Moderator: | Herzlich willkommen beim Expertenchat von politik-digital und dem "Netzwerk Arbeit durch Innovation" (nadiv) aus Schleswig-Holstein. Dies ist der erste von insgesamt vier Experten-Chats des Forschungsverbundes nadiv, in denen der Frage nachgegangen wird, welches Arbeitsmarktpotenzial in den Neuen Medien steckt. Der Titel des heutigen Expertenchats: "Ist das duale Ausbildungssystem für die New Economy noch sinnvoll?" Unser Gast ist Karl-Heinz Kaschel-Arnold, als Abteilungsleiter bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi/IG Medien zuständig für berufliche Bildung und Technologie. Guten Tag Herr Kaschel-Arnold! Erste Frage: Herr Kaschel-Arnold hat als Arbeitnehmervertreter in verschiedenen Expertengruppen an der Schaffung neuer Arbeitsbezeichnungen mitgewirkt. Dank Ihnen gibt es nun also zum Beispiel die Berufsbezeichnung "Mediengestalter/in für Digital- und Printmedien". Lassen Sie uns doch hier gleich einsteigen: Warum brauchen wir solche neuen Berufsbezeichnungen? |
KHKaschelArnold: | Hallo! Berufsbezeichnungen kennzeichnen einen wesentlichen Punkt: Die Kernkompetenzen, die die Absolventen nach ihrer Ausbildung vorweisen sollen. Hier: Diese Menschen decken das gesamte Feld der Medien ab. |
Kernel: | Warum sollen Azubis aus neuen Medienberufen noch in die Schule gehen? Auf dem Job lernen sie vielleicht viel mehr? |
KHKaschelArnold: | Es gibt auch bestimmte theoretische Grundlagen und Ergänzungen, die der einzelne Betrieb oder die Agentur allein nicht abbilden können. Zum Beispiel Medienethik oder Medienrecht, das in der Schule kompakt vermittelt werden kann., oder Grundlagen der Farblehre für das Design. |
Hartwig: | Als Berufsschüler sehe ich nicht ein, warum ich noch in die Schule gehen soll. Meine Lehrer haben weniger Praxiserfahrung als ich! |
KHKaschelArnold: | Solche Lehrer kenne ich auch, das ist in der Tat ein Problem. Spricht aber nicht grundsätzlich gegen Lehrer und Berufschulen. Weil es Mängel gibt, haben wir in der Branche ein Projekt "Mediengestalter 2000plus" gestartet, bei dem auch die Ausbilder ausgebildet oder weitergebildet werden sollen. Das ist in der Tat nötig. |
Berta: | Gibt es für den Multimedia-Bereich eigentlich Alternativen zu einem dualen Ausbildungssystem? |
KHKaschelArnold: | Die Branche hat ja angefangen mit den Menschen, die sich alles selbst beigebracht haben oder aus den Unis und FHs kamen. Es hat sich aber gezeigt, das das allein nicht ausreicht! Akademiker werden auch gebraucht, aber ein Großteil der Stellen wird mit gut ausgebildeten Leuten aus dem dualen System besetzt werden können. |
Berta: | Meistens sind die Schüler doch ohnehin schon auf einem besseren Wissenstand als die Ausbilder, was meinen Sie? |
KHKaschelArnold: | Stimmt nur zum Teil. Ausbilder sind beispielsweise auch die Leute, die bei Pixelpark oder anderen Agenturen arbeiten. Leute aus der Praxis. Das es Mängel gibt, gebe ich zu. Das ist aber auch kein Wunder in einem völlig neuen Bereich. Heute kann man in der Financial Times über die Pixelpark-Bilanzpressekonferenz lesen, das dort bestimmte Kompetenzen wie Projektmanagement oder IT-Kompetenzen fehlen. Merke: Nicht jeder Praktiker ist automatisch perfekt! |
Hartwig: | Geben Sie nicht damit zu, dass die Lehrer nicht mehr zeitgemäß ausbilden können? Zumindest in diesen Berufen? |
KHKaschelArnold: | Das stimt so pauschal nicht. Sowohl in den Schulen als auch in den Firmen und Agenturen muss in die Ausbildung der Ausbilder investiert werden. Ich kenne eine ganze Reihe junger Berufsschullehrer, die mit Praxiserfahrungen in ihren Beruf gekommen sind und sehr fit sind in ihrem Feld. |
Pooh: | Was wollen Sie eigentlich tun, um das duale System im IT-Bereich attraktiver zu machen und die Leute von den Unis zu holen? |
KHKaschelArnold: | Es geht nicht darum, die Leute von den Unis zu holen. Die werden auch dringend gebraucht. Aber um alle Plätze besetzen zu können, braucht es drei bis vier Mal so viel Azubis, wie es jetzt schon gibt, trotz des enormen Wachstums der letzten drei Jahre. Attraktiv sind die Berufe, das zeigt die gigantische Nachfrage. Auf einen Ausbildungsplatz komen bis zu dreihundert BewerberInnen. |
Hartwig: | Was sind denn die Qualitäten, die ich nur im dualen System lerne? |
KHKaschelArnold: | Die Verbidung von praktischer Arbeit im Betrieb mit grundlegenden Kenntnissen, die für die ganze Branche gelten, plus dem Hintergrundwissen aus der Berufsschule. Außerdem sind die Berufe des dualen Systems auch Grundlage für Bezahlung und tarifliche Regelung. |
Becero: | Ist eine Gewerkschaft im Multimedia Bereich, besonders bei Startup-Unternehmen überhaupt noch gefragt – kann sie diese Berufsgruppen überhaupt erreichen? |
KHKaschelArnold: | Ganz eindeutig! Gerade während der Krise des letzten Jahres hat sich gezeigt, dass es eine ungeheure Nachfrage gibt. Dazu gehört auch, dass wir als Gewerkschaften hier anders arbeiten als in klassischen Betrieben. |
Kasc: | Sind die Gewerkschaften nicht etwas langsam in ihrer Reaktion auf die neue Arbeitswelt? Hätte man nicht schneller reagieren können? |
KHKaschelArnold: | Überholen können wir die Entwicklung nicht, aber wir sind am Ball. Seit 1997 gibt es ein Kooperationsbüroo Medien und Arbeitswelt von vier Gewerkschaften. Wir bieten dort z.B. ein Callcenter mit Beratung zu allen Fragen der Telearbeit (on-forte) oder ein Callcenter Mediafon, bei dem alle Fragen von Freelancern aus der Branche beantwortet werden. |
Poldine: | Was halten Sie von dem oft gewerkschaftsfeindlichen Klima in der New Economy? |
KHKaschelArnold: | Das Klima in der New Economy wird zunehmend freundlicher. So funktioniert z.B. eine Kündigung in der N.E. genauso wie in der Old Economy und trifft die einzelnen genauso hart. Und auf Dauer 60 und mehr Stunden /Woche zu arbeiten ist auch nicht so attraktiv. Hier können Gewerkschaften Schutz und Regelungen organisieren, ohne dass man deshalb zum zementierten 7 Stunden Tag mit Stechuhr zurück muss. |
Hugo: | Wie schätzen Sie die Zukunft der New Economy ein? Was sagen Sie zum Beispiel zu der Pixelpark-Pleite? |
KHKaschelArnold: | Pleite ist Pixelpark ja nicht, aber in der Realität angekommen wie viele anderen new-economy Firmen auch. Jetzt muß man erkennen, das manche Regeln und Gesetzmässigkeiten sich nicht geändert haben. Berufsausbildung kann ein Beitrag dazu sein, etwas zu verbessern. Pixelpark musste zB zugeben, das man Projektmanagement nicht richtig beherrscht. Das lernt man im dualen System (zumindest die Grundlagen). Also: Es geht weiter, aber realistischer als vor einem Jahr. |
Becero: | Inwiefern sind Sie der Ansicht, dass viele Regelungen des BetriebsverfassungsG auf junge und kleine Unternehmen gar nicht anwendbar sind und sich die traditionellen Gewerkschaften dahingehend nicht weit genug geöffnet haben? Diese Diskussion kam ja u.a. auch in den Landtagswahlen in Nordrhein-W. und Baden-W. auf. |
KHKaschelArnold: | Wir haben immer gesagt, das ers bestimmte grundlegende Änderungen geben muss. Die ver.di-Medien (IG Medien) hat 23.000 Freelancer als Mitglieder. In unserem Rechtssystem werden die genauso behandelt wie der Bertelsmann-Konzern. Das stimmt juristisch, aber nicht in der Realität. So brauchen wir zum Beispiel eine völlig neue Definition von solchen arbeitenden Menschen und ihren Rechten. Dafür setzen wir uns ein. |
Gync: | Ganz konkret: Wie viele Mitarbeiter dürfen sich bei verdi darum kümmern, dass mehr Gewerkschaftsmitglieder aus dieser Branche gewonnen werden? |
KHKaschelArnold: | Auf den Kopf genau kann ich das nicht sagen, aber es gibt bundeswsweit das Projekt TIM (Telekom-Medien-IT) in dem rund 15 Leute arbeiten, 8 betreuen nur den Privatfunk (Viva, RTL, pro7), es gibt 16 regionale Projekte mit jeweils mindestens zwei MitarbeiterInnen, wir haben 12 Leute im onforte-Projekt für Telearbeit, ein Kreis von über 20 Experten, die bei mediafon Freiberufler beraten , dazu backoffice in der "klassischen" Verwaltung: also eine ganze Menge (Nicht vollständig).Und: es ist und wird ein Schwerpunkt für ver.di-Medien. |
DrSpokk; | Ist ver.di nicht ein struktureller Schritt in die falsche Richtung? Eine neue Großorganisation, die der schnellen und flexiblen New Economy gar nicht gewachsen ist? |
KHKaschelArnold: | Stimmt so nicht! Ver.di ist eine Matrixorganisation, d.h. neben dem Hauptvorstand in Berlin gibt es 13 teilautonome Fachbereiche, z.B. ver.di-Medien oder ver.di-IT und Telekommunikation, die sich um einzelne Branchen kümmern. Außerdem arbeiten wir mit vielen Teams und Projekten für spezielle Zielgruppen, z.B. Multimediaagenturen. |
Anastasia: | Wie stark ist die IG-Medien eigentlich allgemein im Internet engagiert? |
KHKaschelArnold: | Wie meinst Du das? Wir haben eine WWW-Page und betreuen die Branche. |
Hugo: | Meinen Sie, dass ein Unterrrichtsfach "Medien" oder "Internet" bereits an den normalen Schulen eingeführt werden sollte, damit die Schüler den Anschluss nicht verpassen? |
KHKaschelArnold: | Klar doch! Aber dazu reicht ein Program "Computer an die Schulen" nicht aus. Der ganze Unterricht muß dann auch neu gestaltet werden. |
Basecap: | Brauche ich überhaupt eine Ausbildung um in den Neuen Medien zu arbeiten? Die nehmen doch jeden, der Ahnung von Computern hat. |
KHKaschelArnold: | Das ist teilweise auch so, aber so sehen leider auch viele Produkte aus! Die Kunden verlangen zunehmend Qualität und das setzt Menschen voraus, die vernünftig ausgebildet sind und ein bischen mehr können als nur in den Computer "hacken". |
Supergrass: | In welchen Bereichen der New Economy ist dann überhaupt noch eine universitäre Ausbildung sinnvoll? |
KHKaschelArnold: | In allen, was aber kein Wiederspruch dazu ist, daß es auch viele Menschen geben muß, die auch im dualen System ausgebildet sind. Beides gehört zusammen. |
Anastasia: | Was kann von Seiten der Regierung getan werden, um die Ausbildungsmöglichkeiten im IT-Bereich zu verbessern? |
KHKaschelArnold: | Die Regierung kann und soll bestimmte Rahmen setzen, etwa für einen Anspruch auf Weiterbildung im Beruf oder Regeln, wie Qualitätsstandards erarbeitet werden können. Die Hauptarbeit sollte aber in der Branche selbst laufen zwischen den Firmen und den Beschäftigten und ihren Organisationen. Das läuft seit langer Zeit ganz gut. Gefragt sind auch Rahmenregeleungen etwa um das Urheberrecht der Produzenten (=Beschäftigten) zu regeln oder den Datenschutz. Sowas regelt der Markt nicht allein. Ansonsten soll es dabei bleiben, das es bundesweit einheitliche Ausbildungen gibt, damit man unter dem Begriff Mediendesigner in Hamburg das gleiche versteht wie in München. |
Pooh: | Was halten Sie denn dann von den Vorwürfen an die IT-Branche: Die Leute werden ausgenutzt, schlecht bezahlt und machen die meisten Überstunden? |
KHKaschelArnold: | Das ist eine Seite und das gibt es auch . Die andere Seite: die meisten Leute arbeiten gerne und mit Lust in ihren Aufgaben, und das soll auch so bleiben. Unser Punkt als Gewerkschaft ist: Daraus darf nicht soziale Verantwortungslosigkeit werden. Wir brauchen neue Spielregeln des Umgangs miteinander. Daran arbeiten wir. Also: Nicht altbackene starre Zwangsregeln, aber auch nicht Wildwest. |
Servus: | Verdient man in der Medienbranche tatsächlich besser, wenn man ausgebildet wurde? Gibt es eine Untersuchung dazu? |
KHKaschelArnold: | Im Prinzip ja. Leider gibt es sehr wenige Untersuchungen wie die vom High Text Verlag / DMMV und Umfragen und Aufstellungen, die wir als Gewerkschaften machen. Eines zeigt sich darin aber deutlich: Je besser die Ausbildung desto höher das Einkommen oder die Honorare.; |
Kasc: | Wie halten es eigentlich unsern europ. Nachbarn mit der Ausbildung? Gibt es da auch duale Systeme? |
KHKaschelArnold: | Duale Systeme gibt es in Skandinavien, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Andere Länder wie Italien oder Frankreich bilden nur an Schulen aus. Danach kommt der "Praxisschock". Interessant sind die USA: dort baut die Regierung ein Ausbildungssystem auf, besonders für den IT- und Medienbereich, das unserem System ziemlich ähnich ist. Die machen das mit der Begründung, daß sie die Nummer eins weltweit bleiben wollen und das nur mit einer systematischen Ausbildung schaffen können. Das sollten sich unsere deutschen Systemkritiker mal näher anschauen! |
Moderator: | Liebe Chat Teilnehmer, unsere Zeit ist fast um. Wir bitten nochmal um Verständnis für die Verschiebung des Chats. Grund war der Lufthansa Streik und die daraus resultierende Verspätung von Herrn Kaschel-Arnold. Jetzt kommen wir zur letzten Frage: |
Kasc: | Wie sind sie zur Gewerkschaftsarbeit gekommen? |
KHKaschelArnold: | Als ich anfing, als Journalist zu arbeiten, war es in der Redaktion selbstverständlich, Gewerkschaftsmitglied zu sein. Für mich persönlich war das auch klar. Das ist sicher auch ein Grund warum fest angestelle Journalisten nicht schlecht verdienen. (In einem Tarifvertrag abgesichert). |
Moderator: | So, die Stunde ist um. Im Namen von politik-digital und dem Foschungsverbund "Netzwerk Arbeit durch Innovation" (www.nadiv.de) möchten wir uns bei den Chatteilnehmern und bei Karl-Heinz Kaschel-Arnold für die sehr aufschlussreiche Stunde bedanken. Der zweite Termin unserer Reihe "Experten-Chat mit nadiv" ist der 18. April zwischen 19 und 20 Uhr. Thema wird die Verknüpfung von Architektur, Kommunikation und Multimedia sein: Machen eigens errichtete Stadtteile mit luxuriöser Technikausstattung Sinn? Wo gibt es solche Projekte? Fragen Sie unsere Chatgäste in drei Wochen. Bis dahin: Auf Wiederchat! |