Das Netz als Herausforderung für eine
funktionierende Demokratie
Lawrence Lessig ist Berkman Professor für Verfassungsrecht an der Harvard Universität.
Zusammen mit Charles Nesson hat er dort das Berkman Center für Internet & Gesellschaft aufgebaut und
momentan stellt er ein Buch mit dem Titel "Code" and other Laws of Cyberspace" fertig.
Außerdem schreibt er regelmässig über Internet und Recht im Zentralorgan der digitalen Gesellschaft Wired
und in der New York Times.
Lawrence Lessig |
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Besondere Aufmerksamkeit haben seine Ideen über den Zusammenhang der technischen Struktur des Internet
und der Durchsetzung von Recht und Gesetz im Cyberspace hervorgerufen. Lessig ist der Meinung, daß
Codes – technische Standards und der Softwarecode – den Cyberspace regieren. Das Berkman Center
ist dementsprechend auch der think-tank,
der die Entstehung der "Internet Corporation for Assigned Names
Numbers" (ICANN) begleitet. ICANN wird die Vergabe der Internetadressen
weltweit regulieren. Viele Kritiker befürchten, daß auf diese Art und
Weise eine zentrale Regierung für das Netz entsteht, die zum einen
US-amerikanisch dominiert ist, und zum anderen vor allem Kontrolle über
alle Bereiche des Internets ausüben wird.
Am Berkman Center wird zur Zeit heftig diskutiert wie ICANN eine sinnvolle und gerechte
Repräsentationsstruktur der unterschiedlichen User-Interessen entwickeln kann.
politik-digital: Herr Lessig, Sie sind einer der renomiertesten Beobachter der Entwicklung von Recht und Gesetz im Internet.
Sie haben zahllose Artikel über den Cyberspace, und wie eine sinnvolle Rechtsprechung dort möglich ist, geschrieben.
Wie sind sie eigentlich dazu gekommen, ein Cyberlaw Experte zu werden?
Lawrence Lessig: Ich unterrichte "Gesetze des Cyberspace" seit 1995, habe aber lange vor dieser Zeit
damit begonnen, die Evolution von Recht und Gesetz im Internet zu studieren. Eigentlich liegt meine
hauptsächliche Expertise im Verfassungsrecht und im internationalen Vergleich von Verfassungsrecht.
Aus meiner Sicht ist das aber genau das, was "Cyberlaw" ist.
politik-digital: Niemand weiß so recht wie das Internet als globales Medium effektiv
regiert werden soll. Man hört immer wieder, das der Gesetzgeber das Internet nicht regulieren kann.
Besonders in der Internetgemeinde scheint die Meinung zu bestehen: Im Netz herrsche Anarchie.
Sie haben sich in Ihren Arbeiten immer wieder mit der Frage beschäftigt, wer das Netz regiert.
Zu welchen Schlüssen sind Sie gekommen?
Lawrence Lessig: Die bessere Frage wäre "Was" regiert den Cyberspace. Aus meiner Sicht ist die
übergeordnete Regierungsstruktur des Internet dezentral organisiert, eine "von-unten-nach-oben-Regierung".
Das läßt natürlich sehr wenig Kontrolle von oben nach unten zu. Dies ist also ein fester
Bestandteil des Internetdesigns. Auch wenn standardsetzende Organisationen – einige sind schon älter, andere neueren
Datums – technische Protokolle und Standards entwickeln und unterstützen, die das Design des
Netzes bestimmen, so sind diese Protokolle und Standards keine Werkzeuge die für eine Kontrolle im Netz von oben nach
unten. Sie sind Werkzeuge um miteinander in Verbindung treten zu können und um zu kommunizieren.
Ich habe darüber auch einen kurzen Artikel geschrieben. Er heißt
"The Limits in Open Code".
politik-digital: Sie sind also der Meinung, daß nicht Recht und Gesetz im herkömmlichen
Sinne das Verhalten der Menschen im Netz bestimmen, sondern der "Software-Code" entscheidend ist.
Werden wir also von Nullen und Einsen regiert? Können Sie bitte noch mal genauer erklären warum
technische Standards die Möglichkeiten des regierens im Cyberspace bestimmen?
Lawrence Lessig: Versetzen Sie sich in die Rolle eines souveränen Staates in der realen Welt. Reale
Regierungen müssen, wenn sie das Benehmen von Menschen im Cyberspace kontrollieren wollen, die Möglichkeit
besitzen herauszufinden, wer die jeweilige Person ist. In der ursprünglichen Architektur des
Netzes war die Identität nicht bekannt oder man konnte sie zumindest sehr schwer herausfinden.
In diesem Sinn ermöglicht der ursprüngliche Code keine Regulation durch reale Regierungen.
Aber der Code kann natürlich verändert werden. Digitale Unterschriften zum Beispiel würden vielmehr
Kontrolle ermöglichen.
Und wenn dann also die Architektur anderen Prinzipien folgt, würde es viel mehr Möglichkeiten geben
das Benehmen im Netz zu kontrollieren. Es ist also der Code, in diesem Sinn, der teilweise dafür
verantwortlich ist, Regulation zu ermöglichen.
politik-digital: Also ist eine Regierung für den Cyberspace eigentlich eine Organisation, die
dessen technische Architektur bestimmt?
Lawrence Lessig: Natürlich sind mit Standardsetzung Steuerungsfragen verbunden. Die Entstehung
einer Organisation wie ICANN läßt zumindest die Möglichkeit zu, daß in koordinierter Art und Weise
strategische Standards durchgesetzt werden, die es erleichtern das Verhalten im Cyberspace zu steuern.
politik-digital: Wie werden denn nun diese Regeln implementiert?
Lawrence Lessig: Diese Regeln werden teilweise durch den Code des virtuellen Raumes bestimmt
werden, aber auch durch traditionelle Strukturen.
politik-digital: Stimmen Sie zu, daß – wie es in einem Titel eines Artikels in der New
York Times hieß – das ICANN: "A Kind of Constitutional Convention of the Internet" sei.
Lawrence Lessig: Ja, das ist sicherlich eine faire Beschreibung. ICANN hat zwar nur eine limitierte
Jurisdiktion, aber so ist es bei allen Verfassungsregierungen. Am Anfang haben sie immer eine
begrenzte Möglichkeit der Rechtssprechung.
politik-digital: Denken Sie, daß das ICANN die sehr unterschiedlichen Interessen der Menschen,
die einen immer größeren Teil ihres Lebens im Cyberspace verbringen in ausreichender repräsentiert?
Lawrence Lessig: Naja, momentan bestimmen ausschließlich die Mitglieder von ICANN was die Organisation macht.
Aus meiner Sicht, ist das zwar ein wertvoller Versuch, aber auch extrem schwierig durchzuhalten.
Wir haben am Berkman Center mit einigen Modelle deliberativer Umfragen experimentiert.
Solche Methoden könnten die Mitgliedsstruktur ergänzen. Ich denke, der Schlüssel zur Lösung des
Problemes liegt darin, daß man kreativ darüber nachdenken muß wie man in ausreichendem Maße
input in die Organisation hinein bekommt, ohne das eine Gruppe die zu mächtig wird.
politik-digital: Sollen also nicht nur Internet-shareholders sondern auch stakeholders
die Entscheidungen von ICANN beeinflussen?
Lawrence Lessig: Stakeholders sollten natürlich Einfluß haben, aber jeder ist ein stakeholder. Ich halte
nichts von Konzepten, die Regierung durch stakeholder wollen, aber stakeholders ausschließlich
als solche definieren die bereits Investoren sind.
politik-digital: Was halten Sie eigentlich von den Befürchtungen der Europäern,
daß ICANN von US-amerikanischen Interessen dominiert wird?
Lawrence Lessig: Das ist natürlich eine berechtigte Sorge, aber ich denke, daß sich ICANN dazu
verpflichtet hat eine Balance zwischen den verschiedenen Interessen herzustellen.
Es wird jedoch wesentlich schwieriger sein ICANN als wirklich internationale Organisation
zu etablieren. Die Frage ist jedoch, ob dies dann die USA und Europa wirklich mögen werden.
politik-digital: Wie stellen sie sich also ein funktionierendes Modell zur Internetregierung vor?
Was sind die entscheidenden Punkte?
Lawrence Lessig: Es muß ein ganz neuartiges Regierungsverständnis sein – nicht eines indem nur die
Insider Kontrolle haben oder wo es nur so aussieht als würde es Demokratie geben, aber in Wirklichkeit
business as usual herrscht. Das Netz ist eine neue Herausforderung und bietet neue Möglichkeit
für eine funktionierende Demokratie. Es wird jedoch nicht funktionieren, wenn es ein Modell
alter Demokratie sein wird.
politik-digital: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Lawrence Lessig führte Christian Ahlert.