Die letzten Plakate sind eingesammelt, Stimmzettel (nach-)gezählt und außer in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin haben sich bereits überall neue Regierungen gebildet. Das “Superwahljahr” 2011 ist inzwischen Geschichte. Konnten sich neue eCampaigning-Standards etablieren, wo wurden Möglichkeiten besonders wirksam genutzt und mit welchen Entwicklungen ist in den kommenden Jahren zu rechnen?
Facebook-Profile, Youtube-Versionen der mehr oder weniger einfallsreichen Wahlkampfspots und Twitter-Accounts sind inzwischen Standard. politik-digital hat diese einzelnen Aktivitäten auf Landesebene bereits seit Dezember vergangenen Jahres mit zahlreichen Beiträgen begleitet und in einem Dossier aufbereitet. Im Folgenden geht es daher neben einem ersten Fazit und den Einschätzungen von Fachleuten und Praktikern auch um das Aufzeigen längerfristiger Entwicklungen und um mögliche nachhaltige Trends.
Von Hamburg bis Berlin: Dialog-Formate als Klammer?
Anders als ursprünglich geplant, begann die Serie der Landtagswahlen bereits Ende Februar im hohen Norden. An Alster und Elbe waren die Bürger nach dem schwarz-grünen Koalitions-Aus frühzeitig an die Urnen gerufen, was den Parteien naturgemäß nur wenig Zeit gab, ihre (Online-)Wahlkämpfe zu planen. Unter den um die Wähler kämpfenden Parteien konnten vor allem die hanseatischen Grünen (GAL) mit ihrer – damals auf Landesebene noch relativ neuen – Schlussspurt-Aktion “3 Tage wach” ein Ausrufezeichen setzen. “3 Tage wach”, das auf die letzten 72 Stunden vor der Schließung der Wahllokale fokussierte Dialog-Format, avancierte zum Standardrepertoire grüner Online-Wahlkämpfe und wurde beispielsweise in Baden-Württemberg auch von CDU und SPD als Werkzeug im Online-Wahlkampf genutzt.
Mit dem Partizipationsangebot “ichundkurtbeck”, einem twitternden rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und einer auf Google-Maps basierenden Aufforderung zur Schlagloch-Meldung bei der Bremer CDU fanden zwar in den folgenden Monaten immer wieder einzelne Aktionen Erwähnung in den (Online-)Medien, der große Wurf war jedoch nicht dabei, und vor allem beim Kampf um die Sitze im Schweriner Landtag war online mehr Pflicht als Kür angesagt. Biedere Internet-Auftritte der Landesverbände dominierten den dortigen Wahlkampf, der es aber, das gehört zur Wahrheit dazu, auch offline kaum über die Landesgrenzen hinausschaffte.
Wie lassen sich die Wahlkämpfe aber über ein rein summarisches Fazit hinaus einordnen? Im nun beendeten Wahljahr gab es nach Ansicht von Christoph Bieber, Professor für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft an der Universität Duisburg-Essen, wenn auch keine eindeutig zu belegende Entwicklung, so doch einen gewissen Trend hin zur verstärkten Einbindung von Parteimitgliedern und interessierten Wählern: “Die Online-Wahlkämpfe des Jahres 2011 lassen keinen präzisen Schluss über die ‘Erfolgsbedingungen‘ der Online-Kampagnen zu. Allerdings gibt es durchaus einen Trend hin zu dialogorientierten Kampagnen, wie sie etwa die Berliner CDU zur Entwicklung des Wahlprogramms, die SPD mit ichundkurtbeck.de oder die Grünen mit da-muessen-wir-ran.de gezeigt haben”. Für die Parteien war und ist das Bereithalten solcher Partizipationsangebote jedoch keinesfalls eine Erfolgsgarantie, wie Christoph Bieber meint. Es zeige sich, so der Experte, dass die “Nutzung der dezentralen Kommunikations-Infrastruktur im Netz nicht zwingend zum Erfolg führt, sondern vielmehr ein Kontrollverlust bei den Parteien als Kampagnen-Anbieter resultiert.” Zukünftig wird sich der Wähler nicht mehr ohne weiteres mit den am Infostand verteilten Parteiwahrheiten zufriedengeben. Die Parteien sind geradezu gezwungen, Rückkanäle für die Kommunikation in Wahlkampfzeiten bereitzustellen. Wie aufwändig eine solche Kommunikation mitunter sein kann und wo der erwähnte Kontrollverlust lauert, zeigen Beispiele aus dem Berliner Online-Wahlkampf.
Die (Online-)Hauptstadt: Ambitioniertes eCampaigning und Hindernisse auf dem Fahrradweg
Nicht nur aufgrund der besonderen Konstellation zwischen den Spitzenkandidaten war der Wahlkampf um das Rote Rathaus mit Spannung erwartet worden, auch hinsichtlich des eCampaigning-Potenzials waren die Erwartungen an den letzten Landtagswahlkampf in diesem Jahr groß. Erfreut sich Berlin doch gemäß der Zahlen aus dem aktuellen (N)Onliner-Atlas 2011 einer großen und stetig zunehmenden Zahl an Internet-Nutzern. Hinzu kommen eine pulsierende Agenturszene sowie die vielfach karikierte “digitale Bohème”, so dass in Berlin nach Einschätzung von Christoph Bieber “objektiv eigentlich die besten Bedingungen für einen lebhaften Online-Wahlkampf vorherrschten”. Jedoch ist nach seiner Meinung in der Hauptstadt online “nicht allzuviel geschehen”. Auf das, was geschehen ist, lohnt trotzdem ein genauerer Blick.
(“Mitsprachestadt” – Das eParticipation-Portal der Berliner Grüne)
Die Berliner Grünen hatten sich mit dem von Christoph Bieber erwähnten Partizipations-Projekt “Mitsprachestadt” sowie einer für den Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus programmierten Smartphone-App voller Ambitionen in den Online-Wahlkampf gestürzt. Die Tatsache, dass das grüne eParticipation-Tool beziehungsweise der Umgang damit gleich zu Beginn im Rahmen eines Pressetermins Schiffbruch erlitt, ist in den einschlägigen Blogs und der Hauptstadtpresse bereits süffisant-kritisch kommentiert. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit antwortete im Wahlkampf in regelmäßigen Video-Statements auf per E-Mail eingegangene Bürgerfragen und suchte so den digitalen Dialog mit dem Wähler. Hinsichtlich seiner „Like”-Klicks zog Wowereit zudem kurz vor dem Wahltermin am 18. September mit Renate Künast gleich und konnte somit auch auf Facebook seinen Status als unangefochtener Platzhirsch unter den Berliner Spitzenkandidaten behaupten.
(Fragen an den Regierenden? Klaus Wowereit
antwortete im Wahlkampf via Youtube)
Überstrahlt wurden alle Online-Wahlkampfaktionen der „etablierten” Parteien in Berlin von dem überraschenden Wahlerfolg der Piraten. Über deren Erfolgsbedingungen wurde in der (Fach-)Öffentlichkeit bereits in den vergangenen Wochen lebhaft debattiert. Dieser Wahlerfolg fußte, so erste Einschätzungen, nicht unbedingt auf einem fulminanten Online-Wahlkampf. Interessanterweise waren es, so die vorherrschende Medien-Meinung, viel eher die unkonventionellen Plakatmotive in Verbindung mit einem in den ersten beiden Septemberwochen einsetzenden regelrechten “Hype” in den analogen Medien. Hinzu kam die Aussicht, eine augenfällig “andere” Partei zu unterstützen, welche die Piratenpartei nun mit insgesamt 15 Mandaten in das Abgeordnetenhaus einziehen lässt.
Ausblick auf 2012 und darüber hinaus: Nachhaltige Kommunikation
Was lässt sich aus den Kampagnen des nun beendeten (Wahl-)Jahres für kommende Online-Kampagnen lernen? Gibt es erste Trends am Horizont oder ist noch gar nicht absehbar, wohin die Reise unter eCampaigning-Gesichtspunkten in der Zukunft gehen wird? Um eine frühzeitige Einbindung der Anhängerschaft mittels eines Online-Programdialogs kommt zukünftig wohl kein Wahlkampfmanager mehr herum. Die Parteien in Berlin und Schleswig-Holstein machten und machen es vor.
Wer seine Kanäle nutzt, sollte dies nach Ansicht von Malte Krohn aber auf Dauer anlegen. In der Rückschau auf die nun beendeten Wahlkämpfe fallen dem Twitter-Scout des ZDF-Online-Formats „Wahl im Web” und Betreiber des Blogs „Homo Politicus”, durchaus Negativbeispiele auf: „Auch 2011 waren in Deutschland leider immer wieder Twitter-Accounts im Rahmen von Wahlkämpfen aufgetaucht, die insbesondere Links zu Pressemitteilungen veröffentlichten – am liebsten im Stundentakt, um sich dann pünktlich zum Wahltag in den Winterschlaf zu verabschieden”. Langfristigkeit ist auch mit Blick auf zukünftige Kampagnen Trumpf und eine Online-Strategie für 2012 oder 2013 nichts, was sich „erst in diesem Jahr entwickelt”, wie seitens der Parteien bestätigt wird. Die erfolgreiche Mobilisierung von Parteimitgliedern und die Ansprache neuer Wählergruppen im Internet braucht nach Ansicht von Tobias Nehren, der beim SPD-Parteivorstand für die Themen Online-Kommunikation und Soziale Medien zuständig ist, in erster Linie Zeit. Es gehe bei einer erfolgreichen Kampagne, die zudem immer ein „Zusammenspiel der verschiedenen Kanäle” sei, darum, über Netzwerke wie Facebook „langfristig Vertrauen aufzubauen” und die Anhängerschaft mit exklusiven Informationen teilhaben zu lassen.
Auch Professor Christoph Bieber ist hinsichtlich konkreter Trends zum jetzigen Zeitpunkt abwartend. Zugleich warnt der Politikwissenschaftler mit Blick auf die Online-Kampagnen in den Vereinigten Staaten, wo in der Kampagne des Jahres 2008 maßgebliche Trends für Deutschland gesetzt wurden, vor zu hohen Erwartungen. “Zum aktuellen Zeitpunkt scheint eine Vorhersage auf die Trends und Entwicklungen des nächsten Bundestagswahlkampf beinahe unseriös zu sein”. Zeitlich gesehen liege zwar der US-Wahlkampf „ähnlich günstig wie in den Wahljahren 2008 und 2009, doch wird Präsident Obama längst keine so innovative Kampagne führen”, so vermutet Bieber. Beim Amtsinhaber erwartet er, dass die Kampagneninstrumente „eher staatstragend” daherkommen werden.
Fazit: „Günther Jauch statt Twitter”
Mit einer Twitter-Sprechstunde läutete US-Präsident Obama im Juli den Vorwahlkampf in den USA ein, nicht unbedingt ein Muster für hiesige Politiker, da ist sich Malte Krohn sicher: “Twittersprechstunden im Stil von #askobama wird es meiner Einschätzung nach so schnell in dieser Form nicht in Deutschland geben. Dafür fehlt es an Reichweite. Mit einem Auftritt bei Günther Jauch erreicht Angela Merkel noch immer potenziell die meisten Wählerinnen und Wähler.”