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Seit mehreren Wochen rufen Oppositionelle in Weißrussland über soziale Netzwerke zum Protest gegen Präsident Lukaschenko und sein Regime auf. politik-digital.de sprach mit Stephan Malerius, Leiter des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung, über Unzufriedenheit im Volk, Angst vor Polizeigewalt, die Rolle der EU und einen möglichen Umsturz des Regimes.

Seit Anfang Juni treffen sich regelmäßig Demonstranten in Minsk, um gegen den „letzten Diktator Europas“ Alexander Lukaschenko zu protestieren. Doch man sieht keine Banner oder hört laute Parolen, lediglich gemeinsames Klatschen unterbricht von Zeit zu Zeit die Stille der Demonstrationen. Die Polizei jedoch reagiert auf diese friedlichen Zusammenkünfte mit härtester Gewalt. Ordnungshüter in Zivil nehmen Oppositionelle, Journalisten aber auch zufällige Passanten fest und pferchen sie in Einsatzwagen, die sie zur nächsten Polizeistation bringen. Dies geschieht oftmals unter Einsatz von Knüppeln und Tränengas. Allein bei den Protesten am 3. Juli, anlässlich des Tages der Unabhängigkeit Weißrusslands, die sich zum zwanzigsten Mal jährte, wurden knapp 400 Menschen festgenommen und zum Teil zu mehrtägigen Haftstrafen verurteilt. Bis zu 15 Tage Gefängnis stehen auf „Randale“ in der Republik Belarus. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte auf ihrer Internetseite: "Friedliche Demonstranten dürfen nicht festgenommen werden, Sicherheitskräfte dürfen keine übermäßige Gewalt gegen Protestierende anwenden.“ Und ihr Experte für Europa und Zentralasien John Dalhuisen forderte die „unverzügliche Freilassung“ aller sich noch in Haft befindlichen Demonstranten. Dass diesen Forderungen nachgekommen wird, ist unwahrscheinlich. Lukaschenko ließ nach Angaben der Moscow Times verlauten, dass die Regierung „jede zukünftige Protestbewegung nicht nur als Angriff auf die Autoritäten, sondern auch als Angriff auf das Volk ansehen“ werde.

Um den Demonstranten die Angst vor möglicher Gewalt und Inhaftierung zu nehmen, riefen die Initiatoren der Proteste am vergangenen Mittwoch dazu auf, sich in den Hauseingängen der Wohnblöcke zu sammeln. Zum einen sei es für die Polizei schwieriger, dezentral organisierte Proteste niederzuschlagen und zum anderen sollten die Bürger sich bewusst werden, dass es in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Menschen gibt, die ebenso denken wie sie und mit denen sie sich zusammenschließen können, erklärte der Leiter des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung in Wilna Stephan Malerius im Interview mit politik-digital.de. Die Anonymität in den Wohnsiedlungen solle abgebaut werden, um das „Moment der Selbstorganisation zu stärken“.

Die Organisation der Demonstrationen läuft weitgehend über soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook oder das russische Pendant Vkontakte. Die Revolutionäre, die sich, ähnlich wie in der arabischen Welt, im Internet zusammenfinden, erklären auf der Seite ihrer Gruppe „Bewegung Zukunft Belarus – Revolution über das soziale Netzwerk“: „Wir kämpfen nicht um ein Stück Wurst, sondern um unsere Freiheit!“ Laut Internet World Stats befindet sich knapp die Hälfte der 9,5 Millionen Weißrussen im Internet, somit ist die Grundvoraussetzung gegeben, um möglichst viele Bürger auf diesem Wege zu erreichen. Momentan seien vor allem junge Internet-Nutzer beteiligt, bestätigte Stephan Malerius. Allerdings würde die Botschaft von diesen dann per Mund-zu-Mund Propaganda auch an solche Bekannte und Familienangehörige weitergeleitet, die das Internet nicht nutzen.

Oppositionelle die ins benachbarte Litauen fliehen, um von dort aus über das Internet die Organisation der Protestbewegung zu unterstützen, können in Seminaren, beispielsweise im weißrussischen Menschenrechtshaus, lernen, wie sie es vermeiden, im Internet Spuren zu hinterlassen. Einer von ihnen ist Juri Aleinik. Im vergangenen Jahr war er Leiter des Wahlkampfbüros des Oppositionskandidaten Wladimir Nekljajew. Heute operiert er von Litauen aus, und sein Laptop sei dabei seine wichtigste Waffe, sagte er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. „Mit Hilfe des Internet, Skype und sozialen Netzwerken wie Facebook ist es leicht, den Kontakt mit Aktivisten in ganz Weißrussland zu halten. Wir planen gerade Protestaktionen auf den Straßen und die Koordination läuft nur online.“

Die Gefahren die das Internet für den seit 17 Jahren regierenden Präsidenten Lukaschenko darstellt, hat dieser längst erkannt und ließ bereits zum Zeitpunkt seiner umstrittenen Wiederwahl am 19. Dezember 2010 den Zugang zu sozialen Netzwerken sperren. Amnesty International berichtet, dass auch in den vergangenen Wochen Twitter und Facebook zeitweise gesperrt worden seien, um es den Oppositionellen zu erschweren, miteinander in Kontakt zu treten und neue Zusammenkünfte zu planen. Lukaschenko verkündete, dass Außenstehende falsche Informationen über den „Müll namens Internet“ versendeten und dass die aufkommende Panik in seinem Land größtenteils das Werk von Journalisten und Medien sei. Nach Angaben des Freedom on the Net Index 2011 und des Press Freedom Index 2010 steht Weißrussland auf Platz 189 einer internationalen Rangliste der Pressefreiheit, und hat damit die fünft schlechteste Position im weltweiten Vergleich. Informations- und Pressefreiheit seien zwar offiziell in der Verfassung festgeschrieben, blieben aber in der Realität äußerst beschränkt. Das Internet stehe unter weitreichender Zensur durch den Staat. Viele Web 2.0-Applikationen seien blockiert und sowohl Journalisten als auch regimekritische Blogger würden regelmäßig von der Polizei inhaftiert.

Trotz aller Versuche seitens des Regimes sind die Protestaktionen der letzten anderthalb Monate aber konstant geblieben und konnten überdies einen starken Anstieg an Teilnehmern verzeichnen. Stephan Malerius erklärte, dass die Teilnehmerzahlen sich in den vergangenen zweieinhalb Wochen auf einem hohen Niveau von 2000 bis 3000 Menschen allein in der Hauptstadt Minsk eingependelt hätten. Dies sei vor allem deshalb erstaunlich, da in der Sommerpause normalerweise gesellschaftlich nicht viel passiere. Das trotz Urlaubs- und Semesterferienzeit eine solche Resonanz auf den Aufruf zum Protest zustande käme, sei bemerkenswert. Ebenfalls neu sei das Phänomen, dass es auch Proteste außerhalb der Wahlzyklen gebe. Zu derartigen Demonstrationen sei es bisher nur zu den Präsidentschaftswahlen 2006 und 2010 gekommen. Der Leiter des Auslandsbüros Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung sieht dies als Zeichen für die große „Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung mit dem Regime“.

Dass es gerade jetzt vermehrt zu Unruhen kommt, ist hauptsächlich mit der ökonomischen Lage Weißrusslands zu erklären. Das Land befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Der Rubel hat eine Inflationsrate von über 30 Prozent, Arbeiter streiken und die Revolutionäre rufen, nach Angaben von Die Presse aus Österreich, zum „wirtschaftlichen Jihad“ auf. Einheimische Waren sollen boykottiert und Geld von den Banken abgehoben werden, um so den endgültigen Zusammenbruch der Wirtschaft herbeizuführen. Die Regierung hofft vor allem auf einen Kredit aus Russland, das die Unterstützung aber ablehnt. Lukaschenko gibt sich derweil unbeeindruckt und verkündete: „Wir werden die Situation in einigen Monaten überwinden, auch ohne die Kredite, die wir uns sichern konnten. Glaubt mir, wir werden es schaffen.“

Die Reaktion der EU auf die Menschenrechtsprobleme in Weißrussland sei bis dato eher unbefriedigend gewesen, sagte Stephan Malerius. Brüssel „hat viele Chancen gehabt und viele Chancen versäumt.“ Die eingeführten Wirtschaftssanktionen und Waffenembargos seien zwar adäquate Mittel gewesen, aber was bislang fehle, sei ein Instrument, um die demokratischen Bewegungen „wirkungsvoll und vor allem flexibel zu unterstützen“. Dies sei in den nächsten Wochen eine wichtige Aufgabe der Staatengemeinschaft und der nationalen Regierungen. Auch Aktivisten üben Kritik am Verhalten der EU-Mitgliedsstaaten. Vadim Vileita, Mitarbeiter des Programmes „Visa-Free Belarus“ in Litauen, beanstandete, dass es die größte Herausforderung für die Projekte sei, Einreisegenehmigungen für weißrussische Teilnehmer zu erhalten. Wenn dies nicht gelinge, sei das nicht die Schuld der Diktatur in Minsk, sondern die der Bürokratie in den EU-Ländern.

Sollten die Proteste aller Schwierigkeiten zum Trotz den Sommer über andauern und im Herbst eine breite Bevölkerungsschicht erfasst haben, so dass eine kritische Masse mobilisiert werden kann, könnte dies zu einen Umsturz des Lukaschenko-Regimes führen. Die Indikatoren für einen Umbruch, so Malerius, seien jedenfalls gegeben, man müsse mit einem Regimewechsel rechnen.