Bereits im Februar beleuchtete politik-digital.de die Rolle des Internet für die Arabische Revolution am Beispiel Ägyptens sowie in einer Presseschau. In der Zwischenzeit gab es weitere Aufstände und Repressionen. Dazu eine aktuelle Linkliste.

Eine neue politische Generation ist in der arabischen Welt herangewachsen. Diese nutzt verstärkt die neuen Medien als Mittel der Kritik an staatlicher Repression und zur Mobilisierung. Ihre kritischen Botschaften zum brutalen Vorgehen von Regimen wie Libyen, Syrien, Jemen und Bahrain gegen überwiegend friedliche Proteste artikulieren und transportieren Aktivisten aus arabischen Staaten über das Netz und Sender wie Al Jazeera ins In- und Ausland. Damit tragen sie dazu bei, dass sich ihre Landsleute über die in staatlichen Medien verbreitete Propaganda hinaus informieren können, was in ihrem Land passiert. Aber auch der Rest der Welt erhält auf diese Weise wichtiges Bild-, Video- und Textmaterial zu den Geschehnissen – auch wenn dessen Authentizität nicht immer gleich verifiziert werden kann.     

 

(Foto by FlickreviewR, Quelle: Wikimedia / Creative Commons)

[Oben zu sehen ist ein arabischer Politik-Cartoon. Er soll die Domino-Theorie veranschaulichen, wie jeder der Diktatoren der Reihe nach stürzt. Bin Ali: Ich liebe KSA! (Kingdom of Saudi Arabia) / Mubarak: Wir sind nicht Tunesien! / Gaddafi: Wir sind nicht Tunesien und Ägypten! / Ali Salih: Wir sind nicht Tunesien, Ägypten oder Libyen! / Bashar: Wir sind nicht Tunesien, Ägypten, Libyen oder Jemen!]

Dennoch entsteht so ein realistisches Gegenbild zur einseitigen staatlichen Medienberichterstattung. Das wissen natürlich auch Diktatoren wie der skrupellos gegen sein eigenes Volk agierende Muammar al-Gaddafi. Viele der von Aufständen betroffenen Regierungen reagierten in den vergangenen Monaten mit Zensur und Abschaltung des Internet oder sie nutzen es für eigene Zwecke, um Propagandabotschaften unters Volk zu bringen und gezielt gegen Regimekritiker vorzugehen. Doch letzteren gelingt es selbst dann immer wieder, ihre Botschaften mithilfe der neuen Medien zu verbreiten – vor allem dank guter Netzwerke und über das Ausland. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielt auch die zunehmende Verbreitung von Handys und Digitalkameras in der Bevölkerung.

Praktisch jeder, der ein Multimedia-Handy besitzt, kann Fotos und Videos erstellen. Und insbesondere Bilder sind sehr wirkungsmächtig. Sie vermögen mehr als jeder Text starke Gefühle beim Betrachter auszulösen und ihn für ein Ereignis zu sensibilisieren. Das zeigte bereits das Beispiel der Iranerin Neda Agha-Soltan. Bei Protesten zu den iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 soll sie nach Augenzeugenberichten durch ein Mitglied der Basij-Milizen getötet worden sein. Dieses tragische Ereignis wurde mit dem Handy gefilmt und ging per YouTube um die ganze Welt. Nedas Tod avancierte zum Symbol der Protestbewegung und löste internationale Anteilnahme aus. In Ägypten wurde der offenbar von zwei Polizisten grausam ermordete regimekritische Blogger Khaled Mohammed Said zur Symbolfigur für den dortigen Aufstand. Das Foto von seiner Leiche wurde ins Internet gestellt und fand weltweite Aufmerksamkeit. Solche Amateurvideos und Fotos spielen eine wichtige Rolle für die Arabische Revolution. So verwenden arabische Sender wie das syrisch-oppositionelle Barada TV und der CNN-Konkurrent Al Jazeera, die über Satellit und Live-Stream im Internet verfolgt werden können, derlei Material immer häufiger für ihre Berichterstattung.

Nach wie vor ist die – durch neue Medien allenfalls ergänzte – Berichterstattung traditioneller Medien wie Al Jazeera von großer Relevanz für die weite Verbreitung unabhängiger Informationen über die Arabische Revolution. Dabei wird auf soziale Medien wie YouTube, Facebook und Twitter als Quellen zurückgegriffen, über die Nachrichten aus den von der Zensur betroffenen Staaten transportiert werden. Auch wird, wie in dieser Sendung von Al Jazeera, der Internetdienst Skype genutzt, um mit Bloggern und Regimegegnern zu kommunizieren.

Die folgende Presseschau stellt ausgewählte Links zu Informationsquellen und aktuellen Publikationen vor, die sich mit der Rolle von Bloggern und sozialen Medien für die Arabische Revolution beschäftigen – mit besonderem Akzent auf Syrien, das zurzeit vom Internet abgeschnitten ist:

Allgemein


Interaktive Zeitleiste des Guardian

Auf einer regelmäßig aktualisierten interaktiven Zeitleiste des Guardian werden mittels unterschiedlicher Symbole (z. B. grüner Punkt für Proteste und roter Punkt für einen Regimewechsel) wichtige Ereignisse der Proteste in der Arabischen Welt hervorgehoben und themenbezogene Guardian-Artikel verlinkt. Zusätzlich gibt es einen Guardian-Live-Blog.

Von Libyen bis Iran: Unruheherde auf einen Blick

Ähnlich wie der Guardian bietet die Online-Ausgabe der Tageszeitung Die Presse einen fortlaufenden Überblick zu den Unruhen mithilfe von Google Maps.

Das Arabische Erwachen

Unter dem Titel „The Arab Awakening“ veröffentlicht Al Jazeera fortlaufend eine Video-Dokumentation über die Umwälzungen in der Arabischen Welt.

Global Voices

Das aus mehr als 300 Bloggern bestehende internationale Netzwerk „Global Voices“ informiert in Spezial-Reportagen über die Ereignisse. Selbsterklärtes Ziel ist es, von Blogs und Bürgermedien aus aller Welt zu berichten und dabei besonderen Wert auf solche Stimmen zu legen, die normalerweise von internationalen Mainstream-Medien überhört werden. Hier die Spezial-Reporte:


Audiovisuelle Medien im Mittelmeerraum

Auf lemonde.fr bestätigt Mathieu Gallet, Präsident der Conférence permanente de l’Audiovisuel Méditerranéen (COPEAM) und Generaldirektor des Institut national de l’audiovisuel (INA), dass sich die Volksrevolte in Ägypten und Tunesien im Internet abgespielt habe. TV und Radio hätten dagegen ihre Rolle nicht gefunden und konnten kein glaubwürdiges und unabhängiges Bild der Ereignisse liefern. Anders als der neue libysche TV-Sender Horaa, der als Reaktion auf die Gaddafi-Propaganda im libyschen Staatsfernsehen entstand. Jetzt müssten TV und Radio in den genannten arabischen Ländern ihre neue Rolle finden: von Staatsmedien zu Medien des öffentlichen Lebens. Dafür brauchten sie die Unterstützung der Mittelmeerstaaten: für die Ausbildung von Journalisten, Reportern und Filmemachern. Das sei die Aufgabe der COPEAM, die vom 12.-15. Mai auf Kreta tagt. Die Zeit sei reif, die Gräben zwischen nördlichen und südlichen Mittelmeerländern zu überwinden.

Kampf den Tyrannen – per Twitter und Facebook

Auf Zeit Online verweist Hauke Friederichs darauf, dass laut Amnesty International (AI) die jüngsten Revolten in der arabischen Welt zeigten, wie Internet und Handy die Politik beeinflussen. Im aktuellen Jahresbericht der Organisation werde darauf hingewiesen, dass sich Menschenrechtsverteidiger und Journalisten vermehrt neuer Technologien bedienten, um die Mächtigen mit der Wahrheit zu konfrontieren und auf eine stärkere Einhaltung der Menschenrechte zu pochen (siehe auch heute.de). Zugleich warne AI vor allzu großer Euphorie über vermeintlich gelungene politische Umbrüche in arabischen Staaten wie Ägypten: Die Entscheidung für oder gegen Freiheit und Gerechtigkeit stehe dort immer wieder auf Messers Schneide. 

Junge Rebellen in der arabischen Welt

Simon Kaminski von der Augsburger Allgemeinen stellt fest, dass es auffallende demografische Parallelen zwischen Ägypten, Tunesien, Libyen oder Syrien gäbe. Dieser Einschätzung liegt eine Analyse von Wenke Apt, Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik, über eine frustrierte Generation zugrunde. Ihr Aufsatz „Aufstand der Jugend“ findet sich hier.

Mit Cola gegen Tränengas

Auf tagesspiegel.de berichtet Fabian Schlüter von einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, zu der Protest-Aktivisten aus der arabischen Welt eingeladen waren. Sie trafen sich mit SPD-Chef Sigmar Gabriel und erörterten die Entwicklungen während der Arabischen Revolution. Die Diskussion wurde per Live-Stream übertragen. Ein YouTube-Video porträtiert drei ägyptische Revolutionäre.

Es gab keine Facebook- und Twitter-Revolution

Michel Wenzler verweist im schweizerischen Tagesanzeiger darauf, dass laut Experten der eigentliche Erfolg der Arabischen Revolution nicht auf den neuen Medien beruhe. Verantwortlich seien andere Faktoren. Vor allem traditionelle Medien wie die Fernsehsender Al Jazeera und BBC, die sich aber häufig auf Internetquellen stützten, hätten eine wichtige Rolle gespielt. 

Syrien 


Syrischer Online-Aktivist spricht mit Al Jazeera

Ein Bericht von Al Jazeera zeigt, wie Blogger staatliche Zensur umgehen: indem sie aus dem Ausland heraus agieren. Der unter dem Pseudonym Malath Aumran aktive syrische Cyber-Aktivist Rami Nakhle ist einer von ihnen. Der gut vernetzte Blogger operiert aus seinem Exil im Libanon heraus und veröffentlicht aktuelle Informationen (Videos, Fotos, Texte) zu den Protesten in seiner Heimat.


(Interview von Al Jazeera mit dem syrischen Blogger Rami Nakhle)

Facebook-Seite „The Syrian Revolution 2011“

Die syrische Protestbewegung richtet via Facebook Forderungen an Präsident Baschar al-Assad. Als wesentliches Ziel gilt es, mehr Freiheit in Syrien durchzusetzen. Die Nutzer tauschen sich über die Lage in Syrien aus und informieren sich gegenseitig mit Links auf Videos, Bilder und Berichte. Es gibt auch eine englischsprachige Seite: www.facebook.com/SyrianDayOfRage.

Youtube zeigt Bilder der Proteste in Syrien

Auf der Webseite des Schweizer Fernsehens wird in einem Artikel die steigende Bedeutung sozialer Medien wie YouTube, Facebook und Twitter als Kommunikationskanäle in Syrien hervorgehoben. So seien allein die YouTube-Videos der regimekritischen Shaamnews in den letzten zwei Monaten über 3,5 Millionen Mal angeschaut worden. In dem Beitrag werden außerdem die vermeintlich wichtigsten sozialen Netzwerke in Syrien verlinkt.

Gejagte Revolutionäre im Netz

Raniah Salloum schreibt in der Online-Ausgabe der Financial Times Deutschland, dass das syrische Regime von der Demokratiebewegung gelernt habe und nun das Internet seinerseits zur Jagd nach Regimekritikern nutze. Der Geheimdienst verfolge die elektronischen Spuren seiner Gegner und liefere sich mit ihnen eine Schlacht um die Deutungshoheit von Handyvideos und Bildern.

Syrien: Die Revolte Internetcafé

heute.de berichtet, die syrischen Aktivisten hätten von den Protesten in anderen arabischen Ländern gelernt und setzten verstärkt auf Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, um ihre Anliegen zu transportieren. Adressaten der Internet-Botschaften seien ausländische Medien wie BBC und Al Jazeera, die der Propaganda staatlicher Medien etwas entgegensetzen und Druck auf die Weltgemeinschaft ausüben könnten, damit diese die Regierung in Damaskus ächte.

Soziale Netzwerke bringen Asad in Bedrängnis

Ein Artikel von NZZ Online beschäftigt sich mit der Wirkung sozialer Medien auf autoritäre Regime wie das in Syrien. Dabei wird u.a. auf eine Erhebung des Datendienstes Internet World Stats verwiesen, wonach lediglich 18 Prozent der Syrer einen Internet-Zugang hätten. Und der Teil der Bevölkerung, der sich bei Facebook & Co. registriert hat, darunter eine Vielzahl jüngerer und oft gut ausgebildeter Menschen, würde systematisch vom syrischen Regime überwacht.

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