Die Online-Plattform politnetz.ch will Politik und Bürger in der Schweiz zusammenbringen. Selbst erklärtes Ziel ist es, demokratische Prozesse und die politische Beteiligung zu fördern. politik-digital.de sprach mit dem Politnetz-Team.
Auf dem Schweizer Beteiligungsportal politnetz.ch können sich Bürger und Politiker miteinander vernetzen. In erster Linie gibt es ihnen die Möglichkeit, Empfehlungen zu Abstimmungsvorlagen unterschiedlichster politischer Themen abzugeben und zu diskutieren. Denn im Gegensatz zu Deutschland stimmen die Schweizer Bürger im Rhythmus von drei Monaten über sogenannte Sachvorlagen ab (z. B. EU-Beitritt, Minarett-Initiative etc.). Sachvorlagen sind eingereichte Volksinitiativen (Initiativen, für die mindestens 100.000 Unterschriften von Stimmbürgern erforderlich sind) oder Referenden gegen politische Geschäfte, die vom Parlament angenommen worden sind und aufgrund einer Unterschriftensammlung einer Partei oder eines Komitees (50.000 Unterschriften sind erforderlich) dem Volk – quasi als Veto – zur Abstimmung vorgelegt werden.
Dazu Adrienne Fichter vom Politnetz-Team: „Gerade wegen der hohen Abstimmungsfrequenz und weil viele Abstimmungskämpfe in den traditionellen Medien durch hohe Budgets und finanzkräftige Interessengruppen ausgefochten werden, möchten wir mit politnetz.ch eine fairere und transparente Auseinandersetzung einer Sachvorlage im Internet erwirken. Nicht das Budget eines Komitees, sondern das bessere Argument ist unserer Meinung nach relevant.“
Mithilfe von politnetz.ch erhalten die Schweizer Bürger also einen guten Überblick über die politischen Positionen von Politikern und Parteien zu solchen Sachvorlagen. Die Parteien wiederum haben die Möglichkeit, das Wahlvolk von ihren Standpunkten zu überzeugen. Das Team von Politnetz stand uns bereitwillig und gemeinsam Rede und Antwort zu unseren Fragen rund um die Online-Plattform:
Seit wann gibt es politnetz.ch?
Wir sind seit 2009 online. Nach verschiedenen Überlegungen darüber, wo die dringlichsten Lücken im Bereich „Demokratie im Web“ bestehen, haben wir uns entschieden, mit einem Online-Debattier-Tool zu starten. Auf dieser Basis haben wir die Plattform seither kontinuierlich weiterentwickelt.
Wer hatte die Idee zur Gründung von politnetz.ch?
Wir sind zu dritt: Lukas Peyer, Gabriel Hase und Andreas Amsler. Zudem haben alle, die bei Politnetz mitarbeiten oder einmal mitgearbeitet haben, die Idee mit uns zusammen weiterentwickelt.
Welche konkreten Ziele werden mit der Plattform
verfolgt? An wen richtet sich diese?
Wir wollen die Kommunikation, Interaktion und Kooperation zwischen BürgerInnen, PolitikerInnen, Parteien, Behörden, Interessengruppen und MedienvertreterInnen fördern. Allen diesen Akteuren und Zielgruppen soll es möglich sein, sich online am politischen Prozess zu beteiligen und damit ihrer Verantwortung für unser Zusammenleben nachzukommen. Natürlich wollen wir insbesondere auch jüngere Generationen an die demokratischen Prozesse heranführen. Wir sind überzeugt, dass das Verständnis für das Potenzial Neuer Medien allen genannten Akteuren so früh wie möglich vermittelt werden muss. So steigt die Chance, dass nicht-organisierte genauso wie organisierte zivilgesellschaftliche Akteure die grundsätzlich gleichen Möglichkeiten wie die Akteure des politisch-administrativen Systems haben, für ihre Ideen, Meinungen und Standpunkte Öffentlichkeit herzustellen und politischen Einfluss zu gewinnen. Zugang zur Öffentlichkeit zu haben, ist unserer Meinung nach ein Recht, das an die rechtsstaatliche Meinungsäußerungsfreiheit anschließt.
Agieren Sie frei und unabhängig von Parteien und politischer Anbindung? Von wem wird die Plattform betrieben und finanziert?
Ja, und zwar aus Überzeugung. Alles andere würde die Idee und die Ziele der Plattform pervertieren. Wir haben ein duales Modell gewählt. Die Verantwortung für den Betrieb wie auch für die Daten liegen beim Verein Politnetz. Zwischen Verein und Aktiengesellschaft (AG) besteht ein Kooperationsvertrag, der festhält, dass der Verein der AG exklusiv anonymisierte und aggregierte Daten für Content-Partnerschaften und Daten-Visualisierungen zur Verfügung stellt. Im Gegenzug übernimmt die AG die Entwicklungs- und Betriebskosten der Plattform. In die AG haben neben uns dreien einerseits weitere private Investoren investiert, andererseits unterstützt uns die Zürcher Kantonalbank mit einer Startup-Finanzierung.
Bitte veranschaulichen Sie für jemanden, der Ihre Webseite noch nicht kennt, die Funktionsweise und Struktur von politnetz.ch.
Vor zwei Wochen haben wir unser gesamtes Debatten- zu einem Themensystem umgebaut. Nehmen wir als Beispiel das Thema „Internet“. Auf der Themenseite finden sich Interessierte zu diesem Thema. Wen dieses Thema ebenfalls bewegt, der klickt auf „Thema beobachten“ und verleiht diesem dadurch in der gesamten Themenstruktur mehr Gewicht. Im Thema werden engagierte Politiker und all jene angezeigt, die sich zu Wort melden möchten. Sie können dies entweder in einem Kommentar auf einen Beitrag tun oder selbst einen Beitrag schreiben. Auf der Startseite zeigen wir die stündlich aktualisierte Agenda der aktivsten Themen. Ein Klick auf die Partei-Logos zeigt, wie im Vergleich dazu die Themen-Agenden der ParteivertreterInnen aussehen. Anders als etwa in Deutschland stimmen die StimmbürgerInnen in der Schweiz alle drei Monate über Sachvorlagen ab. Wir zeigen im Vorfeld, welches die Argumente für und gegen eine Abstimmungsvorlage sind. Zum Beispiel zum „Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative“. Ein Klick auf das Partei-Logo der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) offenbart beispielsweise, entlang welcher Argumente der Meinungsgraben innerhalb der Partei verlief. Parteien sind – anders als es in der traditionellen Medien-Berichterstattung erscheint – im Innern oft erstaunlich vielstimmig.
Folgen Sie auf Ihrer Plattform einer bestimmten Netiquette und grundlegenden Regeln des konstruktiven Debattierens?
Wir haben von Anfang an zusammen mit unseren Nutzern die Diskussionsregeln der Plattform definiert: http://www.politnetz.ch/diskussionskultur. Auf die Einhaltung der Regeln achten nicht nur wir, sondern vor allem unsere Nutzer selbst.
Unter der Sektion “Radar” verlinken Sie auf Facebook-Seiten zu verschiedenen politischen Themen. Darunter auch auf “Alle kriminellen Ausländer müssen ausgeschafft werden!“. Dort gibt es teilweise auch sehr grenzwertige Kommentare. Ziehen Sie eine Grenze oder berichten Sie über alle Kampagnen und Diskussionen?
In den „Radar“ nehmen wir Facebook-Seiten und -Gruppen auf, die einen Bezug zu einem politischen Anliegen – im angesprochenen Fall zur Abstimmung über die sogenannte Ausschaffungsinitiative – haben. Des Weiteren nehmen wir Kandidierende, PolitikerInnen, Parteien und Interessengruppen auf. Unser Radar berechnet danach täglich den Zuwachs bzw. die Abnahme an Fans der Gruppen und Seiten. Es handelt sich nicht um eine Berichterstattung, sondern um ein Abbild, was auf Facebook politisch läuft. Sich dessen bewusst zu werden, ist unserer Meinung nach nötig, um das Entstehen und Vergehen politischer Öffentlichkeit im Netz zu verstehen.
Hat die Meinungsfreiheit Vorrang oder gibt es Diskussionen,
mit denen Sie sich aus inhaltlichen Gründen oder aufgrund
der Kommentare nicht beschäftigen?
Wir selbst führen keine Diskussionen, das tun unsere Nutzer. Was erlaubt ist und was nicht, regeln unsere Diskussionsregeln.
Wie ist das bisherige Feedback von Öffentlichkeit,
Politik und Medien auf Ihre Plattform?
Wir erfahren von allen Seiten die Anerkennung, dass wir in der Schweiz an der Spitze eines kommunikativen Wandels zwischen BürgerInnen und PolitikerInnen stehen und diesen Wandel aktiv, aber vor allem auch kritisch und mit der gebührenden ethischen Verantwortung prägen. Das ist wichtig, denn dieser Wandel ist Realität, ob es uns gibt oder nicht. Gäbe es uns nicht, dann wäre das Feld alleine Akteuren wie beispielsweise Facebook überlassen, deren gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein ein ganz anderes als unseres ist.
Gibt es Beispiele dafür, dass bei Ihnen eingebrachte Themen und Ideen auch über die Plattform hinaus Gehör finden? Ist das das erklärte Ziel?
Alles, was auf unserer Plattform genügend Aktivität entwickelt, wird automatisch auf die Online-Portale unserer Medienpartner gespielt – z. B. auf 20 Minuten Online. Wir wollen und geben diesen Inhalten aus der Community erklärtermaßen mehr Reichweite.
Weshalb unterscheiden Sie zwischen Politnetz Standard und kostenpflichtiger Politnetz Plus-Mitgliedschaft?
Die kostenpflichtige Plus-Mitgliedschaft ist eine unserer Einnahmequellen, die längerfristig den Betrieb mitfinanzieren muss. Wir wollen unabhängig von Werbeeinnahmen und großen Spenden sein, darum bietet sich das Modell an, von Vielen kleine Beiträge einzunehmen. Die Plus-Mitgliedschaft bietet politisch engagierten Menschen ab 15 Franken pro Monat die Möglichkeit, UnterstützerInnen zu gewinnen und mit ihnen mittels Mail-Kampagnen direkt zu kommunizieren. Alle anderen Funktionen inklusive die Aufnahme einer Kandidatur in unser Online-Wahllistentool sind kostenlos.
Welche Maßnahmen planen Sie für die Nationalrats- und Ständeratswahlen im Herbst 2011?
Als nächstes lancieren wir – auch im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen – eine in dieser Art noch nie da gewesene Art von Online-Wahlkampf aus Bürgersicht.