Wer sich zur Zeit unter dem Link www.wikipedia.de Zugang zum "freien Wissen der Welt" verschaffen will, landet in einer Sackgasse. Statt der Verlinkung auf die deutsche Seite der in den USA ansässigen Wikipedia-Foundation, findet der Wissenshungrige folgenden Eintrag: "Mit einstweiliger Verfügung des Landgerichts Lübeck vom 13. November 2008, erwirkt durch Lutz Heilmann, MdB (Die Linke), wird es dem Wikimedia Deutschland e.V. untersagt, "die Internetadresse wikipedia.de auf die Internetadresse de.wikipedia.org weiterzuleiten", solange "unter der Internet-Adresse de.wikipedia.org" bestimmte Äußerungen über Lutz Heilmann vorgehalten werden."
Die "bestimmten Äußerungen" über das Mitglied des Deutschen Bundestages betreffen offenbar Details aus seinem beruflichen Werdegang. Der 42 Jahre alte Heilmann, der die schleswig-holsteinsche Linke im Deutschen Bundestag vertritt, ist nach Recherchen des "Spiegel" aus dem Jahre 2005 als Personenschützer hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR gewesen und hatte diese Tätigkeit verschwiegen. Nach Angaben des "Spiegel" habe Heilmann dies selbst als Fehler bezeichnet.
Ohne Wirkung
Fraglich ist allerdings die Wirksamkeit dieser Aktion, denn die von Heilmann bekämpften "bestimmten Äußerungen" können weiterhin unter der Adresse "de.wikipedia.org" gefunden werden. Zumindest diejenigen, die sich bis heute nicht mit dem Thema Heilmann beschäftigt haben, werden nun durch dessen eigene Aktion auf seine Vergangenheit aufmerksam. Zudem wird er Millionen Nutzer der deutschen Wikipedia gegen sich aufbringen, da diese nun nur noch über einen Umweg auf die Wikipedia kommen. Während der Diplom-Jurist Heilmann zumindest als moralischer Verlierer aus dieser Sache herauszugehen scheint, hat der deutsche Wikipedia e.V. ein massiv erhöhtes Spendenaufkommen zu verzeichnen. Sind es im Schnitt drei- bis viertausend Euro pro Tag, die auf dem Spendenkonto eingehen, hat sich allein am Tag der Veröffentlichung der einstweiligen Verfügung (15.11.2008) die Summe auf 16.240 Euro addiert. "Mit freundlichen Grüßen an Herrn Heilmann" ist noch einer der nettere Kommentare als Begründung für eine Spende.
www.lutz-heilmann.info
Auf seiner eigenen Webseite klärt der aus Zittau in Sachsen stammende Abgeordnete unter "Persönliches – Lebenslauf" übrigens selbst über seine Karriere und auch über seine Vergangenheit beim Ministerium für Staatssicherheit auf.
Der Verein "Wikimedia Deutschland e.V", der die Webadresse www.wikipedia.de besitzt, kündigte an, gegen den Beschluss Widerspruch einzulegen. Wikimedia Deutschland ist nicht Betreiber der Wikipedia Enzyklopädie, sondern klärt nach eigenen Angaben lediglich über die Anwendung der Wikipedia auf und linkt über www.wikipedia.de direkt auf die deutschsprachige Seite der Enzyklopädie. Betreiber des freien, kostenlosen Lexikons ist die in Florida ansässige Wikimedia Foundation.
Nach der massiven Kritik an seinem Vorgehen gegen die deutsche Wikipediaseite http://www.wikipedia.de, hat Lutz Heilmann nun ein Einsehen und veröffentlichte an diesem Sonntag (16.11.) auf seiner Webseite seinen Rückzug:
“Keine weiteren juristischen Schritte gegen Wikipedia
Zur Beendigung der juristischen Auseinandersetzung mit dem Wikimedia e.V. erklärt Lutz Heilmann:
Nachdem die falschen, ehrabschneidenden und deshalb mein Persönlichkeitsrecht verletzenden Inhalte weitgehend aus dem entsprechenden Artikel entfernt wurden, habe ich gegenüber dem Wikimedia e.V. erklärt, dass ich keine weiteren juristischen Schritte unternehmen werde und die Weiterleitung auf die Wikipedia-Inhalte unter http://de.wikipedia.org wieder geschaltet werden kann.
Wikimedia e.V. kann also ab sofort die Inhalte der freien, nicht kommerziellen Internet-Enzyklopädie Wikipedia wieder über die URL http://www.wikipedia.de zugänglich machen. Ich bedaure außerordentlich, dass durch die von mir beantragte Einstweilige Verfügung des Landgerichts Lübeck die deutschen Wikipedia-Userinnen und -User in den letzten 24 Stunden keinen direkten Zugriff mehr auf die Wikipedia-Inhalte hatten. Mir ging es dabei keineswegs um Zensur, sondern schlicht um eine wahre Tatsachen-Darstellung.
Der juristische Weg hat sich dafür insoweit als problematisch erwiesen, als durch die Struktur von Wikipedia die anderen Userinnen und User in Mitleidenschaft gezogen werden. Das war nicht meine Absicht. Gemeinsam mit Wikimedia e.V. werde ich nach anderen Wegen suchen, um den offenen und freien Charakter von Wikipedia so weiter auszugestalten, dass Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben.”