnen zu verwischen: virtuelle Ortsvereine und Landesverbände, digitale Parteizentralen und Parteitage deuten einen Paradigmenwechsel der politischen Partizipation zumindest an: lassen virtuelle Mitgliedschaften die Korsettstangen der Parteiorganisation allmählich zu eng werden?
Über die an virtuelle Parteiaktivitäten gekoppelte Mitarbeit hinaus weisen themenorientierte Online-Kampagnen wie etwa die Bemühungen der "Initiative Ohne Taktung" (IOT) auf neue, ursprünglich parteiferne und zugleich an etablierte Akteure und Institutionen gebundene Partizipationswege hin. Generell gilt, dass "Netzthemen" wie die
Flatrate-Diskussion, Datenschutz, Urheberrrecht oder auch die Netzkultur als Katalysator für bürgerschaftliches, gemeinwohlorientiertes Engagement im Internet wirken (vgl. Artikel M.Hartmann).
Auch für den Bereich der Politik-Implementation, also der konkreten Umsetzung politischer Entscheidungen lassen die Neuen Medien auf innovative Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung hoffen. Dabei ist etwa die Nutzung bürgerschaftlicher Expertise für Planungs-, Mediations- oder Gesetzgebungsverfahren denkbar.
Schließlich sind die diversen Online-Protestaktionen als neuartige Formen einer Politik-Kritik und der Evaluation politischer Resultate denkbar. Bei der Suche nach Beispielen fallen nicht nur die Aktionen der Globalisierungsgegner in Seattle oder Davos ins Auge, auch der inzwischen bereits drei Jahre zurückliegende Studentenprotest im Internet verweist auf die Möglichkeiten digitaler Unmutsäußerungen.
Einen bemerkenswerten Sonderfall stellt hier das "Vote-Swapping" anlässlich der US-Präsidentschaftswahlen 2000 dar – mit ihren herkömmlichen Beteiligungsmöglichkeiten unzufriedene Bürger erkundeten mit dem grenzübergreifenden Stimmentausch einen neuen, besseren Weg zu ihrer Repräsentation im politischen System.
Digitales Bürgerengagement
Neue Beteiligungsformen entstehen jedoch nicht allein durch die konkrete Anbindung an bereits vorhandene Politik-Prozesse, sondern offenbaren sich auch bei einem Blick auf innovative Online-Projekte, die jedoch nur selten als "Beteiligungsprojekete" oder "digitales Bürgerengagement" verstanden werden. Viele der in den letzten Jahren entstandenen Informations-, Kommunikations- und Aktionsplattform sind im besten Sinne Produkte bürgerschaftlichen Engagements – Betreiber, Programmierer, Autoren und Techniker erbringen den größten Teil ihrer Leistungen für solche politischen Projekte im Internet ehrenamtlich und organisieren sich in Vereinen. Nicht selten unterstützen diese nicht-kommerziellen Internet-Projekte die klassischen Angebote öffentlicher
Informationsdienstleister, fügen deren Leistungsspektrum jedoch häufig neue Facetten hinzu und dienen politischen Akteuren als Impuls- und Beispielgeber.
Doch die aktuelle Entwicklung des digitalen Kommunikationsraumes lässt keinesfalls nur blühende Beteiligungslandschaften erwarten: der "bürgerschaftliche Partizipationsraum" des Internet sieht sich einer wachsenden Konkurrenz politischer Unternehmer ausgesetzt, die die allgemeinen Kommerzialisierungstrends der Neuen Medien auch in den Bereich des Politischen hinein tragen. Dies könnte schon in mittelfristiger Sicht zu einem Erdrücken und Ersticken zivilgesellschaftlicher Online-Akteure führen – hier wäre ausdrücklich ein Engagement seitens der Politik gefordert, so dass ein
Schutzraum für eine freie und demokratische Online-Kommunikation erhalten bleibt.