Interview mit Mercy
Wambui

Auf der Konferenz ‚feminst_spaces
der Heinrich-Böll-Stiftung hat politik-digital mit Mercy Wambui, Vertreterin
der European Commission for Africa
(ECA) ein Gespräch geführt. Die ECA berät Regierungen bei der
Planung und Umsetzung neuer Informations- und Kommunikationsstrukturen. Frau
Wambui spricht über den Entwicklungsstand Afrikas beim Ausbau der eigenen
Informationhigways und der Rolle, die die afrikanischen Frauen im Modernisierungsprozess
haben.

politik-digital:
Für wie realistisch halten sie die Behauptung, dass Länder
der Dritten Welt mit Hilfe des Internet Entwicklungsschritte überspringen
könnten? Also das sogenannte ‘Leapfrogging’.

Mercy Wambui: Wir
haben heute einfach nicht die Zeit, alle Phasen der Technologie-Entwicklung
zu durchlaufen.
Die Informations- und Kommunikationstechnologien bieten tatsächlich die
Möglichkeit, einige Stufen zu überspringen. Die Finanzierung von Computern
ist im Vergleich zu den Maschinen in der Phase der Industrialisierung viel preiswerter.
Wir wollen moderne Computertechnik einsetzen, um so Fortschritt zu erzielen.
Der Schlüssel dazu ist die Schaffung politischer Rahmenbedingungen auf
nationaler Ebene, die ermöglichen, neue Technologien schnell einsetzen
zu können.
Zum Beispiel war es
in Kenia lange Zeit illegal, Daten per Telefon zu übertragen oder herunterladen.
Nach viel Überzeugungsarbeit haben wir die Regierung 1992 aber dazu bewegen
können, das Verbot aufzuheben. Wir haben ihnen gezeigt, wie hilfreich und
profitabel es sein kann, sich Dokumente aus dem Netz zu laden, an die man sonst
nicht herankommt oder deren Beschaffung zu lange dauert.

politik-digital:
Wie konkret kann das Internet die Entwicklung beschleunigen?

Mercy Wambui: Also,
das Potential ist enorm! Beispiel Telemedizin: Es besteht ein Mangel an Ärzten
und Experten besonders in ländlichen Regionen, um medizinische Situationen
interpretieren zu können. Daher ist es eine großartige Errungenschaft,
Ärzte an verschiedenen Orten über das Internet einsetzen zu können.
Diese neue Methode der Online-Diagnose ist in einigen Länder wie Westafrika,
Senegal und Mali schon eingeführt worden.
Auch das ‚Distant-Learning’ bietet viele Möglichkeiten. Kinder, die
normalerweise keinen Zugang zu Schulen haben, können über die neuen
Informationstechnologien ihren Horizont erweitern und der Abgeschiedenheit entkommen.

politik-digital:
Welche Rolle spielt die Economic Commission for Africa bei der Einführung
von Kommunikations- und Informationsnetzen in Afrika?

Mercy Wambui: Die
Aufgabe der ECA besteht darin, mit Regierungen zusammen die Potentiale der neuen
Technologien auszuschöpfen und in die Tat umzusetzen.
Es ist wichtig, dass
Projekte, Rahmenbedingungen, Regelungen transparent gemacht werden, da sie zur
Orientierung anderer Länder dienen. Deren Regierungen sehen dann, was möglich
ist, was sich bewährt hat und werden so selbst den Aufbau einer eigenen
Infrastruktur für die neuen Technologien einleiten.
Das ist unsere wichtigste Aufgabe: Länder und Leute zusammenzubringen,
so dass sie voneinander lernen und gesammelte Erfahrungen zu Hause umsetzen
zu können.
Ruanda geht mit gutem
Beispiel voran. Im Entwicklungsplan der Regierung sind die neuen Informations-
und Kommunikationstechnologien in großem Umfang integriert. Es wird also
in der Bildung, Landwirtschaft, im Gesundheitswesen, Handel u.s.w. genau geprüft,
wie man die neuen Technologien einsetzen kann, wie sie in den Alltag integriert
werden können. Der Plan ist auf der Regierungs-Homepage unter http://www.rwanda1.com/government
zu finden.

politik-digital:
Welche Bedeutung messen sie dem Internet neben den anderen Medien
zu, zum Beispiel dem Radio, Zeitungen, Fax etc.?

Mercy Wambui: Wie
bemühen uns um ein holistischen Ansatz, bei dem das Internet zwar eine
große Rolle spielt, andere Medien aber weiterhin dort eingesetzt werden,
wo sie sinnvoll sind.

politik-digital:
Wie weit fortgeschritten sind denn Webauftritte und Online-Angebote
von afrikanischen Regierungen und Behörden? Ist es üblich, dass Politiker
auch eine Homepage haben?

Mercy Wambui: Nein,
so weit sind wir noch nicht. Aber in genau diesem Bereich berät die ECA
die Regierungen. Durch den Prozeß des Dialogs mit dem privaten Sektor
und anderen Akteuren kommen wir dann zu Beschlüssen, die einer nationalen
Infrastruktur für Informations- und Kommunikationstechnologien den Weg
bahnen.
Der nigerianische Präsident hat vor kurzem einen IT-Berater ernannt. Ruandas
Parlament hatte mehrere Sitzungen, um den neuen Regierungsplan zu diskutieren.
In Äthiopien fand eine mehrtägige Konferenz zum Thema "Äthiopien
im Informationszeitalter" statt. Diese Beispiele zeigen, dass sich Afrika
neuen Entwicklungsmöglichkeiten öffnet. Es muß aber vor allem
der politische Wille vorhanden sein, um neue Projekte in Gang setzen zu können.

politik-digital:
Wer hat in Afrika den Startschuß gegeben für die Einführung
neuer Technologien?

Mercy Wambui: Oft
waren es Nichtregierungsorganisationen, wie die ECA, die auf ihren Websites
viele Informationen zu den Möglichkeiten neuer Technologien angeboten haben.
Dann ist der private Sektor mitaufgesprungen. Die Regierungen waren zuerst misstrauisch
gegenüber den neuen Technologien, weil sie unter so großem Einfluß
der NGOs und der Wirtschaft standen.
Erst seit jüngster Zeit beginnen die Regierungen, sich dem Thema ernsthaft
zu widmen, es zu einer Priorität zu machen, weil sie merken, dass sie sonst
mit der rasanten Entwicklung nicht Schritt halten können.
Hinzu kommt, dass der private Sektor Druck macht und droht, abzuwandern, in
ein Land, wo eine bessere Vernetzung und günstigere Bedingungen existieren.
Leider werden aber
auch voreilige Schritte unternommen. 1996 in Kenia, zum Beispiel, sah ich eines
Morgens in der Zeitung die Veröffentlichung eines Gesetzentwurfs zur Kommunikations-
und Informationsinfrastruktur, der aber nie zuvor im Parlament diskutiert wurde.
Er wurde nur schnell herausgegeben, weil die Weltbank die Regierung drängte,
den Telekommunikations-Sektor zu regeln und die Wirtschaft weiter zu liberalisieren.

Ich war damit nicht einverstanden und forderte, die breite Öffentlichkeit
mit einzubeziehen und eine öffentliche Debatte zu Fragen nach der Bedeutung
der neuen Technologien, ihren Einsatzzwecken u.s.w. anregen. Erst jetzt beginnt
die Regierung tatsächlich einzusehen, dass diese Debatte notwendig ist
und dass eine geplante, regulierte IT-Entwicklung von höchster Bedeutung
ist.

politik-digital:
Wie steht es um die Teilhabe der Frauen an den Möglichkeiten
der neuen Technologien?

Mercy Wambui: Es
ist eine schreckliche Situation. Es ist ganz anders als in anderen Teilen der
Welt – die afrikanischen Frauen sind von vornherein ausgegrenzt, zum Beispiel
in der Bildung. Es wird ihnen außerdem vermittelt, dass Technik Männersache
sei und sie sich dafür nicht interessieren sollten.
Teil meiner Arbeit
mit dem Women’s
Networking Support Programme
(APC) bestand darin, zu untersuchen, wie man
Frauen mehr einbeziehen kann; wie man ihnen zeigen kann, dass sie, auch ohne
ein Computer-Geek oder ein Programmierer zu sein, von den neuen Technologien
als normale Endnutzer profitieren können.
So gibt es beispielsweise
ein Trainingsprogramm extra für Frauen an der Cisco Academy in Äthiopien,
gefördert von Cisco und der Weltbank. Den Frauen werden technische Kenntnisse
vermittelt, sie werden für Themen und Möglichkeiten der neuen Technologien
sensibilisiert und ermutigt, eigene Ideen zu entwickeln und zu verfolgen. Mit
ihren neuerworbenen Kenntnissen können sie dann in ihre Heimat zurückkehren
und dort entweder für einen Internet-Anbieter arbeiten oder selbst ein
eBusiness gründen. Mit technischem Know-how und der richtigen Ausstattung
gelangen sie so an Märkte, zu denen sie zuvor nie Zugang hatten.

politik-digital:
Sind die Regierungen bestrebt, Weiterbildung vor allem für
Frauen zu fördern?

Mercy Wambui: Nein,
aber wir empfehlen den Regierungen, in das NICI,
das Programm für die Entwicklung nationaler Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen,
Frauen mehr miteinzubeziehen. Wir wollen sichergehen, dass Frauen und Frauenthemen
in den Diskussionen Gehör finden.
Die digitale Spalte klafft in Afrika besonders weit auseinander; zum einen wegen
der hohen Kosten, zum anderen wegen der Sprache und des weitverbreiteten Analphabetismus.
Aber wir versuchen, Lösungen zu diesen Problemen zu finden. Sogar bei Analphabetismus
– da setzen wir Touch-Screen-Computer ein. Und es gibt Beispiele, wo Frauen
kein Englisch kennen müssen, um mit Touch-Screens zu arbeiten. Wenn sie
diese Möglichkeiten sehen, dann wirkt das motivierend. Frauen sagen nicht,
‚wir sind hier und Computer da drüben’.

politik-digital:
Wie kann ihrer Meinung nach das Internet die Emanzipation fördern?
Inwiefern stellt es traditionelle Geschlechterrollen in Frage und reformiert
sie?

Mercy Wambui: Es
ist erstaunlich! In all den Trainingsprogrammen, insbesondere von der APC, werden
Frauen für die Chancen, die sich aus der Nutzung neuer Technologien ergeben,
sensibilisiert. Es wird ihnen gezeigt, wie man eine Maus benutzt, dass sie ihre
eigene Emailadresse haben können, dass sie mit anderen Menschen kommunizieren
oder dass sie sich Informationen zum Beispiel zu Gesundheitsthemen im Netz herunterladen
können. Das alles trägt enorm zur Stärkung des Selbstbewußtseins
bei.
Interessanterweise ist die Reaktion auf das Internet bei Frauen ist auch ganz
anders bei den Männern. Letztere interessieren sich vor allem für
technischen Firlefanz, Frauen hingegen sind viel pragmatischer. Ihnen ist wichtiger,
wieviel Nutzen ihnen das Netz bringt und ob sie die Informationen, die sie brauchen,
auch bekommen.

politik-digital:
Existiert große Frustration oder Verärgerung darüber,
dass das Netz so sehr von den westlichen Ländern dominiert ist?

Mercy Wambui: Ja,
es ist vor allem frustrierend, wenn da Leute sind, die dein eigenes Land nicht
kennen und falsche Informationen verbreiten. Natürlich ist auch die Sprache
immer ein großes Hindernis.
Afrika braucht eine Identität im Netz. Zum Beispiel gibt es Yahoo! Japan
oder Yahoo! Frankreich. Afrika ist aber nicht dabei.
Aber es gibt Versuche, sprachbasierte Portale aufzubauen. Bei den vielen verschiedenen
Sprachen in Afrika, ist Verallgemeinerung allerdings kaum möglich. Kenia
allein hat um die vierzig verschiedenen Sprachen, Nigeria über 200 – sie
sehen wir schwierig das wird. Aber man kann die meistverbreiteten Sprachen verwenden
– was auch gemacht wird.

politik-digital:
Wie stellen sie sich ihre Arbeit in Zukunft vor?

Mercy Wambui: Weitermachen.
Wir schauen uns die Beschränkungen an und denken darüber nach, was
man tun kann. Wir wollen einfach innovativ sein.

politik-digital:
Vielen Dank für das Interview.

Das Gespräch mit Mercy
Wambui führte Ines Robbers.