Das Vorgehen gegen WikiLeaks mutet immer bizarrer an. In der Öffentlichkeit mehren sich Vermutungen, dass insbesondere US-amerikanische Unternehmen ihre Geschäftsbeziehungen mit WikiLeaks auf politischen Druck hin aufgelöst haben – gleich einem Domino-Effekt. Besagte Unternehmen müssen nun fürchten, dass sie die Macht des Netzes zu spüren bekommen.
Den Anfang machte der Online-Versandhändler Amazon, indem er WikiLeaks von seinen Servern verbannte. Die Begründung: WikiLeaks besitze nicht alle Rechte an den publizierten Dokumenten und es sei zu befürchten, dass dadurch unschuldige Personen in Gefahr gebracht würden. Anschließend schaltete das US-Unternehmen "EveryDNS" die offizielle internationale Domain des Whistleblowers ab, da der Server Ziel mehrerer DDoS-Attacken geworden sei.
(Foto by Laijmova, Quelle: Wikimedia / Creative Commons-Lizenz)
Kurz darauf kündigte der Bezahldienst PayPal an, er habe das Spenden-Konto von WikiLeaks und der unterstützenden Wau-Holland-Stiftung wegen "illegaler Aktivitäten" gesperrt. Schließlich zog MasterCard nach und sperrte bis auf weiteres Zahlungen an WikiLeaks. Visa plane ebenfalls eine solche Sperrung, wolle aber zunächst interne Untersuchungen abwarten, ob der Whistleblower gegen die Geschäftsbedingungen verstoßen hätte. Indes wurde auch das Konto des WikiLeaks-Chefs Julian Assange vom Schweizer Geldinstitut Post Finance gekündigt, da er weder einen Wohnsitz in der Schweiz habe noch dort Geschäfte tätige.
Unternehmen als Erfüllungsgehilfen der Politik?
Der Politikwissenschaftler Dr. Christoph Bieber findet es sehr auffällig, dass all dies gerade jetzt und so plötzlich passiere und keine nachvollziehbaren Verfahren erkennbar wären. "Das hat einen gewissen Beigeschmack," sagte er gegenüber politik-digital.de. Er verweist auf die Gefahr, dass sich Unternehmen zu Erfüllungsgehilfen der Politik machten. Es sei zu vermuten, dass die besagten US-Unternehmen auf Druck von US-Politikern wie Joe Liebermann, Senator und Vorsitzender des Senats-Ausschusses für den Heimatschutz, reagiert hätten.
Vorverurteilung von WikiLeaks?
Die Sanktionen von Amazon, PayPal & Co. werfen Fragen auf. Gegen welches Gesetz hat WikiLeaks verstoßen? Tatsächlich gibt es bisher noch keine offiziellen Ermittlungen oder gar eine Anklage gegen das Whistleblower-Portal. Die Statements der Unternehmen bezüglich ihres Handelns fallen entsprechend unbefriedigend aus. Was sollen die z.B. von PayPal angemahnten "illegalen Aktivitäten" sein? Eine nachvollziehbare Begründung lässt sich bisher nicht finden.
"Operation Payback"
Indes steigt in der Netzgemeinde das Unverständnis und der Unmut über das Vorgehen der besagten Firmen, das WikiLeaks finanziell und infrastrukturell schadet. Über Facebook und andere soziale Netzwerke teilen viele Kunden der betreffenden Unternehmen mit, ihre Konten auflösen und nach Alternativen suchen zu wollen. Die Seiten von MasterCard und Postfinance in der Schweiz sind zur Zeit schwer bis gar nicht erreichbar, PayPal konnte die vermutlich dahinter steckenden Attacken auf die Server noch abwehren. Verantwortlich dafür soll die sogenannte "Operation Payback" sein. Es scheint nur eine Frage der Zeit, wann Amazon und andere die Macht des Netzes zu spüren bekommen.
Zudem findet derzeit eine Massenspiegelung der WikiLeaks-Seite statt, die vor Abschaltversuchen schützen soll. Auch gibt es positive Meldungen seitens anderer Internetdienstleister wie DomainFactory, die in den Veröffentlichungen der WikiLeaks-Dokumente auf ihren Servern nach anwaltlicher Prüfung kein Problem sehen. Wobei die Rechtslage natürlich von Land zu Land unterschiedlich ausfallen kann.
Hinweis: Der Politikwissenschaftler Dr. Christoph Bieber ist Mitglied des Vorstands von pol-di.net e.V.
UPDATE VOM 13.12.10:
Die Gruppe "Anonymous" scheint einen Strategiewechsel zu vollziehen. Nach den Cyberattacken gegen Unternehmen wie MasterCard oder PayPal, die der Gruppe zugerechnet werden, verkündete sie nun in einer Stellungnahme bzw. per Videobotschaft, dass aus der "Operation Payback" die "Operation leakspin" werden solle. Man wolle sich nun konstruktiv einbringen und darauf konzentrieren, die WikiLeaks-Dokumente zu studieren und deren Inhalte auf digitalem Wege (Foren, Chat, Video etc.) auf breiter Front weiterzuverbreiten.
Sicher hat´s G´schmäckle, wenn zeitgleich verschiedene Unternehmen ihre geschäftlichen Beziehungen mit wikileaks aufkündigen. Ich halte es indes für fragwürdig, ob man in diesem Zusammenhang von Erfüllungsgehilfen sprechen kann. Einge gewisse Autnomie darf man ihnen bei ihren Entscheidungen schon zutrauen. Immerhin hat wikileaks nicht die beste Presse und vllt erhoffen sich einige Unternehmen durch die (öffentliche) Aufkündigung ihrer Zusammenarbeit mit wikileaks einen Imagegewinn.
Einen virtuellen Guerilla-Krieg anzuzetteln halte ich nicht für die geeignete Antwort – es hilft nicht in der Sache und führt nur dazu das Bild von den Netzaktivisten als potenziell gefährlichen Anarchisten oder gar “Terroristen” zu fördern. Ein Blick in den Artikel zur aktuellen D21-Studie zeigt, dass die Chancen “der Politik” in dieser Hinsicht gut stehen. Die Macht der Netzgemeinde ist vielleicht weniger groß als einige seiner Bewohner glauben.