Die deutschen Parteien schauen zurzeit aufmerksam in Richtung USA, um sich Strategien vom US-Wahlkampf abzuschauen. Zehn steile Thesen, warum sich Obamas Erfolg nicht einfach so kopieren lässt.
1. Das Internet erleben viele Bundespolitiker als das Medium nerviger Fragensteller, ideologischer E-Mails oder als Motzforum für Politikverdrossene.
2. Die alten Medien in Deutschland funktionieren (noch). Deutsche Spitzenpolitiker können bequem viele Menschen über Fernsehen, Radio oder Zeitung erreichen – und das reicht den meisten auch. Wenn Merkel oder ihre Minister eine Idee öffentlich machen wollen, gehen sie zu Bild und zum Menscheln zu Kerner ins Fernsehen. Oder erinnert sich sich jemand an einen Online-Scoop wie Obamas Vizepräsidenten-SMS oder Clintons Kandidaturwebvideo?
3. Deutsche Politiker brauchen das Geld der Bürger nicht, um erfolgreich kandidieren zu können. CDU, SPD und Co. erzielen nur etwa 15 Prozent ihrer Einnahmen aus Spenden. Der Großteil der Parteienfinanzierung kommt vom Staat. (danke für den Hinweis an Sebastian Reichel). Eine wichtige Motivation, Menschen zielgerichtet im Web anzusprechen und auf deren Sorgen, Nöte und Wünsche einzugehen, fällt also aus.
4. Deutsche Parteien stecken im Verhältnis zu Obama oder McCain weniger Geld in ihre Onlinekampagnen. Außerdem müssen Fernsehen und Radio in Deutschland Wahlwerbung unentgeltlich ausstrahlen. Eine Möglichkeit und ein Anreiz weniger für spannende virale Internet-Kampagnen.
5. Deutschland hat eine schwächer ausgeprägte Freiwilligenkultur als die USA. Deutsche Politiker müssen stärkere Anreize bieten als Obama oder McCain, damit Menschen für ihre Sache bloggen, Plakate im Vorgarten aufstellen oder Fremde zu einer Wahlparty nach Hause einladen. Deshalb floppen in Deutschland so viele Mitmachkampagnen.
6. Merkel und Steinmeier sind viel enger in Parteistrukturen eingebunden als die US-Kandidaten. Außerdem arbeiten die deutschen Online-Kampagnenteams in der Regel in den Parteizentralen – und müssen sich an deren wenig internetaffinen Strukturen abarbeiten.
7. Einfach die Telefonnummern und Adressen von unentschiedenen Wählern per Download an Unterstützer zur Wahlwerbung weiterzugeben, ist in Deutschland aus Datenschutzgründen nicht möglich. Wieder ein Anreiz weniger, massiv auf das Internet zur Vernetzung von Unterstützern zu setzen.
8. Die Parteien in Deutschland können auf ihren Mitmach-Seiten für jede unkontrollierte Äußerung oder falsche Tatsachenbehauptung Dritter haftbar gemacht werden – und können sicher sein, dass irgendjemand es auch versuchen wird.
9. Wen sie wählen wollen, verraten Deutsche ungern öffentlich. Deshalb unterstützen deutsche Wähler ihre Partei oder ihren Kandidaten selten für alle sichtbar im Web. Graswurzel-Engagement hat es daher schwerer.
10. Deutsche Spitzenpolitiker reden im Internet an ihren Wählern vorbei. Dreifach abgewogene PR-Phrasen oder abgelesene Youtube-Ansprachen sorgen für negative Resonanz.
Sie sehen es genauso? Oder ganz anders? Schreiben Sie weitere Gründe oder Gegenthesen in die Kommentare!
Mehr Internet wagen
Teils ja, teils nein. Zum Teil sind Deine Thesen nur eine Beschreibung dessen, was gerade nicht richtig läuft.
Was sehe ich anders:
– Punkt 1: Stimmt zwar, müsste aber geändert werden – Politiker beschäftigen sich einfach zu wenig damit. Kein begrenzender Faktor.
– Punkt 2: Stimmt. Aber: Natürlich erinnert sich noch niemand daran, was aber nicht heißt, dass es nicht funktionieren könnte.
– Punkt 3: Stimmt leider.
– Punkt 4: Inwiefern ist das ein Argument, dass weniger Geld ausgegeben wird? Kann man ja ändern.
– Punkt 5: Stimmt leider.
– Punkt 6: Stimmt insofern, als dass die Parteien eine viel größere Rolle spielen als in den USA und insgesamt im Land stärker vernetzt sind. Eine “geringe Internetaffinität” könnte aber auch in Parteien geändert werden, wenn man es wollte.
– Punkt 7: Gott sei Dank.
– Punkt 8: Großes Problem.
– Punkt 9: Die Parteien sind in Deutschland nach wie vor sehr viel stärker verwurzelt als in den USA. Zwar nimmt die bindung auch hier ab und ein Fünf-Parteien-System tut sein übriges dazu. Aber hier fehlt es eher an der Motivation innerhalb der Parteien.
– Punkt 10: Genau. Aber der Punkt ist doch, das zu ändern.
Ich denke: Wenn die deutsche Politik es wollte, könnte sie im Internet sehr viel mehr bewegen. Eine Kopie von Obamas Kampagne wird es nicht sein, aber sich mal des Themas anzunehmen und ernsthaft zu betreiben, würde den Initiator sicher ein gutes Stück voran bringen.
@Felix Poetschke. Danke für das Feedback. Ich glaube ja auch, dass die Parteien und Politiker im kommenden Wahlkampf (und natürlich auch sonst) auf das Internet setzen müssen.
Ich sehe aber die Gefahr, dass viele Parteipolitker am liebsten wie Obama wären und dessen Erfolg und Konzepte im Netz als in D wiederholbar ansehen. Eben das von Sebastian Reichel angesprochene: “Macht es doch wie Obama!”. Und es ein herber Rückschlag für das ganze politische Internet in Deutschland wäre, wenn die (kopierten) Konzepte floppen bzw. kaum oder negative Resonanz haben – dann würden nämlich viele bestehende Vorurteile verfestigt.
Obama ist ein Hoffnungsträger, wie es die SPD nach Kohl war, nur hat keiner damit gerechnet daß die SPD inzwischen neoliberaler als dei CDU ist. Das liegt daran daß Politiker jetzt legal “Nebenjobs” in der Industrie haben dürfen was früher ein Skandal war.Die haben sich kurzerhand ihre eigene Kriminalität legalisiert, und jetzt haben wir das Problem: wes Brot ich ess,des Lied ich sing!! Da können wir doch gleich den Prof.
(Un)Sinn oder den Henkel zum Kanzler machen, warum noch Strohmänner vorschicken ??
Nur noch gekaufte Rhetoriker an der Macht, die vor lauter Geldgier ihr eigenes System nicht verstehen, von dem sie gerade überrollt werden. Sie haben den “Splint gezogen”
..und ersaufen in den Folgen ihres eigenen Handelns. So viel Ungerechtigkeit Menschenverachtung und Zynismus kann selbst die beste Rhetorik nicht mehr kommentieren.
..und da wollen die Obama kopieren: schief lachten sie sich !!