“Kein Stein wird auf dem anderen bleiben”. So pathetisch begann der
Abschlußbericht einer Enquete-Kommission des Bundestages zu “Zukunft
der Medien”. Zweieinhalb Jahre lang saßen Parlamentarier und
Sachverständige beisammen und berieten, wie es mit “Deutschlands Weg in
die Informationsgesellschaft” weitergehen solle.
Was 1998 herauskam, war in mehrfacher Hinsicht Stückwerk. Zum einen
wurde ein beeindruckender Strauß von fünf Zwischenberichten verfaßt,
in denen Parteien, Interessenten und Einzelpersonen ihre Denkspur
hinterließen. Zum anderen gab es den Schlußbericht, in dem alles noch einmal zusammengeführt werden sollte. Was so geordnet daherkommt, wird immer
von ein wenig Improvisation und Chaos begleitet. Aber das ist der eher
sympathische Teil. Wenn es zur Sache ging, kamen oft nur Gemeinplätze
heraus. Wie der oben zitierte Einleitungssatz, der aus einem in Auftrag
gegebenen Gutachten der Unternehmensberatung Roland Berger stammt.
Wer sich in Plattheiten flüchtet, kaschiert damit oft Unbeweglichkeit und Richtungslosigkeit. Die Einrichtung dieser Enquete-Kommission war
einst von den Grünen gefordert worden, die freilich “Mediengesellschaft”
in den Mittelpunkt stellen wollten und eher an Konzentration und
Niveauverfall interessiert waren. Die Sozialdemokraten gewannen sie als
Bündnispartner, denn allein wären sie nicht antragsberechtigt gewesen.
Die aber dachten viel mehr an High Tech, an Informations- und
Kommunikationstechniken und sorgten dafür, daß es nun Chancen und
Risiken der “Informationsgesellschaft” im Mittelpunkt standen. Dieser
paradigmatische Begriff war 1994 vom eher geschwätzigen Kommissar
Martin Bangemann in Brüssel lanciert worden.
Als klar wurde, daß die Kommission kommen würde, bastelten auch
Christdemokraten mit, setzten aber optimistische Akzente, nun war
vor allem von Chancen die Rede, kaum mehr von Risiken.
Das Interesse der Sozialdemokraten war verständlich, denn sie
konnten auf den Vorsitz rechnen. Derartige Positionen sind unter
Parlamentarien höchst begehrt, denn sie versprechen Machtressourcen,
sprich Mitarbeiterstellen und jährlich sechsstellige Gelder für Gutachter.
Vorsitzender werden, das markiert ein Ende des Hinterbänkler-Daseins
und qualifiziert für höhere Amter. Der Ex-Vorsitzende Siegmar Mosdorf
wußte seine Chance zu ergreifen. In der rot-grünen Regierung ist er zum Parlamentarischer Staatsekretär im Ministerium für Wirtschaft und
Technologie avanciert.
Die Besetzung einer Enquete-Kommission erfolgt auf beiden Seiten –
Parlamentarier und Sachverständige – nach Parteiproporz:
Die Größe der Fraktion bestimmt die Anzahl der Mitglieder.
Formal sind die externen Sachverständigen, zumeist Wissenschaftler,
gleichberechtigt. Faktisch wird ihnen vom ersten Tag an verklart,
daß sie nur Gäste auf parlamentarischem Parkett sind.
Zuarbeit und Formulierungshilfe sind erwünscht, ansonsten wird
Fraktionsdisziplin und Unterordnung erwartet. So blieb das Management
der Kommission in den Händen einiger weniger Parlamentarier, die sich
eine von außen kaum durchschaubare informelle Struktur aufbauten. Der
Name dafür lautet Obleutegremium, Treffen fanden im
Bundestagsrestaurant oder im Presseclub statt. Dort wurden die
Mitarbeiterstellen besetzt (auf die ausgeschriebenen fünf Positionen
meldeten sich 700 Bewerber) und wie zufällig kamen die Glücklichen
regelhaft aus den beiden großen Parteien.
Obleutegremien begleiten in Bonn alle Ausschüsse und sollen unstrittige
Dinge im Vorfeld bereinigen. Das gibt Sinn, nur waren bei uns zwei
zentrale Vorgaben nicht eingehalten: Zum einen sind die nicht-
parlamentarischen Sachverständigen von deren Arbeit vollständig
ausgeschlossen, zum anderen entschieden diese Obleute anstelle der
Kommission. Was sie beschieden, wurde sogleich von
der Bundestagsverwaltung umgesetzt. Was hier wie eine Verirrung im
parlamentarischen Prozedere wirkt, hatte weitreichende Konsequenzen.
Zwar delegieren eigentlich alle, also auch kleine Parteien, in dieses
Gremium Faktisch haben ihre Vertreter aber so viele Termine
wahrzunehmen, daß sie kaum präsent sind. Folglich waren Vertreter der
großen Parteien und ihre Leute im Kommissionssekretariat oft unter
sich. Lag es da nicht nahe, Paketlösungen zwischen den beiden großen
Parteien auszuhandeln? Im Klartext: Man saß in kleiner Runde beim Essen
beinander und kungelte Steuergelder aus. Dabei ging es nicht nur um die
Verteilung von Pfründen. Die großen Parteien wollten auch unliebsame
Überraschungen vermeiden. Während die CDU/CSU-Vertreter
dafür sorgten, daß die aktuelle Medien- und Technologiepolitik der
Bundesregierung nicht durchkreuzt wurde, profilierte sich die SPD
mit viel Techno-Speak als zukunftsoffene Partei. Zwar waren sie sich
nicht immer einig – etwa zu den öffentlich-rechtlichen Anstalten gibt
es unversöhnliche Gegensätze -. Gleichwohl überwog das gemeinsame
Interesse, einen argumentativen Mainstream nicht zu verlassen.
Die Sorge vor unplanbaren Querschüssen war offensichtlich groß, so
wurden vor allem bewährte Wissenschaftler im Umfeld der beiden
großen Parteien beauftragt. Folgerichtig wirkten viel der vorgelegten
Ergebnisse wie “recyclet”, ein berechenbares Mittelfeld wurde nicht
verlassen. Der Nachteil ist offensichtlich: Neue Ideen hatten keine Chance.
Das heftige Bemühen der Grünen, wenigstens einen Gutachtenauftrag
zu ergattern, scheiterte an undurchsichtigen Haushaltskürzungen.
So blieb ihr nicht ganz unwichtiges Thema, digitales Fernsehen,
unbearbeitet. Ging es um die Ladung von Fachleuten, so sonnte man
sich gern im Umfeld klingender Namen, weniger aus der Wissenschaft
als aus der Wirtschaft. Und immer wieder tauchte SPD-Favorit
Bertelsmann auf, der schon einen Sachverständigen in der Kommission
stellen durfte. Sogar bei einer Anhörung von Wissenschaftlern trat ein
Top-Manager des Hauses auf, ein Professoren-Titel qualifizierte ihn
offensichtlich dafür. Wen wundert da noch, daß Ex-Vorsitzender
Mosdorf sich inzwischen in Gremien der Bertelsmann-Stiftung tummelt?
Die faktischen Macht-Hierarchien im Bundestag hatten noch weitere
Konsequenzen. Ein Politiker geht dorthin, wo etwas zu holen ist – also in die kleine Kungelrunde und nicht in die öffentlichen Hearings. Als sich eine
Redakteurin der Frankfurter Rundschau in eine der wenigen öffentlichen
Kommissions-Anhörungen verirrte, schlagzeilte sie: “Gähnende Leere
auf den Stühlen der Volksvertreter” (19. 3. 1998). Der Vorsitzende
war nach ihrer Beobachtung kurz nach der Begrüßung enteilt,
so stellte sie lakonisch fest:”Den Volksvertretern scheint es weniger
um sachverständige Beratung als um die Profilierung ihres Namens
zu gehen.” Wohl wahr.
Die High-Tech-Show der Kommission mit Lokalterminen bei
IBM und der Telekom, bei AOL und der GMD überdeckte eigene
Phantasielosigkeit. In festgefügten Bahnen diente sie der
Selbstprofilierung Einzelner. Die Chance wurde vertan, über den
parlamentarischen Tellerand zu schauen und einen offenen Diskurs über
unser aller Zukunft zu führen. Dabei traf es nicht nur unangepasste
Wissenschaftler. Auch Abgeordnete, die wirklich am Thema arbeiteten,
wie der SPD-MdB Jörg Tauss und der grüne MdB Dr. Manuel Kiper hatten es
schwer. Ihre Arbeiten zur Datensicherheit zählen zu den wenigen
innovativen Beiträgen in der Kommissionsarbeit. Tauss, dem übrigens die
Bundestagsverwaltung einst den Betrieb eines Modems am Telefon
untersagte, sitzt auch 1999 noch auf der Hinterbank; Kiper wurde von
der eigenen Partei nicht wieder aufgestellt. Umgekehrt saßen in der
Kommission Personen, die eingestandenermaßen keinerlei praktische
Erfahrung mit den neuen IuK-Techniken hatten. Trotz aller
modernistischer Rhetorik: Da etliche Mitglieder über keine
funktionsfähige Email-Adresse verfügten, wurden Berge von Papier
versandt.
Weil es um Öffentlichkeitswahrnehmung geht, sagt die Kommission in
ihrem Schlußbericht ganz tolle Dinge zu “Bürger und Staat 21”. “Mehr
Information für die Bürger” und “Neue Beteiligung der Bürger an der
politischen Willensbildung” sind nur einige der Stichworte. Während
hier Transparenz und elektronische Demokratie beschworen werden,
praktizierten die Diadochen der Kommission das genaue Gegenteil. Dabei
wurden offensichtlich sogar die Geschäftsordnung und eigene Beschlüsse
des Hohen Hauses mißachtet. Das läßt sich korrigieren. Was bleibt ist,
daß hinter Wortkaskaden von Modernisierung und Zukunftswillen alles
nach den alten Regeln abläuft. Und die besagen, daß Politiker ihre
Geschäfte so lange nach ihren Karrierevorstellungen gestalten, wie die
Bürger ihnen dies durchgehen lassen. Kurz gefaßt: Wir haben die
Politiker, die wir verdienen.
Nehmen wir die allseits beschworene Transparenz. Schwer zu glauben,
aber bereits der Zonenpresserat der ehemals britischen Zone
beschäftigte sich 1949 mit Richtlinien für eine weitgehende
Auskunftspflicht der Behörden. 50 Jahre später schimmeln immer
noch Vorschläge zu einer “Freedom of Information”-Gesetzgebung
in Bonner Schubladen. Politiker opponieren nicht offen, es bewegt sich
nur nichts. Nun steht sie wenigstens im Koalitionsvertrag, wir werden
sehen. Die Waffe gegen diesen Hofschranzen-Parlamentarismus ist
nicht Revolution, sondern alltäglich realisierte Transparenz und Offenheit.
Warum müssen Enquete-Kommissionen hinter verschlossenen
Türen tagen? Warum werden in Berlin Ausschußräume ohne
Zuschauer-Galerien gebaut? Die Öffentlichkeit von Aussschußsitzungen
ist keine Verfassungschutz-verdächtige Forderung, im Freistaat Bayern
wird sie längst praktiziert. Warum sprechen wir selten über einen
Parlaments-TV-Kanal? Weil es rund um den Bundestag kaum öffentlich
zugängliche Veranstaltungen gibt, die übertragen werden könnten.
Das Plenum tagt (so will es das Grundgesetz) grundsätzlich öffentlich,
alles andere ist regelhaft verschlossen. In Washington füllt die Parlamentsberichterstattung dagegen zwei 24-h-Kanäle: C-Span 1 und 2.
Die Geheimniskrämerei unserer Parlamentarier ist funktional,
sichert sie doch finanzkräftige Erbhöfe und fördert Gutsherrenallüren,
mit denen sie ihre Hintersassen gut im Griff behalten. Die längst
überfällige Reform kann nur von außen erzwungen werden.
Bürger haben heute ein stärkeres Argument als jemals
zuvor, weil das Internet geradezu nach Transparenz ruft: Per
Videostream können problemlos alle parlamentarischen Sitzungen
übertragen werden. Arbeitsmaterialien, längst in Datenbänken digital
abgelegt, müssen Interessenten zugänglich gemacht werden. Statt
inszenierter Öffentlichkeitsauftritte benötigen wir alltägliche
Zugänglichkeit. Um in der Bergerschen Metapher zu bleiben: Das
versteinerte Gefüge des Parlaments benötigt ein wenig Beben, damit
durch die Maueröffnungen frischer Wind weht. Denn unsere Zukunft
hat besseres als steinerne Phrasen verdient.
Referenz: Enquete-Kommission Zukunft der Medien in Wirtschaft
und Gesellschaft. Deutscher Bundestag (Hrsg): Deutschlands Weg
in die Informationsgesellschaft. Bonn 1998.
Der Autor war von Bündnis90/Die Grünen nominierter Sachverständiger
in dieser Enquete-Kommission
erschienen: Journalist, Nr. 10, S. 26-28