Der Cyberwar chinesischer Prägung
Unbemerkt von der Öffentlichkeit
fand der erste Cyberwar statt. So sah es zumindest das amerikanische Magazin
"Wired". Dieser Begriff muss allerdings relativiert werden, denn das Ausmaß
und die Schäden fielen sehr gering aus.
Den Auslöser stellte die Krise um das
amerikanische Spionageflugzeug dar, das auf Hainan notlandete. Weiteren Anlass
bot der Jahrestag der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad. Erste
Aktionen gingen von amerikanischen Hackern aus. Die chinesische Hackervereinigung
"Hongke" (Roter Gast) platzierte daraufhin antiamerikanische Parolen und ein
Foto des abgestürzten Piloten Wang Wei auf Webseiten amerikanischer Regierungsstellen.
Es handelte sich dabei um Cybergraffiti, da keine der beiden Seiten versuchte,
zudem an Daten der Gegenseite heranzukommen. Somit wurden die Angriffe wahrscheinlich
von privaten "entrüsteten Netzaktivisten" unternommen – der vielbeschworene
Cyberwar blieb aus.
Erste Lehren können dennoch gezogen: Die Sicherheitssysteme sind vor Angriffen
nicht genügend geschützt. Ob das kurzfristige Abschalten der Webseite des Weißen
Hauses ebenfalls auf chinesische Hacker zurückzuführen ist, ist in diesem Zusammenhang
unerheblich. Auch das amerikanische Arbeitsministerium war mit prochinesischen
Parolen verziert worden. Für die chinesische Seite war die eigene Unzulänglichkeit
noch spürbarer. Jedoch erhöht die angestrebte Digitalisierung der amerikanischen
Streitkräfte auch die Anfälligkeit für Störungen und Manipulationen. Pläne eines
nationalen Netzbollwerkes waren schon zuvor in Anlehnung an die Errichtung einer
nationalen Raketenabwehr entstanden und werden vom jetzigen Verteidigungsminister
Rumsfeld unterstützt. Klassische Objekte einer Attacke sind die C4I-Systeme
(command, control, communications, computer und intelligence). Der Netzkrieg
zielt auf zwei Bereiche ab: einerseits die Informationsstruktur des Feindes
zu stören oder zu manipulieren und andererseits die eigenen Informationen vor
Zugriffen des Feindes zu schützen. Zudem ist das Schlachtfeld erweitert worden:
Neben militärischen Objekten rücken auch zivile Institutionen ins Visier der
Angreifer.
Als beispielhaft können die Geschehnisse im Kosovo-Krieg gelten: Jugoslawische
Hacker attackierten den britischen Metereolgiedienst, so dass mehrere Flugeinsätze
der Alliierten nicht erfolgen konnten. Der Bombardierung Libyens durch die amerikanischen
Luftwaffe gingen Störmanöver gegen die libysche Luftabwehr voraus.
Chinas Militär beobachtet mit regem Interesse die Entwicklungen im Technologiebereich.
Die eigene Unzulänglichkeit wird erkannt und Lösungsansätze diskutiert. In mehreren
chinesischen Städten, z.B. in Datong und Beijing, sind technische Einheiten
entstanden, die sich mit Kriegsführung im Internet befassen. Die Volksbefreiungsarmee
(VBA) schult auch ältere Offiziere, um deren Computerkenntnisse zu erweitern
und somit ihre Entscheidungen zu qualifizieren. Ein Beispiel ist die Communications
Command Academy in Wuhan, die in Zusammenarbeit mit technischen Universitäten
entstand.
Strategische Diskussionen gehen jedoch über westliche Diskussionen hinaus.
Beeindruckt zeigen sich chinesische Theoretiker von George Soros und seinen
erfolgreichen Spekulationen gegen das britische Pfund. Immer wieder werden Möglichkeiten
diskutiert, wie eine Finanzkrise durch technische Manipulation der Börsen ausgelöst
werden könnte. Des weiteren werden Lin Biaos Vorstellungen eines Volkskrieges
auf den Netzkrieg angewendet. In einem vielbeachteten Artikel verweist Wei Jincheng
auf die Vielzahl von privaten Computernutzern, die als Hacker für einen Netzkrieg
mobilisiert werden könnten. Im Jahr 2000 verfügten in China über 22 Millionen
Menschen über einen Internetzugang. Die bisherigen Manöver der VBA haben jedoch
nicht nur die USA als potentiellen Gegner im Visier gehabt. Weitere Szenarios
befassten sich mit Taiwan, Indien, Japan und Südkorea. Gerade Taiwan hat mit
eigenen Interneteinheiten auf die neue Form der Bedrohung reagiert. Diese Länder
sind, im Gegensatz zu den USA, eher der Gefahr einer Netzattacke von chinesischen
Verbänden ausgesetzt, da ihre technischen Sicherheitsvorkehrungen sehr begrenzt
sind.
Die Kosten einer Netzattacke sind vergleichsweise gering. Auch die technische
Ausrüstung ist relativ billig und leicht beschaffbar. Darin liegt die große
Versuchung, einem Gegner einen vernichtenden Schlag per Internet zu versetzen.
Bisher ist das allerdings ausgeblieben. Auch die Vorkehrungen von chinesischer
Seite haben bislang nicht solche Absichten erkennen lassen. Die technischen
Voraussetzungen werden hingegen Schritt für Schritt geschaffen.
Eine Linkliste zum Thema:
Chinese
Views of Future Warfare: Dieses Buch von 1995, vollständig im Internet
vorhanden, enthält Übersetzungen von chinesischen Artikeln. Besonders beeindruckend
ist der Artikel von Wei Jincheng, der den Netzkrieg um die Form eines digitalen
Volkskrieges erweitern will.
Mouse
zu Raketen: Hacker, Netzaktivisten und Script Kiddies sind kein vereinzeltes
Phänomen. R.P.C. Americo zeigt auf, dass bei vielen Konflikten auch das Internet
zum Schauplatz bzw. "Schlachtfeld" wird.
Chinas
Strategie: In der Zeitschrift der Volksbefreiungsarmee ("Jiefangjun Bao")
werden neue Formen der Kriegsführung diskutiert. Neben einzelnen Möglichkeiten
werden auch bereits erfolgreiche Operationen, wie beispielsweise im Kosovo-Krieg
angewendete Methoden hervorgehoben.
In
die Schlacht: Der Artikel von 1999 berichtet von weiteren Anstrengungen,
Chinas Fähigkeiten für einen Netzkrieg auszubauen und neue Wege (z.B. Finanzchaos)
zu beschreiten.
Der
"erste Cyberwar": Wahrscheinlich waren zumindest auf amerikanischer Seite
eher Jugendliche am Werke als Hacker oder gar Netzsoldaten. Der Schaden lag
nur im Rahmen von Cybergraffiti. Für die chinesische Seite ist das Ergebnis
dennoch niederschmetternd.
Bilanz
des Cyberwars: Florian Rötzer folgt nicht Hype und zieht eine nüchterne
Bilanz der amerikanisch-chinesischen Auseinandersetzung im Netz.
Eine
indische Sichtweise: Obwohl die bisherigen technischen Fortschritte beim
chinesischen Militär für die USA keine momentane Gefahr darstellen, gilt für
die asiatischen Nachbarn nicht dasselbe. Bedenkt man die traditionelle chinesisch-indische
Feindschaft, die in einem Grenzkrieg gipfelte, sind die indischen Bedenken verständlich.