"Handys aus, Taschenkontrolle!" im Bundestag: Den Fraktionsspitzen passt es nicht, dass Abgeordnete twittern, bevor etwas offiziell verkündet wurde, wie z.B. bei der Wahl des Bundespräsidenten. Nur warum?
Am Beispiel der Bundespräsidentenwahl zeigt sich (wieder einmal), was passiert, wenn neue Medien auf alte Strukturen treffen: "Protokollarischer Praecox" urteilt Volker Beck von den Grünen und Kristina Köhler von der CDU findet es "unangemessen, Ergebnisse zu twittern, bevor sie der Bundestagspräsident verkündet."
Dass einige Mitglieder der Bundesversammlung, darunter der SPD-Abgeordnete Ulrich Kelber, die CDU-MdB und Stimmenauszählerin Julia Klöckner oder Garrelt Duin (SPD) die 613 Stimmen für Horst Köhler im ersten Wahlgang schon vorab per Twitter öffentlich gemacht hatten, soll jetzt Thema im Ältestenrat des Bundestages werden.
Kapelle, Blumen und Twitter
Was war passiert? Während Bundestagspräsident Norbert Lammert auf den Bundespräsidenten wartend noch auf den Stufen des Reichstags nervös auf seinem Handy herumtippte und die live berichtenden Fernsehjournalisten weiterhin alles "wahnsinnig spannend" fanden, wusste die Twittergemeinde schon genau so viel wie die Mitglieder der Bundesversammlung im Saal.
Nämlich dass es im ersten Wahlgang für Köhler gereicht hatte. Ad absurdum geführt wurde die Geheimnistuerei nach außen, als für das Fernsehvolk sichtbar die Kapelle aufmarschierte und Blumensträuße für den Wahlgewinner und die -verlierer in den Saal getragen wurden.
Alles bleibt anders
Jetzt sollen die Twitternachrichten (ebenso wie der Kapellen-Faux-Pas) ein parlamentarisches Nachspiel haben. Doch was wäre anders gewesen, wenn alle artig gewartet hätten bis Norbert Lammert das Ergebnis offiziell verkündete? Neu ist das Phänomen der Informationsweitergabe direkt aus Sitzungen heraus nämlich nicht, es ist im Internet nur sichtbarer. SMS an wohlgesonnene Journalisten oder die berühmte Hintergrundinformation "unter drei" gab es mit Sicherheit auch aus der Bundesversammlung, nur eben nicht öffentlich und transparent – und damit auch demokratischer.
Update (26. Mai 2009): Inzwischen diskutieren Klöckner, Duin, Kelber und Beck auf Twitter und rechtfertigen bzw. entschuldigen sich. Julia Klöckner lässt zudem laut FAZ ihr Amt als Schriftführerin ruhen. Und irmingard Schewe-Gerigk (Grüne) plädiert laut FAZ tatsächlich für ein Handyverbot in Zählkommissionen.
Seien wir uns doch mal ehrlich. Wen hat diese Wahl eigentlich wirklich interessiert? Das Ergebnis stand schon vorher fest. Dazu das eigentliche Topereignis des Tages, der letzte Spieltag der Bundesliga.
Das ist ein gutes Stichwort: Ich plädiere, ähnlich wie so manche Politiker mit Bezug auf den Deutschen Bundestag, für ein Handyverbot in Deutschlands Fußballstadien. Das Ergebnis sollte erst nach Ablauf der Spielzeit offiziell vom ersten Schiedsrichter verkündet werden, nachdem alle Tore noch einmal sorgfältig nachgezählt worden sind, und nicht schon vorher in die gespannte Twitterwelt gezwitschert werden. Zusätzlich sollte die TV-Berichterstattung sich auf Einspieler mit Hintergrundinformatione zum Spiel und sinnlose O-Töne von prominenten Zuschauern konzentrieren, aufgepeppt mit Beiträgen von Guido Knoop, der aus seinem Buch “Fußball: Ein Spiel” vorliest. Dem unterlegenen Team sollte zusätzlich in der Halbzeitpause ein Blumenstrauss als Dank für die Mühen überreicht werden, bevor dann das ganze Stadion am Ende der Veranstaltung “Three Adlers on the shirt” grölt. Damit würde dem deutschen Fußballpräsiendenten sicherlich die ihm zustehende Würde entgegengebracht.