Grenzsoldat oder Flüchtling: Das vom Medienkunststudenten Jens M. Stober entwickelte Computerspiel 1378 (km) simuliert die Fluchtversuche von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik Deutschland vor dem Mauerfall – aus der typischen Ego-Shooter-Perspektive. Über das Spiel wurde im Vorfeld viel und kontrovers diskutiert. Grund genug für politik-digital.de, es zu testen.
In einem ZDF-Interview legte der Entwickler Jens Stober seine Intention zur Entwicklung des Spiels dar: “Ich versuche Jugendliche mit ihrem Leitmedium, dem Computerspiel, anzusprechen, ihnen geschichtliches Wissen zu vermitteln und ihnen diese soziale Komponente, die soziale Interaktion, mitzuliefern, so dass sie merken, ich habe mich falsch verhalten.” Dabei soll weniger die Spielaction als der pädagogische Lerneffekt im Mittelpunkt stehen, so Stober.
Heftige Kritik am Spiel
Doch bereits im Vorfeld der offiziellen Präsentation am Freitag, 10. Dezember, hatte es massive Proteste gegeben. So kritisierte die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) in einer Presseerklärung, dass das Spiel “ein Beitrag zur Enthemmung und Brutalisierung der Gesellschaft” sei. Hubertus Knabe, Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Hohenschönhausen, erstattete gar Anzeige bei der Berliner Staatsanwaltschaft. Auch die öffentlichen Statements und Einschätzungen vieler Historiker und Politiker fallen negativ aus.
Das Spiel im Test
politik-digital.de hat das Spiel getestet. Vorweg: Die Installation ist zeit- und kostenaufwendig, denn obwohl das Spiel gratis ist, benötigt man zusätzliche kostenpflichtige Software. Die Gesamtinstallation inklusive Einrichten eines Online-Accounts und dem Kauf der Zusatzsoftware dauerte insgesamt eine gute Stunde.
Das Gameplay: Die einem zugewiesenen Aufgaben sind davon abhängig, welche Seite man spielt. Als Mitglied der Grenztruppe hat man die Optionen, DDR-Flüchtlinge zu verhaften, ihnen bei der Flucht zu helfen oder sie zu erschießen – letzteres wird jedoch bestraft und man hat sich am Ende bei einem Mauerschützen-Prozess zu verantworten. Als Flüchtling ist es dagegen das Hauptziel, den Todesstreifen (BRD-Bezeichnung) bzw. Sicherheitsstreifen (DDR-Bezeichnung) zu überwinden, um in die Bundesrepublik Deutschland zu fliehen.
1378 (km) ist eine Modifikation (MOD) auf Basis von Half-Life 2: Deathmatch und ist momentan noch von Bugs belastet. Diese sollen durch Updates behoben werden, so die Entwickler. Ein Termin für ein erstes Update wurde aber noch nicht angekündigt. Die Grafik befindet sich auf dem Stand von 2004. Die Reaktionen der Gaming-Community (siehe z. B. Spieltest von krawall.de oder Kommentare zum Spiel) fielen dementsprechend überwiegend schlecht aus. Das Fazit vieler User: zu viele Bugs, zu alte Grafik, zu lieblose Umsetzung. Der Spielverlauf ist monoton gehalten, die Aktionsvielfalt aus der Ich-Perspektive ist sehr überschaubar. Dies entspricht auch der Ankündigung, mit dem Spiel eine realistische Simulation und keinen neuen Action-Shooter zu schaffen – eben ein “Serious-Game”, so die Entwickler.
Pädagogisch wertvoll?
Ein positiver Ansatz ist, dass der Spieler als Grenzsoldat nicht dazu gezwungen ist, auf Flüchtlinge zu schießen und dass man nur erfolgreich sein kann, wenn man diese nicht tötet. In diesem Punkt unterscheidet sich das Spiel ganz klar von einem typischen Ego-Shooter, der die Eliminierung der Gegner oftmals als zentrales Ziel hat. Dennoch muss man kritisch nachfragen, welche unterschwelligen Lerninhalte vermittelt werden sollen. Problematisch ist dazu noch, dass das Spiel vom Spielentwickler vorsichtshalber ab 18 Jahren veröffentlicht wurde, weshalb es formal einen großen Teil der Zielgruppe ausschließt. Von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM) oder vergleichbaren Prüfstellen wurde 1378 (km) nach Anfrage von politik-digital.de noch nicht indiziert.
Jens Stober erklärt in einem Interview, er habe für 1378 (km) “das Genre des Egoshooters genommen, weil das bei Jugendlichen das meistgespielte Genre überhaupt ist. Damit kann man sie unbewusst an das Spiel heranlocken, aber trotzdem ernsthafte Themen vermitteln.” Der Medienpädagoge Gerald Jörns schreibt dazu in seinem Blog: “Die Grundannahme des Spielkonzepts, dass der tumbe Ego-Shooter-Spieler einfach alles in der Erwartung niedermähen wird, dass das Spiel es belohnen werde, ist also schlicht falsch. Es kommt einem beinahe so vor, als ob der Entwickler – wie auch bei der recht negativen Bewertung existierender Ego-Shooter – Gamer und Games pauschal etwas gering schätzt. Zu dumm nur, dass auf dieser falschen Ansicht die gesamte Spielidee beruht.”
Doch unabhängig vom pädagogischen Wert des Spiels hat das Team um Jens Stober eines erreicht: Mit der Diskussion um 1378 (km) wird auch die Geschichte der innerdeutschen Grenze thematisiert. Und das quer durch alle Generationen.
Das von Charlie Lutz erwähnte “Half-Life 2: Deathmatch” kann von Besitzern einer ATI- oder nVidia-Grafikkarte kostenlos unter
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bezogen werden.