Die virtuelle Diskussion stärkt die Kompetenz.

 

Als Politiker, der die
neuen Medien als Herausforderung einer intensiveren politischen
Kommunikation begreift und täglich mit diesen umgeht, möchte ich auf
einige persönlichen Erfahrungen als erster "Online-Abgeordneter" des
Deutschen Bundestages eingehen: Nicht wissend, worauf man sich bei
einem solchen Experiment einläßt, wollte ich vor nunmehr über 3 Jahren
die vielgepriesenen Möglichkeiten der neuen Informations- und
Kommunikationsmöglichkeiten nutzen. Dies wurde sowohl im Netz auch in
der Öffentlichkeit mit großem Interesse aufgenommen. Schon bald gingen
täglich Dutzende von Mails ein, mit der Bitte um Stellungnahmen oder um
Informationsmaterial zu allen erdenklichen Themen, mit der Bitte um
Weiterleitung oder einfach auch aus dem Wunsch der Kontaktaufnahme.
Immer mehr wurde mein elektronisches Postfach zum Gateway der
SPD-Bundestagsfraktion und auch des Deutschen Bundestages. Diese Fülle
konnte natürlich kaum noch bewältigt werden, und schon bald war man mit
der dem Netz eigenen "Zeiterfahrung" konfrontiert, was sich dann
ungefähr folgendermaßen äußerte: "Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich
schicke Ihnen innerhalb von 24 Stunden bereits die dritte Mail und habe
noch immer keine Antwort. Daraus schließe ich, daß sie die neuen
Kommunikationsmöglichkeiten nicht ernst nehmen und gar kein Interesse
an einer direkten Kommunikation mit dem Bürger haben." Davon konnte
natürlich gar keine Rede sein.

Inzwischen haben fast alle
Ministerien, der Bundestag, die Parteien und Fraktionen und auch das
Bundeskanzleramt den Weg auf die weltweite Datenautobahn gefunden und
nutzen diese neue Form der politischen Kommunikation, auch die
Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind inzwischen über e-Mail
erreichbar. Dabei bestimmen aber, wie dies bereits festgestellt wurde,
noch immer – ganz im Sinne der klassischen Verteilmedien – die
Informationsangebote die politischen Seiten des Netzes, nicht der
Informationsaustausch.

Für meine politische Arbeit
im Ausschuß für Bildung und für die Arbeit der Enquete-Kommission
"Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg
in die Informationsgesellschaft" haben sich durchaus positive
Erfahrungen im Umgang mit den neuen Medien ergeben. Von Anfang an war
es dabei ein zentrales Anliegen, den Alltag eines
Bundestagsabgeordneten im "Raumschiff Bonn" und im Wahlkreis
transparenter zu machen. Enorme Unterstützung gaben bei den
Anfangsschwierigkeiten – zu nennen sind beispielsweise die technischen
"Hürden" – die Initiatoren des Projektes "Abgeordnete ans Netz",
welches von der FU Berlin durchgeführt wurde. Mit diesem Projekt ist es
erstmals gelungen, aus jeder Fraktion einen (e-Mail-) Abgeordneten als
Ansprechpartner in den neuen Medien zu gewinnen und so auch die
Bedeutung dieser neuen Kommunikationsformen in den politischen Alltag
hinein- und die Arbeit des Parlamentes in das Netz hinauszutragen.
Dabei reichte das Angebot von Informationen über den "typischen"
Tagesablauf einer Sitzungswoche in Bonn, also den Arbeitsrhythmus des
Parlamentes, über die Arbeit im Wahlkreis bis hin zur Diskussion über
die "Diäten". Jedoch bieten die neuen Medien nicht nur neue
Möglichkeiten für den Politiker, auf sich "aufmerksam zu machen",
sondern vor allem die Möglichkeit, die politische Arbeit ungefiltert
darzustellen, weltweit zu recherchieren und Kontakt zu einer nahezu
unbegrenzten Fachöffentlichkeit – und damit einen entscheidenden
Kompetenzzuwachs – zu bekommen. Und – um ein weitverbreitetes Vorurteil
aufzugreifen: Das Netz macht keineswegs einsam. Die Zahl der
persönlichen Kontakte zu sehr interessanten Persönlichkeiten hat sich
enorm ausgeweitet; viele Experten, die meine politische Arbeit
unterstützen, habe ich in diesen Netzdiskussionen kennen- und schätzen
gelernt.

Von Anfang an war es ein
wichtiges Ziel, nicht nur Informationen anzubieten, sondern vielmehr
den Austausch und die Diskussion zu suchen. Schwerpunkte dieser
Netzdiskussionen waren beispielsweise große und kleine Anfragen an die
Bundesregierung (und natürlich deren Antworten) und Anträge der
SPD-Bundestagsfraktion, die schon während des Entstehungsprozesses –
also schon während der Konsenssuche innerhalb der Fraktion oder der
Arbeitsgruppe – im Netz zur Diskussion gestellt worden. Oft ergaben
sich aus diesen Diskussionen wertvolle Anregungen, ebenso oft natürlich
auch kritische oder nachdenkliche Anmerkungen.

Und – wie in der
Mund-zu-Mund oder massenmedialen Kommunikation ja bekanntlich auch –
gab es bei der elektronischen Kommunikation ebenso gewollte und
ungewollte Mißverständnisse, mit denen man lernen muß, umzugehen.
Anfangs ergaben sich diese oft allein daraus, daß die Antworten der
Bundesregierung auf Anfragen der SPD-Fraktion demjenigen zugerechnet
wurden, der sie im Netz veröffentlichte – der Bote oder Überbringer der
Botschaft wird für die Inhalte verantwortlich gemacht, wenn auch nicht
mehr geköpft! Zu nennen ist hier vielleicht auch die eigendynamische
Streitkultur und die dem Netz – damals noch weitaus mehr als heute –
typische Unkonventionalität. Dies zeigte sich beispielsweise in dem
"anstrengenden" Umgang mit hunderten von Protestmails.

Zusammenfassend läßt sich
feststellen: Die neuen Informationsmöglichkeiten und die dadurch
beschleunigte Herausbildung der Informationsgesellschaft bringen – wie
jede technische Neuerung – Risiken und Chancen mit sich. Wie es für die
Risiken gilt, diese zu erkennen und zu minimieren, gilt dies in
gleicher Weise für die Chancen. Die neuen Informations- und
Kommunikationsmöglichkeiten können zur Modernisierung der Demokratie,
zur Intensivierung der politischen Kommunikation und zur Herausbildung
einer neuen Form von Öffentlichkeit beitragen, die eine demokratische
Gesellschaft erst möglich machen – nutzen wir diese Chance und Aufgabe!
Denn, was wäre die Alternative? Versäumt die Politik diese
Herausforderung, werden in Zukunft die Gesellschaftsentwürfe ohne sie
debattiert – und das wäre der wirkliche Abschied der Politik.