Gestern ist der Wahl-O-Mat für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein online gegangen. Seit seiner Einführung 2002 hat sich das Informations-Tool zu einem prominenten und beliebten Angebot entwickelt. Der Wahl-O-Mat ist vielfach gelobt, aber auch immer wieder kritisiert worden. Für politik-digital.de erläutert die Politikwissenschaftlerin Julie Rothe, warum der Wahl-O-Mat ein nützliches Einstiegstool zur politischen Information ist, während der Journalist Wolfgang Michal auf die Schwächen in Bezug auf die Programme populistischer Kleinparteien hinweist.
Ob wie derzeit zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein oder demnächst anlässlich der Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen: Der “Wahl-O-Mat” fasst seit zehn Jahren Thesen aus den Wahlprogrammen der zur jeweiligen Wahl zugelassenen Parteien zusammen und bietet mit diesem Test eine Hilfe bei der eigenen Wahlentscheidung an. Das Frage-und-Antwort-Tool, das inzwischen maßgeblich durch die Bundeszentrale für politische Bildung getragen wird, beruht ursprünglich auf dem Projekt einer studentischen Initiative aus Berlin. Viele Medien binden das kostenlose Klick-Angebot in ihre Online-Auftritte ein. Die Auswahl der Thesen bzw. die Eindeutigkeit der Auswahl lösen unter Fachleuten jedoch regelmäßig auch kritische Kommentare aus. Ist der Wahl-O-Mat eine digitale Hilfe bei der Wahlentscheidung? politik-digital.de hat nachgefragt.
Pro-Standpunkt Julie Rothe
Eines gleich vorweg: Ziel des Wahl-O-Mat ist es nicht, jemandem die Wahlentscheidung abzunehmen oder einem unentschlossenen Wähler eine politische Meinung aufzuzwingen. Vielmehr wurde er konzipiert, um vor allem jungen Wählern einen schnellen und leicht zugänglichen Überblick zu den wichtigsten Themen und Positionen im Vorfeld einer Wahl zu geben. Er soll den Einstieg in das weite Feld der Parteienpolitik erleichtern und hierfür das mediale und persönliche Interesse im Vorfeld einer Wahl nutzen.
Der Wahl-O-Mat bringt in klarer und verständlicher Weise auf den Punkt, welche Meinungen und Positionen die Parteien zu verschieden Themen vertreten und erlaubt den Abgleich mit den eigenen Standpunkten. Mit dem Wahl-O-Mat soll dem Wähler ein erster Einblick in wichtige Themen des Wahlkampfs und die Positionen der verschiedenen Parteien gegeben werden, um eine gezielte Auseinandersetzung zu ermöglichen. Als digitales Instrument soll er anregen, sich mit Politik zu beschäftigen und nach der Auseinandersetzung mit den einzelnen Positionen auch an der Wahl aktiv teilzunehmen. Hierbei können auch unerwartete Ergebnisse des Wahl-O-Maten hilfreich sein, wenn so der Einzelne animiert wird, nachzuforschen, wie es zu den überraschenden Wahlempfehlungen kommt und welche Positionen einzelner Parteien dies hervorgerufen haben.
Durch die ständige Erneuerung der Methodik des Wahl-O-Mat in den vergangenen zehn Jahren ist es möglich geworden, auch eigene Schwerpunkte innerhalb der Breite an Wahlkampfthemen zu setzen. Darüber hinaus bietet der Wahl-O-Mat eine detaillierte Auswertung der Standpunkte aller Parteien, mit der sich die eigenen Überzeugungen schnell vergleichen lassen. Bislang bietet kein anderes Web-Tool einen ähnlich guten und ausgewogenen Überblick über die Positionen verschiedener Parteien zu den entscheidenden Themen eines Wahlkampfs.
Bereits die Erstellung des Wahl-O-Mat durch junge Wähler, die ehrenamtlich mehrere Wochen Wahlprogramme auswerten und zusammenfassen, Thesen erstellen und politische Parteien zu ihren Standpunkten befragen, unterstreicht seine Einzigartigkeit. All das macht den Wahl-O-Mat zu einem zeitgemäßen Instrument, das Hilfestellungen bei der politischen Information liefert und nicht nur für junge Wähler einen Ausgangspunkt in Vorbereitung auf anstehende Wahlen darstellen kann.
Contra-Standpunkt Wolfgang Michal
Stimmen auch Sie in bedenklicher Weise mit den Ansichten der NPD überein? Dann haben Sie vermutlich den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung benutzt. In den vergangenen Jahren bin ich immer wieder auf Leute gestoßen, die politisch verdattert, erstaunt, belustigt, ja verunsichert waren. Diese Leute hatten 38 Fragen der „Bundeszentrale für politische Bildung“ (bpb) beantwortet, und 38 Mal einen der vier Wahl-O-Mat-Buttons „Stimme zu“, „Stimme nicht zu“, „Neutral“ oder „These überspringen“ gedrückt – wobei der Button „Neutral“ für ein hilfloses „Ich kann mich nicht entscheiden“, aber auch für ein vernünftig abwägendes „Teilweise ja, teilweise nein“ stehen kann. Schon das zeigt die Unschärfe und Undifferenziertheit der Antwortmöglichkeiten, doch mit solchen Kleinigkeiten will ich mich hier nicht aufhalten.
Mich interessieren vor allem die absurden Ergebnisse, die meine Bekannten berichten. Ihnen allen stieß unangenehm auf, dass kleine, abseitige Parteien in der Übereinstimmungsrangliste unverhältnismäßig weit oben landen. Engagierte Demokraten stellten plötzlich seltsame Übereinstimmungen mit der NPD, den Violetten oder der Tierschutzpartei fest, obwohl sie seit Jahrzehnten im linksliberalen oder grünen Spektrum verankert sind. Und eingefleischten Konservativen saßen die Republikaner oder die Bibeltreuen Christen im Nacken.
Wie mag der Wahl-O-Mat da wohl auf Leute wirken, die vertrauensvoll glauben, ein Roboter könne ihnen dabei helfen herauszufinden, was sie politisch denken? Die als Erstwähler eine Orientierungshilfe erwarten? Genau diese Zielgruppe hat die Bundeszentrale für politische Bildung nämlich im Blick: „Der Einsatz der Online-Tools“, schreibt sie, „findet vor dem Hintergrund einer abnehmenden Wahlbeteiligung, gerade bei den Erst- und Zweitwählern, und einer zunehmenden Entfremdung der Jugendlichen von den traditionellen Formen der Politik und Repräsentation statt.“ Der Wahl-O-Mat soll dieser politischen Entfremdung vorbeugen. Tut er das?
Ich fürchte, der Wahl-O-Mat fördert eher die politische Entfremdung als dass er ihr entgegenwirkt. Denn die Bundeszentrale für politische Bildung hat die Beantwortung der 38 Fragen generös den zugelassenen Parteien überlassen. Die bpb hat die Böcke zu Gärtnern gemacht.
Denn man sollte doch annehmen, dass die Bundeszentrale für politische Bildung weiß, dass populistische, rechtsradikale Parteien ihre Wahlaussagen gezielt als Wunschkataloge anlegen – also opportunistisch frisieren? Dass sie jeder Bevölkerungsgruppe das Blaue vom Himmel versprechen, unabhängig davon, ob die Summe der Versprechungen ein schlüssiges Konzept ergibt? Dass sie Inhalte als taktisches Mittel einsetzen? Dass sie „Übereinstimmungen“ gezielt konstruieren.
Das ist vermutlich der Grund, warum der Wahl-O-Mat – ganz egal, wie die Menschen antworten – ungewöhnlich häufig Splitterparteien auf die vorderen Plätze katapultiert.
Der Contra-Standpunkt von Wolfgang Michal ist die gekürzte Fassung eines zur Bundestagswahl 2009 auf Carta erschienenen Textes.