Nordrhein-Westfalens Hauptstadt verlangt nach
einer multimedialen Schlüsselrolle


Ein langer Weg: einst war die Stadt keine Stadt,
sondern nur Dorf am Rhein. Den Titel "Stadt" durfte sie erst tragen,
nachdem ihr 1288 solcherlei Rechte verliehen worden waren. 710 Jahre
später träumt Düsseldorf, eine Stadt über 569 658 Einwohner (laut online
gestellter Statistik vom 30. Juni 1998) von einer multimedialen
Metropolisierung, von einer Mediatisierung mittels Bits und Bytes,
kurzum der Digitalen Stadt.

Ein Verein und sein "Düsseldorfer Modell"
Die "Digitale Stadt Düsseldorf" (DSD) ist sowohl Leitbild als auch Name
einer konkreten Initiative, eines gemeinnützigen Vereins, der am 26.
Juni 1995 von den Herren Bickenbach (seinerzeit Stadtdirektor), Eversmann
(Stadt-Sparkasse), Lange (Europäisches Medieninstitut), Grosche (Matrix
GmbH) und wenigen anderen gegründet wurde
(http://www.digitalestadtduesseldorf.de).

Erklärtes Ziel: die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt durch den Zusammenschluß aller
Anwender in der Stadt, Vernetzung der Unternehmen und Institutionen, zu
einem herausragenden Standort für Multimedia zu entwickeln. Unter den
Mitgliedern der DSD tummeln sich heute die Deutsche Telekom, o.tel.o.,
ISIS, Henkel, die Messe Düsseldorf und zahlreiche Einzelpersonen.
Angeschlossen haben sich die Heinrich-Heine-Universität, die
Fachhochschule, VHS und die Kammern – in Fachkreisen, so erklärt
DSD-Geschäftsführer Dr. Wolfgang W. Schmitt, spreche man bereits vom
"Düsseldorfer Modell". Der diplomierte Kaufmann und Psychologe will kein
weiteres Pilotprojekt in Wirtschaft oder Verwaltung leiten, sondern
Dienstleistungen und Kontakte rund um das Internet motivieren und
Existenzgründer im Medienumfeld mit Rat und Tat unterstützen. Glanzstück
seiner bisherigen Arbeit: die Initiative "Schulen ans Netz", bei der
etliche Klassenräume der Landeshauptstadt mit Rechnern ausgestattet
wurden.

Die ortsansässige ISIS sponsert den Schulen mittlerweile das teure
Online-Sein. Mit solcherart Dienstleistung rüttelt Schmitt an Barrikaden
des Alltags: ein vereinsgebundener Lehrer, der für seine Schüler einen
PC organisieren will und von seinem technologiefeindlichen Direktor kein
grünes Licht erhält, wird mit dem ungleich aufgeschlosseneren Amtsleiter
vernetzt – und die Sache ist geritzt.

Zehn Arbeitskreise innerhalb der DSD beraten regelmäßig über Themen wie
Multimedia im Handwerk, Digitales Fernsehen oder E-Commerce. Eine
virtuelle "Düsselstadt", die Artikel wie Bücher und CDs zum Kauf anbieten soll,
ist projektiert – entsprechende Shopping-Systeme, welche in die
Warenwirtschaft einzelner Unternehmen eingreifen, stehen zur Prüfung an. Schmitts DSD
betreibt Basisarbeit im Dienste der digitalen Ära, die man zwischen
Düssel, Rhein und Anger auf keinen Fall verpassen will.

"De Digitale Stad" – der Prototyp im Nachbarland
Das namentliche Label, das sich der Düsseldorfer Verein gegeben hat,
versteht sich gleichwohl ganz anders. Als Namenspatron und Ideengeber
gilt "De Digitale Stad", die 1994 von Computerfreaks in Amsterdam entwickelt
wurde, um eine lokale Nutzung der neuen Kommunikationstechnologien zu
verwirklichen. Innerhalb des WorldWideWeb existiert hier eine virtuelle
Stadt mit lokalen Einrichtungen wie Parlament und Bibliothek. Neben der
Stadtverwaltung, die ihre öffentlichen Sitzungsprotokolle und
Projektbeschreibungen einspeist, beteiligen sich Gruppen wie die
Anne-Frank-Stiftung, amnesty international, Jugend- und Kulturvereine
und einige lokale Zeitungen. Aktivitäten gegen den Ausbau des Flughafens
Schiphol wurden von Projektbeginn an hier koordiniert.

Das digitale Amsterdam gilt als erfolgreicher Prototyp für viele
ähnliche Projekte, die eng von den Charakteristika des Internet – jederzeit und
weltweit zugänglich – sowie den dezentralen Praktiken der amerikanischen
und kanadischen Free-Nets profitieren: Diese liefern den Bürgern freien
Zugang zu städtischen Informationen und bieten eine Plattform für
elektronische Diskussionen. Einen festen Platz in solchen "Städten"
können sowohl ehrenamtliche Organisationen und Vereine mit gemeinnützigen
Interessen wie interessierte Künstler haben. Da die Digitale Stadt (DS)
potentiell allen Einwohnern Zugang gewähren will, verfielen ihre Anreger
(etwa die des digitalen Wien) auf die Idee, in Caféhäusern, Museen,
Bahnhöfen, Flughäfen, Rathäusern und anderen öffentlich zugänglichen
Räumen, Computer aufzustellen, um auch denjenigen Zugang zu ermöglichen,
die daheim noch keinen Internetzugang haben. Impetus einer DS ist es
also, die Bürokratie zu öffnen und auf der anderen Seite jeder Privatperson
und jedem organisierten Bürger ein wirkungsvolles Werkzeug zur Verbreitung
seiner Ideen und Aktivitäten und damit mehr Macht und Verantwortung zu
geben. Im Idealfall kann eine DS kommunale Politik transparenter und
Entscheidungsprozesse verständlicher machen. Im Idealfall ermöglicht
eine DS dadurch mehr Gestaltungsmöglichkeiten in der realen Politik.

Website mit dem Charme eines Telefonbuches
Die Stadt Düsseldorf rühmt sich gerne, Anfang der 80er Jahre eine
der ersten deutschen Städte mit praktischem Blick für die elektronischen
Medien gewesen zu sein. Die Telekom saß in Düsseldorf, und die Stadt stellte
ein gutes Dutzend BTX-Terminals in den öffentlichen Raum, über welche
Stadtinformationen bisweilen viersprachig abzurufen waren. Leider waren
die freistehenden Kioske, so erzählt man sich heute, ständig zerdeppert.
"Die einzigen, die wirklich zum Gucken kamen", berichtet Wolfgang Schroeter,
der im Werbe- und Wirtschaftsförderungsamt die Abteilung Werbung und
Öffentlichkeitsarbeit leitet, "waren Behördenangestellten, die wissen
wollten, ob ihr Name irgendwo auftaucht".

Umso überraschender, daß erst
eine Dekade nach diesen Mißerfolgen, nach langer "Teststrecke" Anfang
der 90er Jahre, alle durchweg defekten Stationen abgebaut wurden. 1995 dann,
zeitgleich mit dem 1. Forum für digitale Marketing-Kommunikation, der
Düsseldorfer "komm", tauchten die vormals über BTX verbreiteten
städtischen Informationen im Internet wieder auf: Düsseldorf startete
seine offizielle Website und kleckerte immer mal wieder ein paar Daten
hinein. Im Hintergrund bastelte man bereits an einem bis heute noch
nicht vollendeten Intranet, das alle internen Dienststellen der
Stadt Düsseldorf verflechten soll.

Nach ihrem Redesign im Frühjahr dieses Jahres wirft die Website mit dem
ehrwürdigen Wappen des bergischen Löwen nun monatlich 250.000 Pageviews
ab.

Das Bildarchiv der Landeshauptstadt wurde überholt und hält mehr als
100 hochauflösende honrarfreie Aufnahmen im JPG-Format vor, in den
Software-Downloads finden sich hübsche Spielereien wie ein
Bildschirmschoner und ein nützlicher Hotelführer. Dennoch: die Site hat
den Charme eines Telefonbuches. Die Ansprechpartner in den Ämtern haben
keine Namen, sondern sind bloße Nummern, weil die Landesbeauftragte für
Datenschutz bedenklich den Kopf schüttelte und die Stadt es versäumte,
ihre Mitarbeiter um schriftliche Einwilligung zu bitten. Ein 24 Stunden
rund-um-die-Uhr erreichbares Bürgerhaus, aus dem heraus Formulare zum
An- und Abmelden angeboten werden, gibt es noch nicht. Filmische
Stadtrundgänge ebensowenig, "weil die solange laden".

"Nutzer, die auf unsere Seiten gehen", so Schroeter, "wollen erstmal knallharte Informationen. Und
viele verwenden gar nicht die neueste Technik. Was wir anbieten, muß alles
unter Netscape 3.0 laufen". In der sogenannten "Internetkonferenz" der
Stadtverwaltung kommen Stadtwerbung und Presseamt zusammen, wenn über
neue Inhalte gesprochen werden soll. Die Praxis obliegt den Mitarbeitern in
den Ämtern: Schroeter und seine Leute pflegen den städtischen
Online-Kalender und andere touristische Informationen selbst ein, wofür sie aus einem
Seitenetat für Öffentlichkeitsarbeit und Elektronische Medien schöpfen.
1997 gab man etwa 50.000 Mark für neue Software und IT-Schulungen aus.

Touristische Daten reüssieren vor dem Bürgerinformationssystem
Obwohl die Düsseldorfer Verwaltung früh den elektronischen Gang in den
heute als "unreif" apostrophierten Raum "da draußen" unternommen hatte,
ging es und geht es auch bei der nunmehr bevorstehenden Offensive nicht
um den Einwohner. Zunächst sollen mittel- und unmittelbare kommerzielle
Interessen befriedigt werden. Dann erst begibt man sich daran, so etwas
wie eine städtische Öffentlichkeit, ein digitales Rathaus, zu versuchen.
"Wir möchten vor allem den Touristen ansprechen", gibt Wolfgang Schroeter
unumwunden zu.

Seit April hat die Firma Siemens Order, eine Handvoll
Terminals zu liefern, die zunächst im Rathaus und den exponierten
Bürgerbüros wie Kaiserswerth und Gerresheim – später am Flughafen,
Hauptbahnhof – verteilt werden sollen. In Verbindung mit einer
elektronischen Checkkarte, welche die Stadt-Sparkasse beisteuert, werden
dem Messebesucher und Otto-Normal-Tourist Stadtpläne,
Veranstaltungskalender und allgemeine Informationen über
Sehenswürdigkeiten offeriert. Ehrgeizige Wünsche, die den Nutzer freuen und das Ansehen
heben werden: die Einbuchung ins Hotel, die Ticketreservierung, das
bargeldlose Bezahlen – Vorgänge, für die erst seit Ende September in der
Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post gesetzeskonforme
Weichen gestellt wurden, als man dort die digitale Unterschrift verabschiedete.
Am 1. Januar 1999 sollen die ersten Zertifizierungsstellen in 800
Geschäftsstellen der Deutschen Telekom in Betrieb gehen. Debis will mit
D-Trus im ersten Quartal 1999 starten, die Sparkassen und die Deutsche
Bank arbeiten daran, ein Starttermin ist derzeit jedoch noch unklar.

Keine Teilnahme am "MEDIA@Komm – Städtewettbewerb"
Ein digitales Rathaus steht an den öffentlichen Terminals nicht im
Vordergrund; irgendwann, so Schroeter, wird diese Phase mit drei minder
sensiblen Testfeldern zünden: zum einen der Möglichkeit, eine
Steuererklärung für seinen Hund abgeben (Schroeter: "Da gibt es
offenbar Bedarf") – verbunden mit dem Einzug für das erste halbe Jahr, damit
Nachbar A nicht auf die Idee kommt, dem ungeliebten Nachbarn B drei Köter auf
einmal anzudichten – , zweitens der Möglichkeit, entliehene
Stadtbibliotheksmedien zu verlängern, drittens Formulare herunterzuladen
und gleich auszudrucken, womit sich der erste Weg zum Amt und
irgendwann womöglich der 8-Uhr-Stau vor der Tür mit dem Buchstaben "K" erledigen
würde.

Lapidare Aussagen sollen den Skeptiker beruhigen: "Wir haben unseren
Vorsprung genutzt", "wir sind im vorderen Feld", "wir wollen führender
Anbieter bleiben" – so hört man aus dem Werbe- und
Wirtschaftsförderungsamt hinter der Andreaskirche, wenn man nach den
Visionen fragt, mit denen sich Düsseldorf zur Jahrtausendwende im
Umfeld anderer Digitaler Städte und Rathäuser positionieren will. Umso
merkwürdiger und zugleich bedauernswert, daß weder dem Land, welches im
übrigen die Ansiedelung der von der Stiftung Bertelsmann initiierten
Medienakademie am repräsentativen Standort Düsseldorf verspielte und
diese in den Mediapark Köln entfleuchen ließ, noch der Düsseldorfer
Stadtspitze, noch Schmitts Verein genug daran gelegen war, die Wiege Harry Heines in
den "MEDIA@Komm – Städtewettbewerb Multimedia" hineinzubringen. Den nämlich
hatte das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und
Technologie im Februar ausgerufen, um einem augenscheinlichen Defizit
auf kommunaler Ebene zu begegnen.

Im Mai wurden die Sieger bereits bekannt gegeben: Die Jury wählte die
zehn besten aus insgesamt 136 Ideen aus und förderte sie mit bis zu 150.000
Mark für die Ausarbeitung eines detaillierten Konzeptes. So liegt der
Schwerpunkt des Esslinger Projektvorschlags auf virtuellen
"Marktplätzen", die, wie ihr reales Vorbild, der Abwicklung von Geschäften und der
Kommunikation dienen. Einen erheblichen Raum nehmen
arbeitplatzschaffende Maßnahmen ein. Im Rahmen des Projektes will die Stadt Esslingen unter
umfassender Nutzung der Möglichkeiten des Signaturgesetzes eine
Verwaltungsreform durchführen und kommunale Dienste auf elektronischem
Weg anbieten. Die Verknüpfung mit anderen regionalen Initiativen ist
vorgesehen. Die Übertragbarkeit wird durch ein Franchising-Konzept, für
das schon mehrere Lizenznehmer gefunden wurden, erleichtert. Die konkrete
Umsetzung prämierter Ideen wird mit einer Anschubfinanzierung von
insgesamt bis zu 60 Millionen Mark unterstützt, Kooperationen von Verwaltung und
Wirtschaft in der sogenannten private public partnership sollen die
späteren Kosten auffangen.

Es sieht so aus, als hätten Rüttgers Gewinner die Nase weit im Web.
Berlin, Bremen, Dortmund, Esslingen, Karlsruhe, Köln, Leipzig, Rathenow, die
Region Nürnberg und der Landkreis Kitzingen – sie alle könnten Düsseldorf
überholen, da sie nun Geld, Idee und Motivation besitzen, um die ersten
zu sein, die einen umfassenden Dialog zwischen Bürger und Amt auf der
Basis von Wissensystemen und mittels elektronischer Formulare führen
können. Zu hoffen ist dies: daß die Stadt am Rhein, die sich so gerne eine
führende multimediale Rolle zusprechen möchte, beispielsweise zur Expo 2000 nicht
als digitales Dorf hintenansteht.