Am Dienstag, den 24. Juni 2008, war Heinz-Peter Meidinger, Schulleiter und Bundesvorsitzender des Deutschen Philologenverbandes, zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de. Er sprach über nötige Reformen im Bildungssystem, das Image des Lehrberufes und Eignungstests für Lehrer.

 

Moderator:
Herzlich willkommen im tagesschau-Chat. Die Schüler in
Deutschland starten in diesen Tagen in die Sommerferien, aber haben
sich Lehrer und Bildungspolitiker eigentlich eine Pause verdient?
Kanzlerin Merkel hat die „Bildungsrepublik Deutschland"
ausgerufen – endlich oder wieder einmal? Seit Jahrzehnten preist
die Politik die Bildung als höchstes Gut im rohstoffarmen
Deutschland – die Zuständen an den Schulen und die Leistungen
der Schüler im internationalen Vergleich zeigen allerdings viel
Mittelmaß und wenig Spitzenleistung. Für Kinder aus
Familien ohne Bildungshintergrund und aus armen Schichten wird die
Chance zum Aufstieg immer schwieriger, dabei müssten doch gerade
sie mehr von der Schule bekommen. Was kann und muss heute Schule
leisten? Dazu ist unser Gast heute Heinz-Peter Meidinger,
Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes und Schulleiter in
Deggendorf. Herzlichen Dank Herr Meidinger, dass Sie Zeit für
den Chat haben. Wir starten damit:

Pennaeler: Was kann
man dagegen tun, dass die Hauptschulen zu "Restschulen"
werden?

 

Heinz-Peter Meidinger
Heinz-Peter Meidinger

 

Heinz-Peter
Meidinger
: Es ist ganz wichtig, dass Hauptschulen eine enge
Verbindung zu den späteren Berufsfeldern, also zu Firmen
aufbauen. Eine Hauptschule ist dann erfolgreich, wenn sie ihre
Absolventen gut auf Arbeitsplätzen unterbringt. Erfolgreiche
Hauptschulen tun dies.

Moderator: Das löst in
strukturschwachen Gebieten – zum Beispiel im Osten Deutschlands – das
Problem aber nicht.

Heinz-Peter
Meidinger
: Im Osten Deutschlands gibt es inzwischen keine
Hauptschulen mehr, dort existiert eine Art Zweigliedrigkeit: neben
dem Gymnasium Mittelschulen, Regelschulen und Sekundarschulen. Auch
da sollten allerdings verschiedene Abschlüsse angeboten werden.
Man muss der Wirtschaft den Vorwurf machen, dass sie für viele
Berufsbilder keine Hauptschüler mehr einstellt, obwohl sie dafür
eigentlich geeignet wären.

Klassen-Kämpfer:
Die PISA-Ergebnisse für Deutschland sind desaströs und es
zeichnet sich im Bildungssektor keine Besserung ab? Was verhindert
Ihrer Meinung nach echte (und schnelle!) Reformen im deutschen
Bildungswesen? Ist der Föderalismus der Hemmschuh? Oder sind es
verkrustete Denkmuster bei Lehrern, Bildungspolitikern und
Kultusministerkonferenz?

Heinz-Peter
Meidinger
: Da muss ich zunächst einmal deutlich
widersprechen. Bei PISA 2006 ist Deutschland im Bereich der
Naturwissenschaften sogar in das beste Viertel der Teilnehmerländer
vorgestoßen. Trotzdem haben wir natürlich weiter
Reformbedarf. Gott sei Dank haben sich die Länder in der
Kultusministerkonferenz auf gemeinsame Reformen verständigt:
Bildungsstandards, Frühförderung, zentrale
Abschlussprüfungen, bessere Integration von Migrantenkindern im
Schulsystem.

"Das Bildungswesen ist unterfinanziert"

Moderator: Noch mal sehr grundsätzlich,
bevor die Detaildiskussion kommt:

volltoll: Macht man
nicht einen Fehler, wenn man sich auf die endlose Diskussion über
pädagogische Konzepte einlässt, solange bei den
maßgeblichen Politikern keine Bereitschaft besteht, die
Grundprobleme des deutschen Schulwesens auch nur zu diskutieren? Das
wichtigste dieser Probleme ist doch, dass es in unserer merkwürdigen
„Bildungsrepublik" (Angela Merkel) schlicht an der Bereitschaft
mangelt, auch das dringend benötigte Geld für unseren
wichtigsten Rohstoff auszugeben. Der deutsche Bildungsetat liegt
deutlich unter dem OECD-Durchschnitt! Die Folgen sind riesige Klassen
und überforderte Lehrer, die zum großen Teil mit 50 Jahren
reif für den Ruhestand sind.

Heinz-Peter
Meidinger
: Sie haben Recht, das deutsche Bildungswesen ist klar
unterfinanziert. Allerdings ist ja nicht Frau Merkel, sondern die
Länder sind gefordert. Hier gilt es, politischen Druck
aufzubauen.

Moderator: Das Problem Geldmangel existiert
seit vielen Jahrzehnten – warum ist es bislang nicht gelungen, diesen
politischen Druck zu erzeugen?

Heinz-Peter
Meidinger
: Es ist so, dass erst durch den PISA-Schock in
Deutschland deutlich geworden ist, dass wir an unseren Schulen
Probleme haben. Von der Analyse bis zur Problembehebung dauert es
gerade in Deutschland leider ziemlich lange. Allerdings ist Bildung
zum Top-Thema geworden, Politiker wissen, mit Bildung kann man Wahlen
verlieren (Hessen). Deshalb habe ich Hoffnung, dass der Bildungsetat
in allen Ländern mittelfristig deutlich aufgestockt
wird.

Moderator: Kommentar von:

Schnirk:
Ich glaube, dass es bereits vorhandene Lösungen gibt, die unser
Bildungssystem extrem verbessern könnten. Da unsere Politiker
aber nicht bereit sind, ein wenig Geld in die Hand zu nehmen und
Personal einzustellen, bleibt alles beim Alten. Ich unterrichte in
Klassen mit 35 SchülerInnen und arbeite im Schnitt 80 Stunden
und mehr in der Woche.

Heinz-Peter
Meidinger
: Wir haben natürlich neben der Unterfinanzierung
auch das Problem des Lehrermangels. Derzeit wären viele
Bundesländer durchaus bereit, mehr Lehrer einzustellen,
allerdings finden sich kaum Bewerber. Dies ist nicht zuletzt eine
Folge einer völlig verfehlten Personalplanung der
Kultusbehörden.

Moderator: Wie lange dauert es, um
dieses Problem zu beheben?

Heinz-Peter
Meidinger
: Zum einen steigen derzeit die Studienanfängerzahlen
im Lehramt wieder an. Allerdings gilt dies nicht für den Bereich
der Naturwissenschaften. Entscheidend wird sein, inwieweit das Image
des Lehrberufs wieder so verbessert werden kann, dass sich viele
geeignete junge Leute dafür entscheiden.

Amish:
Die Lehrerausbildung ist auch nicht mehr zeitgemäß,
geschweige denn die Bezahlung. Wer geht schon freiwillig für
einen Grund- und Hauptschullehrergehalt in eine Hauptschule?

Heinz-Peter
Meidinger
: Ich glaube, dass das Gehalt noch nie der
hauptentscheidende Grund dafür war, Lehrer zu werden. Sie haben
zwar Recht, dass Grund- und Hauptschullehrer besser bezahlt werden
müssen, insbesondere steht ihnen auch ein Beförderungsamt
zu. Wichtiger ist allerdings, dass das gesellschaftliche Ansehen
dieses Lehrerberufs wieder steigt. Und dazu können alle etwas
beitragen: Politik, Medien, und jeder einzelne von uns.

"Zentralisierung ist nicht die Lösung der Probleme"

Moderator:
Nochmal Kommentar von:

Schnirk:
In Hessen wird zurzeit alles eingestellt, was nicht bei drei auf den
Bäumen ist. Ob das der richtige Weg ist, mag ich bezweifeln.

Heinz-Peter
Meidinger
: Ich gebe Ihnen Recht, dass bei der Lehrereinstellung
auf Qualität zu achten ist. Ich bin dagegen, dass wir jetzt alle
Bewerber unabhängig von ihrer Qualifikation auf Beamtenstellen
einstellen, obwohl Lehrermangel herrscht. Soweit möglich,
sollten geeignete Nachqualifizierungsmöglichkeiten genutzt
werden.

Moderator: Noch
ein Kommentar:

Amish: In
Rheinland-Pfalz werden sogar Studierende, die erst kurz vor dem 1.
(!!!) Staatsexamen stehen, als Vertretungslehrer eingestellt.

Moderator:
Zum Thema Geld und "Bildungsrepublik Deutschland":

Flips:
Klar ist Bildung Ländersache. Was halten sie denn von der
stärkeren Beteiligung / Einmischung des Bundes, den Frau Merkel
jetzt ja offensichtlich anstrebt?

Heinz-Peter
Meidinger
: Ich persönlich glaube, dass eine Zentralisierung
der Bildungspolitik nicht der Schlüssel zur Lösung der
Probleme ist. Was wir brauchen, ist ein echter Bildungswettbewerb im
Föderalismus, den hatten wir nämlich bisher nicht.

Moderator:
Also wäre die Antwort auf diese Frage aus Ihrer Sicht ein klares
nein?

starlight: Glauben Sie, dass ein weniger
föderalistisches Bildungssystem, in dem die Entscheidungen vom
Bund getroffen werden können, besser wäre?

Heinz-Peter
Meidinger
: Ich bin ein Anhänger des Föderalismus,
allerdings heißt das auch, dass sich die Länder auf
gemeinsame Standards und gemeinsame Bildungsinhalte verständigen
müssen.
Wenn dies gelingt, funktioniert auch der
Bildungsföderalismus. Zentralismus birgt immer die Gefahr der Nivellierung nach unten.

Meier: Wie
soll dieser Wettbewerb ins Leben gerufen werden?

Heinz-Peter
Meidinger
: Entscheidend ist, dass die Karten offen auf den Tisch
gelegt werden. Ich meine den Ländervergleich im Rahmen von PISA,
der ja vielen Ländern klare Hausaufgaben aufgibt. Es ist Aufgabe
der Wähler, zu beobachten, ob die Landesregierungen ihre
Hausaufgaben erledigen.

Lehrer sollten Eignung in Tests beweisen

Elb: Um nochmal auf die
Lehrerausbildung zu sprechen zu kommen: Wäre nicht hier der
Ansatzpunkt, um die deutschen Schulen qualitativ zu verbessern? In
vielen Fällen sind Lehramtsstudiengänge nichts anderes als
ein Magister- oder Bachelorstudiengang, dem man das eine oder andere
Fachdidaktikseminar hinzugefügt hat. Wäre eine losgelöste
Lehrerausbildung in eigenen Studiengängen nicht die sinnvollere
Alternative?

Heinz-Peter
Meidinger
: Im Lehramtsstudium muss die Integration von
Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Erziehungswissenschaft erfolgen.
Dies ist nicht überall gelungen. Neben der Reform der
Lehrerausbildung halte ich allerdings die Frage der Lehrerauswahl –
also wie kann es gelingen, geeignete Bewerber zu finden – für
ganz entscheidend. Ich bin für Eignungsfeststellungsverfahren
für angehende Lehrer auf freiwilliger Basis. Es gibt
Untersuchungen, die nachweisen, dass rund ein Drittel der
Studienanfänger im Lehramt grundlegende dafür erforderliche
Persönlichkeitsmerkmale nicht mitbringt. Darauf muss man
reagieren.

Moderator:
Wie könnte so eine Prüfung (Eignungsfeststellungsverfahren)
aussehen? Ein Gespräch beim Schulpsychologen?

Heinz-Peter
Meidinger
: Es gibt erste Ansätze an einzelnen Universitäten,
z.B. in Zürich und Paderborn. Die sind sehr unterschiedlich, und
das reicht von so genannten Assessmentcenter bis hin zu ausgefeilten
psychologischen Fragebögen. Wichtig ist, dass dieses
Eignungsfeststellungsverfahren durch intensive Beratung begleitet
wird.

pr: Wäre es
sinnvoll, einheitliche Standards in allen Bundesländern für
die Lehrerausbildung zu schaffen?

Heinz-Peter
Meidinger
: Da haben Sie vollkommen Recht. Es gibt zwar
Vereinbarungen in der Kultusministerkonferenz, ich fürchte aber,
dass wir im Zuge der Umstellung auf Bachelor und Master noch größere
Unterschiede in der Lehrerausbildung zwischen den Ländern und
zwischen einzelnen Universitäten bekommen als bisher. Es ist ein
Witz, dass der Einsatz eines französischen Lehrers an einer
deutschen Schule besser geregelt und einfacher ist, als der Wechsel
eines deutschen Lehrers von einem Bundesland zum anderen.

Pepe:
Was halten sie davon, Lehrer in den Schulferien zu Fortbildungen zu
verpflichten?

Heinz-Peter
Meidinger
: Diese Möglichkeit gibt es bereits. Allerdings
halte ich nach wie vor viel davon, dass Lehrer von sich aus sich für
Fortbildungen motivieren und melden. Ansonsten wird nicht viel dabei
herausspringen.

Das Image der Lehrer verbessern

Moderator:
Ok. Zum Image für Lehrer, das ich für ein ganz wichtiges
Thema halte. (Das ist übrigens vermutlich der Rekord für
die bislang längste Frage im Chat – und keine Aufforderung,
den zu brechen, bitte!)

Daniel:
Derzeit ist, denke ich, das Image des Lehrerberufs einfach schlecht.
Das liegt nicht nur an teilweise ungenügenden Finanzierung, also
mangelnder Ausstattung, sondern hauptsächlich an der
"problematischen" Zielgruppe. Es ist leider traurige
Realität, dass bei unterschiedlichen Schulformen (Gymnasium,
Realschule, Hauptschule) und damit häufig verbunden auch der
steigende Anteil sozial schwächerer Schichten (Deutsche wie
Ausländer), die Arbeitsbedingungen für Lehrer deutlich
absinken. Das Thema ist sehr komplex und bedarf einer
Berücksichtigung vieler Faktoren, dabei kommt man schnell von
"Hölzchen auf Stöckchen". Das Problem ist
einfach, dass niemand – vor allem kein Politiker – sich vor die
Öffentlichkeit stellen kann und ausspricht, wie die Realität
aussieht: Die Probleme fangen schon bei der Kinderstube der
Heranwachsenden an. Wenn hier der Umgang sowohl unter den Kindern als
auch den Lehrern gegenüber zivilisierter wäre, würde
die Attraktivität des Berufs automatisch steigen. Von welchem
Politiker kann man aber verlangen, sich hinzustellen und von dem Volk
zu verlangen "Erzieht Eure Kinder vernünftig!". Danach
wäre man als Politiker womöglich sehr schnell aus dem
Rennen. Mängel in der Ausbildung unserer Lehrer will ich an
dieser Stelle nicht ausschließen, aber das heute schwierige
Umfeld für Lehrer schafft einfach keine Anreize mehr, sich
überhaupt für diesen Beruf zu entscheiden.

Heinz-Peter
Meidinger
: Zweifellos ist das pädagogische Umfeld in der
Schule schwieriger geworden. Trotzdem warne ich davor, den
Lehrerberuf und seine Belastungen zu negativ darzustellen. Ich kenne
viele Lehrerinnen und Lehrer, die nach wie vor sich für ihren
Beruf und für ihre Schüler einsetzen und begeistern können.
Was ist Schuld am schlechten Lehrerimage? Wir machen leider die
Erfahrung, dass alle Berufe, die zu einem überwiegenden Teil von
Frauen ergriffen werden, in der gesellschaftlichen Anerkennung
sinken. Das liegt wohl daran, dass Männer verstärkt in so
genannte Karriereberufe strömen, und der Lehrerberuf dazu nicht
mehr gerechnet wird. Aber natürlich haben auch Politiker und
Medien dazu beigetragen ("Schröders faule
Säcke").

Moderator:
Kommentar von:

Karl Meier:
Ich bin angehender Lehrer und fühle mich von der Uni überhaupt
nicht richtig auf den Beruf vorbereitet.

Richie:
Ich denke, dass Image der Lehrer ist differenziert, je nach Person zu
sehen. Ich kenne Lehrerinnen und Lehrer der Rütli-Schule in
Berlin, die ihren schweren Job gern machen und ihn als
Herausforderung begreifen. Genauso wie es LehrerInnen gibt, die ihren
Job nicht gern machen. Genauso wird das bei den Schülerinnen und
Schülern dann je nach Person anders wahr genommen.

Moderator:
Zum Thema Problemschulen – das ist hier in Berlin ein Problem:
Eigentlich müsste es doch so sein: In den Schulen in den
„Problemvierteln" müssten viel mehr Lehrer pro Klasse
vorhanden sein, als in den Schulen in den übrigen Stadtteilen.
Das klingt zwar vielleicht "ungerecht", macht aber doch
Sinn, oder?

Heinz-Peter
Meidinger
: Da stimme ich Ihnen uneingeschränkt zu. Schulen
mit schwierigen Rahmenbedingungen brauchen zusätzliche
Ressourcen.

turbotaste:
An dieser Stelle ein Vorschlag: Wie wäre es, wenn angehende
Lehramtsstudenten erst einmal ein Praktikum an der ein oder anderen
Schule absolvieren, sozusagen als pädagogische Hilfskraft;
vielleicht sogar an verschiedenen Schulformen?

Heinz-Peter
Meidinger
: Das ist ein guter Vorschlag, der inzwischen in fast
allen Bundesländern umgesetzt worden ist. Da gibt es
Orientierungspraktika, die vor dem Studium abgelegt werden und
studienbegleitende Praktika, im Grund- und Hauptstudium. Ich finde es
auch wichtig, dass man nicht nur an seiner eigenen Schulform
Erfahrungen sammelt, vielleicht sogar außerhalb der Schule in
der Jugendarbeit von Kirchen, Sportvereinen etc.

Elternforum
Bildung Dbr:
Was glauben Sie, sollten wir nicht mehr Personen
unterschiedlicher Qualifizierung an den Schulen haben? Also mehr
Lehrer, Assistent Teachers, Sozialarbeiter, Experten usw.?

Heinz-Peter
Meidinger
: Mit der Verkürzung der Schulzeit am Gymnasium
entwickelt sich diese Schulart immer stärker zur Ganztagsschule.
An einer Ganztagsschule brauche ich zusätzliches Personal, für
die Betreuung von Schülern. Leider gibt es dafür
ausgebildetes Betreuungspersonal kaum.

"Bei schwierigen Kindern Eltern verstärkt mit einbeziehen"

Moderator:
Noch mal zum Thema Schüler und Lehrer:

mango:
Wie soll die Integration der Migrantenkinder genau ablaufen, werden
dort nicht detaillierte Schulungen für die Lehrkräfte
benötigt? In welcher Hinsicht sollen wir etwas beitragen, wenn
tagtäglich Hunderte von Schülern keinen Respekt gegenüber
ihren Lehrern haben?

Heinz-Peter
Meidinger
: Die Integration von Migrantenkindern ist zunächst
einmal ein gesamtgesellschaftliches Problem. In der Schule spiegeln
sich die Versäumnisse einer völlig verfehlten bzw. nicht
existenten Integrationspolitik. Trotzdem kann Schule natürlich
gegensteuern. Zum einen benötigen wir mehr Lehrer mit
Migrationshintergrund, die hier einen wertvollen Beitrag zur
Integration der Schüler leisten können. Zum anderen setze
ich große Hoffnungen in eine intensive Frühförderung
vor der Schule. Kinder mit Migrationshintergrund sollten die deutsche
Sprache soweit beherrschen, dass sie dem Unterricht folgen können,
wenn sie eingeschult werden.

Moderator:
Das hilft allerdings erst in der Zukunft – und die frühe
Förderung von kleinen Kindern ist immer noch nicht
"flächendeckend" – pauschal gesagt. Wie hilft man den
Lehrern, die heute Probleme mit schwierigen Schülern
haben?

Heinz-Peter Meidinger:
Da gibt es ganz sicher kein Patentrezept. In dieser Frage können
wir von anderen Ländern lernen, die in solchen Klassen oft
mehrere Lehrer gleichzeitig einsetzen. Außerdem müssen bei
schwierigen Kindern auch die Eltern verstärkt mit einbezogen
werden.

müller: Was halten Sie davon, Schüler
als Betreuungspersonal auszubilden, wie es zurzeit in Rheinhessen
umgesetzt wird (Projektname: SAMS)

Heinz-Peter Meidinger:
In bestimmten abgegrenzten Bereichen ist das durchaus sinnvoll. Zum
Beispiel gibt es in vielen Ländern Tutoren-Systeme, bei denen
sich ältere Schüler gezielt um jüngere Mitschüler
kümmern. Schüler können allerdings Lehrer nicht
ersetzen.

Moderator:
Dieses Statement ist schon ein paar Minuten her, passt aber zur
Diskussion. Diese Entwicklung – in Berlin recht häufig – muss
Lehrern doch eigentlich Angst machen.

lelloo:
Also wir werden sicherlich in einen anderen Stadtteil ziehen, wenn
unsere Kleine in die Schule kommt. Ich sehe da keine andere Chance.

Heinz-Peter
Meidinger
: Während bei den weiterführenden Schulen
freie Schulwahl besteht, gilt im Grundschulbereich die so genannte
Sprengel-Pflicht, das heißt, dass man sein Kind nur an einer
bestimmten Grundschule anmelden kann. Dies führt dann zu dieser
von Ihnen angesprochenen "Fluchtbewegung". Ich
bin durchaus der Auffassung, dass die Sprengel-Bildung zu überdenken
ist. Wir haben in Frankreich zum
Beispiel eine ganz extreme "soziale Entmischung" an
Schulen, kurzum, an Schulen mit Migrantenanteil steigt dieser
kontinuierlich an. Die Idee, Höchstgrenzen für
Migrantenquoten einzuführen, halte ich allerdings auch für
problematisch. Nur wenn Schulen durch Qualität überzeugen,
und da gibt es auch viele Schulen mit hohem Migrationsanteil, können
sie bestehen.

"Durchlässigkeit nach oben ist verbesserungsfähig"

Moderator:
Noch ein Problem im dreigliedrigen deutschen Schulsystem:

fosbos:
Also, ich habe mein Abitur gerade über die Fachoberschule
gemacht und bin von der Hauptschule auf diese gewechselt. Was mich
dabei stört ist, dass es Schülern schwer gemacht wird, von
der Hauptschule auf höhere Schulen zu wechseln, obwohl man auch
bei mir festgestellt hat, dass ich durchaus fähig war, auf eine
höhere Schule zu wechseln. Im Gegenteil, man hat mir sogar
abgeraten, nach dem Abschluss auf eine weiterführende Schule zu
gehen. Ich finde, in dem Bereich sollte etwas unternommen werden.

Heinz-Peter
Meidinger
: Ich stimme Ihnen zu, dass die Durchlässigkeit
unseres Schulsystems nach oben verbesserungswürdig ist.
Allerdings hat eine Studie kürzlich festgestellt, dass 30
Prozent der Hauptschüler noch höhere Abschlüsse
erreichen und 25 Prozent der Realschüler ebenso. Dieser Anteil
lässt sich allerdings noch steigern.

Moderator:
Zum Schluss noch die Top-Frage aus unserem "Warteraum vor dem
Chat":

chance: Ich selbst musste lange Zeit unter
einem schlechten Bildungs-/Schulsystem und unter Menschen, die für
den Beruf des Lehrers nicht geeignet waren und sind, leiden. Vor
allem der Beamten-Status lockt Menschen an, die eher ihr
Sicherheitsbedürfnis befriedigen wollen, als sich
leidenschaftlich einer Tätigkeit als Lehrer zu widmen. Daher
meine Frage: Halten Sie es für sinnvoll, das Beamtentum im
deutschen Bildungssystem abzuschaffen? Was würden Sie sonst
vorschlagen, um einerseits zu verhindern, dass Personen, die
menschlich und psychisch völlig ungeeignet sind, diesen Beruf
ergreifen, und andererseits jene aus dem Lehrerberuf ausschließen
zu können, bei denen sich die fehlende Eignung leider erst
während der Tätigkeit herausstellt? Sollten nicht erst mal
Leistungsfähigkeit und Eignung der Lehrer besser getestet
werden, bevor Sie diesen Beruf ergreifen dürfen?

Moderator:
Zum Eignungstest wurde ja schon einiges von Herrn Meidinger gesagt.
Wie steht es mit dem Beamtentum?

Heinz-Peter Meidinger:
Ich bin ein Befürworter eines stärker leistungsorientierten
Beamtentums. Das heißt, gute Lehrer sollten auch besser bezahlt
werden. Der Beamtenstatus verhindert immerhin, dass in Deutschland
das amerikanische Hire-and-Fire-Prinzip Einzug hält und er
sichert die Unabhängigkeit des Lehrers gegenüber dem
Schulleiter wie auch den Schülern und Erziehungsberechtigten.

Moderator:
Damit ist unsere Stunde tagesschau-Chat leider schon wieder vorbei.
Vielleicht hat dieser Chat ja geholfen, das Interesse am Lehrerberuf
zu steigern. Mein Name ist Wolfram Leytz. Herzlichen Dank, Herr
Meidinger, dass Sie Zeit für den Chat gefunden haben. Das
Chat-Protokoll gibt es in Kürze auf den Webseiten von
tagesschau.de und politik-digital.de. tagesschau.de wünscht noch
einen schönen Tag.

Heinz-Peter
Meidinger
: Ich bedanke mich bei allen Teilnehmern für die
lebendige Diskussion, bei der auch ich dazugelernt habe. Einen
schönen Nachmittag!