(Start-)Schwierigkeiten eines Vorzeigeprojekts

Mit vier Wochen Verzögerung ging das Prestigeobjekt der bayerischen Staatsregierung am 11.
Dezember 2000 online: Unter der Domain http://www.baynet.de befindet sich der Virtuelle
Marktplatz Bayern (VMB). E-Commerce, E-Government und Events sollen unter einem
weiß-blauem Dach im Internet vereint werden: bayerische Identität auch im virtuellem Raum.
Ursprünglich strebte die bayerische Regierung die Woche der in München stattfindenden
Fachmesse Systems Anfang November 2000 zum Start an. Doch diesen medien- und
publikumswirksamen Termin konnte die VMB Virtueller Marktplatz Bayern GmbH nicht einhalten.
Das Unternehmen wurde vom Konsortium "Siemens Business Services/SAP Markets Europa"
gegründet, um den VMB zu betreiben. Die beiden Software-Riesen hatten am 31. März 2000 nach
einer europaweiten Ausschreibung den Zuschlag erhalten.

Der VMB befindet sich zwar schon im Netz, aber weite Teile des anspruchsvollen Konzepts warten
noch auf ihre virtuelle Verwirklichung. Sowohl die Optimierung für den „Netscape Navigator“ als auch
die Seiten in englischer Sprache werden seit vier Wochen angekündigt, stehen aber immer noch
aus. Ebenso sind die Rubriken "Nachrichten", "Informationen" sowie "Urlaub und Freizeit" ohne
Inhalte. Der 31. März 2001 gilt jetzt als Stichtag, an dem der VMB voll funktionsfähig sein soll. Ob
diese Zeitvorgabe eingehalten werden kann, hängt nicht allein von der Marktplatz GmbH ab. Mit im
Boot sitzen etwa hinsichtlich E-Government die Kommunen und Landkreise, bezüglich
E-Commerce und E-Business die für den Betrieb der regionalen Marktplätze zuständigen
sogenannten regionalen Vermarkter. Hinzu kommt die Vielzahl der bayerischen Unternehmen und ihre
Bereitschaft, Internetauftritte oder Online-Shops mit dem VMB zu koordinieren. Sie alle müssen in
eine Richtung rudern.

Die Marktplatz GmbH kann diese Kooperationsproblematik nur notdürftig umschiffen. Am 25.
August 2000 wurde beispielsweise eine Partnerschaft mit Yellowmap
geschlossen. Dadurch sind alle bei Yellowmap verzeichneten Unternehmen beim VMB zu finden.
Ob aber die Kommunen, Landratsämter und Bezirksregierungen bereit und fähig sind, bis zum 31.
März virtuelle Rathäuser und interaktive Online-Verwaltungen auszubauen oder überhaupt
einzurichten, darf als sehr fragwürdig betrachtet werden. Gerade Internetauftritte für Kommunen
schließt übrigens die Marktplatz GmbH aus ihrem Angebot aus. Andererseits hat man ein sehr
hochgestecktes Ziel formuliert: die bayernweite Standardisierung von Online-Verfahren der
Behörden. Gelänge dies, würde sicher auch der papierene Formulardschungel etwas gelichtet.
(Über den Projektfortschritt berichtet die Marktplatz GmbH unter http://www.info.baynet.de.)

Kritische Stimmen: Zu große Hast

Von Anfang an erhoben sich kritische Stimmen, die bayerische Regierung betreibe die
Verwirklichung mit zu großer Hast. Die unnötige Eile könne auf Kosten der Qualität des Angebots
gehen und damit die Etablierung und Vermarktung des Produkts erheblich behindern, wird
argumentiert. Genau aus diesem Grund treibt die Landeshauptstadt München gemeinsam mit ihren
Partnern, der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer, das Portal München im
Internet behutsam und schrittweise in drei Stufen der Realisierung entgegen. Mit dem Portal wird
angestrebt, die gesamte Münchner Stadtgesellschaft im Netz abzubilden.

Wie der Starttermin musste ebenso die Frist für die Benennung der regionalen Vermarkter
verlängert werden. In der Kabinettsitzung der Staatsregierung am 5. September verschob man den
Termin vom 30. September auf den 30. November 2000. Gleichzeitig wurden die heftig in die Kritik
geratenen Konditionen für die regionalen Betreiber verändert. Zunächst wollte das Konsortium
Vorauszahlungen und Gebühren nach der Einwohnerzahl des Landkreises oder der kreisfreien
Stadt. Damit wäre das finanzielle Risiko einseitig vor allem zu Lasten der regionalen Betreiber
gegangen. Jetzt soll es individuelle Verhandlungen geben. Dabei werden sich die Entgelte nach der
jeweiligen Region, ihren Besonderheiten und der vorhandenen IT-Infrastruktur richten. Für die
Benennung der Vermarkter sind die 96 Landkreise und kreisfreien Städte zuständig. 45 von diesen
haben mittlerweile einen Betreiber benannt. Die Marktplatz GmbH geht davon aus, dass es
zwischen 35 und 40 Vermarkter geben wird, die dann ganz Bayern abdecken. Vertragsabschlüsse
gibt es allerdings erst mit sieben Betreibern.

Auch in der künstlichen Wortschöpfung der URL www.baynet.de wird ein Nachteil gesehen. Von ihr
führe kein reibungsloser Bezug zu Bayern, seiner Wirtschaft und Politik. Während Berlin
oder Hamburg ihre Domain für Inhalte außerhalb von
Politik und Verwaltung öffnen, behält der Freistaat allein seinen
Behörden vor. Die Marktplatz GmbH versucht jetzt, aus dieser Not eine Tugend zu machen und die
Marke "Baynet" zu popularisieren. In der ersten Januarwoche 2001 wirbt sie in bayerischen
Tageszeitungen nicht mit dem Begriff "Virtueller Marktplatz Bayern" sondern mit dem Produktnamen
"Baynet".

Steiniger Weg: Umsetzung eines anspruchsvollen Konzepts

Hinter dem VMB steht ein anspruchsvolles und interessantes Konzept. Aus dem heutigen Angebot
lässt sich die künftige Struktur erkennen. Neben den Rubriken Nachrichten, Information sowie
Urlaub und Freizeit wird auf drei Schwerpunkte gesetzt: Lebenslagen, Bürgerservice oder
Behördenwegweiser, Marktplätze. Das Lebenslagenkonzept, das auch die Münchner als ein
zentrales Element ihres Portals planen, beinhaltet eine Gliederung nach Lebenssituationen und
-abschnitten wie "Mobilität", "Wohnung", "Familie und Partnerschaft" oder "Kinder und Jugendliche".
Der User soll so zu allem geleitet werden, was er in der entsprechenden Lage benötigt: von
gesetzlichen Regelungen über notwendige Behördenkontakte bis hin zu kommerziellen Angeboten
aus dem Segment der Marktplätze. Der Großteil der Lebenslagen und ihrer Untergliederungen ist
derzeit noch in Arbeit. Unter "Mobilität" findet man etwa nur den Teil "Rund ums Auto", unter
"Familie und Partnerschaft" allein die "Hochzeit".

Eng gekoppelt mit den Lebenslagen ist der Behördenwegweiser, weil der User direkt zur für ihn und
sein Anliegen zuständigen Einheit geführt werden soll. Das bedeutet notwendig eine vielschichtige
Regionalisierung im Hinblick auf die Kommunen, Verwaltungsgemeinschaften, Landkreise und
Regierungsbezirke. Geleistet wird dies unter der aktuellen Version des VMB kaum. Zwar gibt es
externe Links zu vielen Behörden und Kommunen, aber die Verknüpfung aus den Lebenslagen
heraus und damit eine nutzerorientierte Angebotspalette bleibt der Zukunft vorbehalten. Heute findet
man hier vor allem Verweise auf Einrichtungen des Freistaats und gesetzliche Regelungen.
Dagegen ist man bei der bei Regionalisierung kommerzieller Angebote aus den Lebenslagen heraus
schon einige Schritte weiter. Wer beispielsweise als Münchner eine Gastwirtschaft für seine
Hochzeitsfeier sucht, der wird vor Ort fündig und bekommt zumindest einige Anschriften. Gleiches
gilt für Freizeitaktivitäten und das Angebot an sozialer Betätigung für Kinder und Jugendliche.
Allerdings tauchen hier unter dem Motto "Helfen macht Spaß" auch nicht erwartbare Einträge auf:
die "Urlaubskasse des Bayerischen Baugewerbes e.V." und die "Sozialrechtliche Vereinigung von
Zementwerken in Bayern e.V.".

Der Behördenwegweiser als zweites Hauptelement bildet das Besondere und den
Wettbewerbsvorteil des VMB. Durch die Koppelung von Lebenslagen, Behördenwegweiser und
kommerziellen Angeboten bieten sich exklusive Vermarktungsmöglichkeiten für Unternehmen.
Darüber hinaus verleiht die Präsenz von staatlichen und kommunalen Stellen dem VMB von vorne
herein einen eher öffentlichen, nicht offensichtlich profitorientierten Charakter. Mit diesen Pfunden zu
wuchern, bleibt anderen Anbietern von virtuellen Märkten verwehrt. Das ist auch der Kern der Kritik
des "Rechenzentrums Bayerischer Genossenschaftsbanken" (RGB), einem Unternehmen der
Raiffeisen- und Volksbanken. Das RGB betreibt mit My Shop die größte
virtuelle Verkaufsplattform für mittelständische Unternehmen in Bayern, die mittlerweile auch
bundesweit expandiert. Die Software für "My Shop" ließ der Bayerischen Einzelhandelsverband mit
finanzieller Unterstützung des Freistaats Bayern entwickeln. Später kaufte das RGB sie auf und
baut sie seitdem aus. Obwohl die EU-Kommission das Gemeinschaftsunternehmen von Siemens
und SAP genehmigt und das Bundeskartellamt keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken geäußert
hat, dürfte die exklusive Public-Private-Partnership einen schalen Nachgeschmack verursachen und
die Thematik auf der Tagesordnung halten.

Der dritte Schwerpunkt des VMB sind die Marktplätze. Hierüber soll der gesamte VMB finanziert
werden. Während die Marktplatz GmbH Hard- und Software zentral bereitstellt, basiert der Baustein
Marktplätze wie bei "My Shop" auf Regionalisierung. Die regionalen Vermarkter sind für den Betrieb
zuständig und finanzieren sich über Webauftritte und Online-Shops für Firmen sowie über Werbung.
Für den Auftritt von bayerischen Unternehmen im Rahmen des VMB werden gestaffelte Angebote
gemacht. Kostenlos ist der Eintrag ins Unternehmensverzeichnis. Bezahlt werden muss die
Einbettung einer Firma in bis zu drei Lebenslagen. Diese kann allein oder in Zusammenhang mit
einer Visitenkarte oder einem strukturierter Internetauftritt gewählt werden. Neben B2C-Marktplätzen
sollen insbesondere für den Mittelstand und die Behörden geschlossene Marktplätze für B2B und
A2B (Administration to Business) aufgebaut werden. Auch wenn dem normalen User der Einblick in
das Geschehen auf diesen Märkten verwehrt bleibt: im Hinblick auf A2B wird man ihm immerhin die
heutigen Nachfolger der ehemals königlich-bayerischen Hoflieferanten anzeigen.

Die Marktplätze sind zentral für das Gelingen des VMB. Von ihnen hängt es ab, ob sich die
gesamte Unternehmung finanziell trägt. Dennoch sind sie bis jetzt der am wenigsten ausgebaute
Teil des VMB. Wie sie sich entwickeln, ist heute nicht abzusehen. Bisher sind gerade sechs
regionale Marktplätze online. Der Aufbau der Angebote steht erst am Anfang. Nur zwei Marktplätze
bieten jeweils drei Online-Shops.