Am Mittwoch, 05. März 2008, war der Bundestagsabgeordnete und Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD, Johannes Kahrs, zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de. Er beantwortete Fragen zum neuen Kurs der SPD und sprach sich gegen Zusammenarbeiten mit der Linkspartei aus.
Moderatorin: Herzlich willkommen im tagesschau-Chat. Im ARD-Hauptstadtstudio ist heute Johannes Kahrs unser Gast, Bundestagsabgeordneter und Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD. Von dort kommt mit die schärfste Kritik an dem neuen Kurs des Parteivorsitzenden Kurt Beck gegenüber der Linkspartei. Vielen Dank, dass Sie heute Zeit für uns haben. Die erste Frage an Sie ist zugleich eine, die viele User vorab für besonders wichtig bewertet haben.
Troll: Zusammenarbeit mit der Linkspartei in den Ländern, aber niemals im Bund: Ist das realistisch?
Johannes Kahrs: Auf Bundesebene kann ich für viele Bundestagsabgeordnete sagen, dass wir uns das nicht vorstellen können. Nach der gestrigen Fraktionssitzung gibt es eine Dreiviertelmehrheit der Kollegen, die das nicht machen würden. Die Länder sind eben in der Frage selbstständig. Da kann man ihnen auch nichts aufzwingen. Wir sind in der Frage auch nicht nach dem Prinzip „Top-down" organisiert.
Kurt: Welchen Sinn macht es für die SPD, das Land, seine Bürger und die Demokratie, die Zusammenarbeit mit der Linkspartei von vornherein auszuschließen?
Johannes Kahrs: Ich glaube, dass die Linkspartei im Westen zurzeit kein konstruktiver Koalitionspartner wäre aufgrund von Personal und Inhalten und deswegen halte ich es für das Land und für die SPD im überschaubaren Zeitraum für einen Fehler, mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Ich habe es immer verurteilt, dass die Hamburger CDU mit der Schill-Partei koaliert hat. Ich glaube nicht, dass ich mit jeder Partei koalieren muss, wenn ich deren Personal und Inhalte für nicht regierungsfähig halte.
Ich halte es im Sinne der Demokratie in diesem Land für besser, offen zu sagen, dass ich dieses nicht will. Gleichzeitig sollten wir um die Menschen werben, die sich vorstellen können, Linkspartei oder SPD zu wählen. Letztendlich ist wichtig, wer für diese Menschen in der Realität etwas umsetzen kann. Das ist garantiert nicht die Linkspartei.
Moderatorin: Welchen Sinn macht es, das Land in West und Ost dabei zu teilen? Im Osten ist bereits Realität, was Sie ablehnen.
Johannes Kahrs: Im Osten hat man innerhalb der Linkspartei einen Funktionärskörper, der in den letzten 16 bis 17 Jahren gelernt hat, wie man pragmatische Politik macht. Er hat gezeigt, dass man auch koalitionsfähig ist. Im Westen haben sie eher die Gescheiterten des westdeutschen Politikbetriebes. Die Extremisten, die weder einschätzbar noch, meiner Meinung nach, politikfähig sind. Siehe die Abgeordnete der DKP aus Niedersachsen.
"SPD wird sich nicht spalten"
Gregor Keusching: Glauben Sie, dass sich mittelfristig die SPD in die rechte Richtung (Steinbrück-Flügel) spaltet, wie dies vor einigen Jahren mit der WASG passiert ist?
Johannes Kahrs: Die SPD hat eine 144jährige Geschichte und als Volkspartei umfasst sie immer mehrere Politikströmungen und Richtungen. Sie ist als Ganzes aber stabil und wird sich deswegen auch nicht spalten. Gleichzeitig glaube ich aber deshalb eben auch, dass es besser ist, um die Wähler der Linken zu werben, als links von uns eine weitere Partei zu akzeptieren.
Sozi: Herr Kahrs, zurzeit wird im Vorstand heftig über eine endgültige Lösung des innerparteilichen Streits diskutiert. Wäre Ihrer Meinung nach ein Sonderparteitag oder eine Mitgliederbefragung die richtige Antwort?
Johannes Kahrs: Ich glaube, bevor es zu einem Sonderparteitag oder einer Mitgliederbefragung kommt, müsste es erst einmal in der SPD auf allen Ebenen eine Diskussion über diese Grundsatzfrage über die Zusammenarbeit mit der Linken geben. Ich halte es nicht für ausreichend, einen Parteivorstandsbeschluss innerhalb einer Woche zu haben, der eine Kursänderung um 100 Grad vorsieht, sondern glaube, dass dies der Anfang einer Diskussion ist, die wir innerhalb der SPD führen müssen.
Position Kurt Becks und Ausrichtung der SPD
Moderatorin: Sind Sie da nicht ein bisschen spät dran? Beschluss ist Beschluss!
Johannes Kahrs: Wir hatten ja eine grundsätzliche Ansage unseres Parteivorsitzenden. (vor der Landtagswahl in Hessen, Anm. der Red.) Jetzt gibt es diesen Beschluss, der aussagt: Auf Bundesebene zur Bundestagswahl 2009 nicht und die Länder entscheiden es selber (ob sie mit der Linkspartei koalieren wollen, Anm. der Red.). Also muss die Diskussion jetzt in den Ländern geführt werden, ob man es will und die Diskussion ist eröffnet.
Karl-Heinz: Ihr Parteikollege Jürgen Walter hat heute in der „Süddeutschen Zeitung" gesagt, dass Kurt Beck „jede Glaubwürdigkeit im Umgang mit der Linkspartei"" verloren habe. Teilen Sie seine Auffassung? Welche Auswirkungen hat dies Ihrer Meinung nach auf eine mögliche Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahlen 2009?
Johannes Kahrs: Ich glaube, dass Kurt Beck mit der Abänderung seiner Ansage einen Fehler gemacht hat. Ich halte dies aber für eine inhaltliche Frage und nicht für eine Personalfrage. Deswegen glaube ich, dass er auch weiterhin ein guter Parteivorsitzender ist, auch wenn ich nicht in jeder Frage einer Meinung mit ihm bin.
Moderatorin: Sehen Sie noch eine Möglichkeit, Beck „zurück zu holen" im Sinne Ihres Seeheimer Kreises?
Johannes Kahrs: Auf Bundesebene steht die Ansage von Kurt Beck: Mit der Linken 2009 nicht. Dass die Länder selbst entscheiden, war früher ein Grundsatz. Den hatte Kurt Beck geändert und gesehen, dass er ihn nicht halten kann. Nun ist er auf die alte Linie zurückgegangen, die der Parteivorstand bestätigt hat. Ich glaube, dass ist nicht zurückholbar. Jetzt muss jedes Land, jede Landes-SPD, im Bewusstsein der Verantwortung für die Gesamtpartei zu einer eigenständigen Entscheidung kommen und diese auch verantworten.
wiltob: Ist die SPD noch „in der Mitte"? Erst hat die SPD den „Schröder-Weg" verlassen und bewegt sich jetzt in Richtung „Linke".
Johannes Kahrs: Die SPD ist weiterhin auf dem Weg, den Gerhard Schröder eingeschlagen hat, den Franz Müntefering weitergeführt hat, den Peter Struck, Frank-Walter Steinmeier, aber auch Kurt Beck durchhalten. Korrekturen an der Agenda 2010 müssen immer möglich sein. Das heißt, wir haben unseren Kurs nicht geändert, diskutieren aber jetzt die Frage eines weiteren Koalitionspartners in den Ländern.
querbeet: Die augenblickliche Diskussion um die LINKE entspricht etwa der Ausgrenzungspolitik der damals etablierten Parteien gegenüber den Grünen in den 80ern. Sollte neuen Entwicklungen nicht konstruktiver begegnet werden?
Johannes Kahrs: Es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Grünen und der Linkspartei, der sich aus der Geschichte der „Linkspartei/PDS/SED" ergibt. Die Grünen waren eine Gruppierung mit inhaltlichen Schwerpunkten, die sich im Laufe einiger Jahre in die bürgerliche Mitte entwickelt haben, so dass die „taz" titelt: „CDU/Grüne-Koalition in Hamburg wäre eine Koalition der Operngänger". Andere schreiben: „Eine Wiedervereinigung des Bürgertums". Die Entwicklung der Grünen kann daher nicht mit der Geschichte der Linkspartei und deren Personalzusammensetzung verglichen werden.
wombe: Herr Kahrs, bei der Linkspartei sind viele Gewerkschafter und ehemalige SPD-Genossen. Warum haben Sie solche Berührungsängste?
Johannes Kahrs: Die Linkspartei im Westen ist ein Sammelsurium von gescheiterten Persönlichkeiten des westdeutschen Politikbetriebes und eine Ansammlung von Extremisten aus gescheiterten Gruppierungen wie DKP, Trotzkisten, Marxisten, Leninisten und anderen Sektierergruppen, wie man sie aus dem westdeutschen Politikbetrieb kennt.
Glaubwürdigkeit der SPD
Moderatorin: Lassen Sie uns noch mal kurz zu den Vorgängen in Hessen zurückkehren. Immer wieder wird der SPD jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem und Wortbruch angelastet. Dazu folgende Frage:
boedi: Der Wortbruch der SPD in Hessen sollte mal näher erklärt werden. Ich zitiere Frau Ypsilanti am Wahltag: „Niemals wird es eine Koalition mit den Linken geben!" Regierungsbildung kann nicht auf Wortbruch geschehen!
Johannes Kahrs: Ich stimme dem zu. Ich halte das, was die hessische SPD derzeit macht, für einen Fehler. Ich kann nur bedingt die Begründung nachvollziehen, dass man so das, was man auch versprochen hat – zum Beispiel die Abschaffung von Studiengebühren -, nur so durchsetzen kann. Hier werden das Versprechen, Inhalte durchzusetzen, und das Versprechen, nicht zu koalieren, gegenübergestellt und man sagt, dass man so wenigstens eines davon erfüllen kann.
quodlibet: Welchen Rat würden Sie Frau Ypsilanti geben? Neuwahlen anzustreben?
Johannes Kahrs: Ich würde mich entspannt im hessischen Landtag zurücklehnen, den amtierenden Ministerpräsidenten Roland Koch mit seinen Anträgen und Vorschlägen kommen lassen, für die er keine Mehrheit hat, und würde gleichzeitig alle inhaltlichen Anträge, die ich richtig finde, mit Mehrheit im Landtag beschließen lassen. Zum Beispiel: Abschaffung von Studiengebühren. Roland Koch würde das kein Vierteljahr durchhalten.
Karl-Heinz: Wie kann man an einem Kanzlerkandidaten Beck festhalten, der es schafft, die SPD bei der Sonntagsfrage innerhalb einer Woche von 28 auf 24% zu katapultieren und dem 2% der Deutschen und 3% innerhalb der SPD Glaubwürdigkeit bescheinigen (aktuelle „Stern"-Umfrage)? Drohen ihm keine Konsequenzen vom rechten Parteiflügel der SPD, sollte das Experiment in Hessen am 5. April scheitern?
Johannes Kahrs: Kurt Beck ist Parteivorsitzender. Ich habe ihn gewählt und würde ihn wiederwählen, Fehler macht jeder. Über die Kanzlerfrage wird nach Aussage von Kurt Beck Anfang 2009 entschieden.
Manuel2: Halten Sie Kurt Beck trotz seiner bisher mehr als schwammigen und bestimmt auch ungeschickten Aussagen weiterhin für den unangefochtenen Kanzlerkandidaten 2009?
Johannes Kahrs: Kurt Beck sagte, die Frage der Kanzlerkandidatur wird Anfang 2009 entschieden. Der Parteivorsitzende wird dann einen Vorschlag machen und die Partei wird ihn dann diskutieren.
Moderatorin: Lieber Herr Kahrs! Die Frage war nicht beantwortet. Sie persönlich sind gefragt worden, ob Sie Beck für den geeigneten K-Kandidaten halten.
Johannes Kahrs: Ich halte es mit meinem Parteivorsitzenden Kurt Beck und werde auch für mich die Frage 2009 entscheiden. Spekulationen über Kanzlerkandidaturen fast anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl nutzen in der Regel nur dem politischen Gegner. Fragen werden beantwortet, wenn sie dran sind.
Rolle des Seeheimer Kreises
Moderatorin: Auch die Antwort auf die eben gestellte Frage, ob Konsequenzen vom rechten Parteiflügel drohen, fehlt noch…
Johannes Kahrs: Warten wir es ab. Ich persönlich halte das Vorgehen von der hessischen SPD für falsch und werde mir anschauen, wie es ausgeht. Spekulative Fragen helfen uns in der jetzigen Situation nicht weiter.
Lauer Alexander: Für wie groß erachten Sie den Einfluss des „Seeheimer Kreises" in der partei-internen Diskussion?
Johannes Kahrs: Der Seeheimer Kreis ist ein Zusammenschluss von 80 Bundestagsabgeordneten und hat den Anspruch, innerhalb der Bundestagsfraktion Politik mit zu gestalten. Im Gegensatz zur parlamentarischen Linken sind wir kaum in den Landesverbänden und Unterbezirken vertreten.
Deswegen beschränkt sich unser Einfluss generell auf die Bundespolitik.
alex: Wie sehen Sie das Machtverhältnis innerhalb der SPD zwischen dem rechten Seeheimer-Kreis und der wieder erstarkten Drohsel-Nahles-Beck-Fraktion sowie die tendenzielle Entwicklung?
Johannes Kahrs: Zum einen ist der Seeheimer Kreis nicht rechts – rechts ist Helmut Kohl und die CDU. Zum anderen gibt es keinen Drohsel-Nahles-Beck-Flügel, sondern es gibt die Jusos, die auch unterschiedliche Auffassungen in ihren Reihen haben als auch eine Vertreterin der parlamentarischen Linken wie Frau Nahles, die einen Teil der Bundestagsfraktion repräsentiert.
Heinz: Verliert die SPD nach ihrer Meinung durch dieses Vorgehen nicht mehr Wähler in der Mitte, als sie im linken Spektrum hinzugewinnt?
Johannes Kahrs: Die Gefahr besteht. Deswegen ist es mir wichtig, dass die Zusammenarbeit mit der Linken zur nächsten Bundestagswahl nicht stattfindet und dies auch klar und verständlich vermittelt wird, so schwierig das in der jetzigen Lage auch ist.
Moderatorin: Bitte sagen Sie ein Argument, weshalb die Wähler das nach Hessen noch glauben sollen.
Johannes Kahrs: In Hessen hat es eine landespolitische Entscheidung gegeben, die ich persönlich bedauere, die Akteure auf Bundesebene sind andere. Eine übergroße Mehrheit der Bundestagsfraktion, die dies letztendlich umsetzen müsste, hat sich gestern in der Fraktionssitzung in teilweise hochemotionalen Diskussionen gegen eine – wie auch immer geartete – Zusammenarbeit mit der Linkspartei auf Bundesebene zur Bundestagswahl 2009 ausgesprochen.
"SPD ist keine andere Partei geworden"
Linksruck: Hallo Herr Kahrs, was raten Sie den vielen SPD-Mitgliedern, die wegen der Zusammenarbeit mit der Linkspartei überlegen, die SPD zu verlassen?
Johannes Kahrs: Ich habe mit vielen von meinen Parteifreunden darüber gesprochen und ihnen gesagt, dass aufgrund von Einzelfallentscheidungen die SPD keine andere Partei geworden ist und für die gleichen Grundwerte steht. Ich halte eine Entwicklung auf Bundesebene wie in Hessen für ausgeschlossen und würde jeden bitten, in der Partei zu bleiben und sich innerhalb der Partei auch dafür einzusetzen. Die Mitglieder entscheiden letztendlich, in welche Richtung die Partei sich entwickelt.
Moderatorin: Zwei Nachfragen zu Hessen:
spirit008: Der hessische „Wortbruch" – oder nicht – ist nur ein Vordergrundproblem. Im Hintergrund steht die Frage: Warum grenzt die SPD sich nicht konsequent überall von der „LINKEN" ab, um strategisch langfristig deren Wähler für sich (wieder) zu gewinnen?
Johannes Kahrs: Ich kann dem nur zustimmen. Ich persönlich würde eine Abgrenzung zur Linkspartei vorziehen, um keine Partei links von der SPD sich langfristig etablieren zu lassen, sondern halte es für wichtiger, die Wähler der Linkspartei davon zu überzeugen, dass sie mit ihren Interessen bei der SPD besser aufgehoben sind. Wir sind die einzige Partei mit ökonomischen Sachverstand und gleichzeitiger sozialer Kompetenz.
smurf: Also dann doch Neuwahlen in Hessen? Denn Koch wird ja wohl keine Mehrheit zusammenbekommen.
Johannes Kahrs: Das entscheidet die Entwicklung in Hessen. Ich persönlich würde mir wünschen, dass sich insbesondere die FDP bewegt, um eine Ampelkoalition zu ermöglichen, weil man ja nicht den Wähler so lange wählen lassen kann, bis einem das Ergebnis passt. Da hat die Politik auch eine Verantwortung.
DJ: Warum kann die SPD nicht einfach „Nein" sagen zur LINKEN in Hessen? Ist es heute so schwer, einfach zu seiner Meinung zu stehen? Oder gilt jetzt nur noch der Spruch: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern"?
Johannes Kahrs: Das ist eine Entscheidung der hessischen Genossinnen und Genossen, die ich persönlich für falsch halte.
hoffnungsturm: Ist es nicht unglaubwürdig, auf Landesebene zu kooperieren, und es im Bund auszuschließen?
Johannes Kahrs: In den neuen Bundesländern gibt es dies mit unterschiedlichen Erfahrungen. In den westlichen Bundesländern kann die Bundespartei es keiner Landespartei vorschreiben.
Das war auch in der Vergangenheit so. Für die Bundesebene bürgt aber die SPD-Bundestagsfraktion, die in der Frage „Zusammenarbeit mit der Linkspartei" klar sortiert ist und dies ablehnt – so auch der einstimmige Beschluss des Parteivorstandes von Montag.
Mögliche Koalitionen
andreas: Ich bin selber SPD Mitglied, bei uns in Sachsen-Anhalt begrüßen viele eine Zusammenarbeit mit der Linken, da dort viele die CDU leid sind. Ist es nicht so, dass ein Großteil der Mitglieder lieber mit der Linken zusammen arbeiten würde und die Linke uns viel näher steht als eine CDU?
Johannes Kahrs: Ich glaube, dass sich die Linkspartei im Osten personell und inhaltlich besser darstellt als im Westen. Grundsätzlich ist für mich die Frage wichtig, mit wem ich am besten sozialdemokratische Politik durchsetzen kann und wie verlässlich mein Partner ist. Persönlich habe ich auf Grund der Geschichte der Linkspartei ein großes Problem, mit der Linkspartei zu koalieren und würde deswegen weder in Hamburg noch auf Bundesebene dies tun können und wollen.
Moderatorin: Dazu eine ganz gegenteilige Frage:
CL1981X: Bei dem Koalitionspoker in Hessen wird ja oftmals die Stimme der Bürger vergessen. Die Mehrheit der Bürger wollen die CDU sowie die SPD an der Regierung haben. Ist es nicht hier Aufgabe der Politik, ihre Streitereien einzustellen und endlich eine große Koalition zu bilden, die 70 Prozent der Wahlstimmen abdeckt?
Johannes Kahrs: Dazu müsste bei beiden Partnern die Bereitschaft vorhanden sein. Die hessische CDU ist zum Beispiel nicht vergleichbar mit der Hamburger CDU. Diese ist deutlich liberaler,
so dass ich nicht glaube, dass eine große Koalition besser wäre als eine Ampel.
s8chricht: Hätte in Hessen bei der CDU jemand anders kandidiert als Koch, hätte man seitens der SPD mit der CDU kooperiert?
Johannes Kahrs: Wenn nicht Roland Koch Kandidat gewesen wäre und auch der Wahlkampf weniger persönlich, ausländerfeindlich und polarisierend gewesen wäre, hätte man es vielleicht geschafft, auch mit der CDU zusammen zu kommen. Da aber die CDU den Kurs von Roland Koch mitgetragen hat, ist das derzeit auch den Mitgliedern der SPD schwer zu vermitteln.
Hejak: Führt es nicht eher zu einer Schwächung der SPD und einer Stärkung der Linken, wenn sich die SPD weiterhin in großen Koalitionen bindet? Denn eine Profilierung durch sozialdemokratische Politik war bislang in der Großen Koalition nicht möglich
Johannes Kahrs: Ich persönlich bin ein großer Anhänger der rot-grünen Option. In den sieben Jahren rot-grün unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben wir dieses Jahr in vielen Punkten entscheidend nach vorne gebracht, sowohl im gesellschaftlichen als auch im wirtschaftlichen Bereich. Dies wäre mit der Linkspartei nie möglich gewesen. Deswegen werbe ich darum, nicht mit der Linkspartei zu koalieren, sondern als SPD selber so stark zu werden, dass es nur mit den Grünen reicht, also um die Wähler der Linken zu werben.
Pierre-KS: Wie kann sich keine Partei links von der SPD etablieren, wenn der Einfluss der Seeheimer, der Schröderianer und Agenda-Reformer gerade jahrelang dafür gesorgt hat, dass der SPD Wähler weggelaufen sind und somit die Linke überhaupt diesen Erfolg haben konnte?
Johannes Kahrs: Die Erfolge der Politik der rot-grünen Bundesregierung sind derzeit offensichtlich und es gilt, die Wähler davon zu überzeugen, dass diejenigen, die Opfer gebracht haben um dies zu ermöglichen, auch diejenigen sind, die jetzt von den Erfolgen profitieren müssen.
Daher treten wir unter anderem für Lohnerhöhungen in den derzeitigen Tarifrunden und Mindestlöhne ein. Bedauerlich ist, dass Frau Merkel und die CDU sich dem verweigern. Es kann nicht angehen, dass nur die Führungskräfte der deutschen Wirtschaft sich ihre Gehälter erhöhen, sie es ihren Mitarbeitern aber verweigern und sie trotz kräftiger Gewinne entlassen.
Napoleon: Herr Beck steht doch klar für eine Öffnung zur Linkspartei. Wie wollen Sie mit Herrn Beck als Spitzenkandidaten sicherstellen, dass es diese Zusammenarbeit nicht gibt?
Johannes Kahrs: Herr Beck und der Beschluss des Parteivorstandes sagen: Auf Bundesebene zur Bundestagswahl 2009 mit der Linkspartei nicht. Inhaltlich hat Herr Beck in den sieben Jahren der rot-grünen Koalition den Kurs mitvertreten und er steht meiner Auffassung nach nicht für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei, sondern er steht lediglich einer mehrheitlichen Entscheidung des hessischen Landesverbandes nicht im Weg. Die Frage der Kanzlerkandidatur wird auf seinen Vorschlag hin Anfang 2009 entschieden.
titzy: Wäre es nicht fair und besser für das öffentliche Erscheinungsbild der SPD, mit allen Stellungnahmen und Verurteilungen zum Thema Linkspartei auf die Rückkehr des Vorsitzenden zu warten?
Johannes Kahrs: Die SPD diskutiert zurzeit einen Beschluss des Parteivorstandes und wird dies natürlich auch mit Kurt Beck diskutieren, wenn er wieder gesund ist.
Guillaume1984: Sehen Sie in Zukunft – auch im Hinblick auf Bundestagswahlen – eher Lagerwahlkämpfe Rot-Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb oder halten sie auch andere Dreierkoalitionen für möglich (Ampel, Jamaika etc.)?
Johannes Kahrs: Dreierkoalitionen halte ich für ein politisches Unglück, da die notwendigen Kompromisse nicht zu vernünftigen Ergebnissen führen können. Ich bevorzuge Zweier-Koalitionen und kann auch meiner Partei nur raten, Koalitionsspekulationen sein zu lassen und um die Wähler zu werben, die wir brauchen, um eine rot-grüne Koalitionsoption wieder möglich zu machen.
Lagerwahlkämpfe sind ein Zeichen von Inhaltslosigkeit, die die Bürger eher von den Inhalten ablenken und sie in die Arme von populistischen Rattenfängern treiben. Deswegen lehne ich sie ab.
lukas: Ist es in Deutschland noch möglich, Politik zu betreiben, ohne den politischen Gegner zu denunzieren, zu beleidigen, oder ihm jegliche Kompetenz abzusprechen? Ich beobachte dieses Verhalten vermehrt dort, wo die großen Parteien laufend Wähler nach Rechts oder nach Links verlieren.
Johannes Kahrs: Ich habe sieben Jahre in einer rot-grünen Koalition Sacharbeit geleistet und bin nach unendlich vielen Gesprächen mit Bürgern der Auffassung, dass es zwar mühsamer, langwieriger, aber auf Sicht für dieses Land ergebnisorientierter ist, um Inhalte zu streiten, die das Land voranbringen, als platte Sprüche abzusondern. Gleichzeitig muss man aber auch so ehrlich sein, klare Ansagen zu machen, die dem Wähler Orientierung geben. Damit er weiß, woran er ist.
Persönliche Beleidigungen lehne ich ab.
Moderatorin: Wir haben in diesem Chat nebenbei eine Umfrage gestartet, ob die SPD mit der Linkspartei auf Bundesebene koalieren sollte. Hier die Umfrage-Ergebnisse: 45 Prozent sagen, die SPD soll im Bund mit der Linken zusammenarbeiten, 54 Prozent sagen „Nein!" Herr Kahrs, wollen Sie das kurz kommentieren?
Johannes Kahrs: Politik wird von Menschen gemacht. Menschen haben Grundüberzeugungen, die unabhängig sind von Umfragen oder Opportunitätsvorstellungen einiger bezüglich mancher Koalitionen. Ich will, mag und kann mit der Linkspartei auf Bundesebene nicht zusammenarbeiten. Egal, ob das uns in den Umfragen hilft oder nicht oder ob es eine Mehrheit dafür gibt oder nicht.
Persönliche Einstellung zur SPD
Moderatorin: Wir kommen in die Schlussrunde – zwei persönliche Fragen an Sie sind eingetroffen:
Hape: Werden Sie diese Position persönlich nicht aufgeben müssen angesichts der Wahlerfolge der Linkspartei?
Johannes Kahrs: Das ist eine politische Grundüberzeugung, da kann man mich nicht wählen, abwählen oder überstimmen. Aber ich möchte mir gerne jeden Morgen noch in den Spiegel gucken und werde dies persönlich nicht tun.
Moderatorin: Kurze Zwischenfrage meinerseits dazu: Sollte die SPD im Bund mit der Linkspartei koalieren, wäre das für Sie der Anlass auszutreten?
Johannes Kahrs: Ich bin der Meinung, dass man für seine Überzeugungen streiten sollte und würde dann in der Bundestagsfraktion in meiner Partei für meinen Standpunkt kämpfen. Austreten ist keine Lösung. Weglaufen, wie es Oskar Lafontaine oder Gregor Gysi ja vorgemacht haben, übrigens auch nicht.
Moderatorin: Kleiner Höhepunkt zum Schluss mit der im von den Usern vorab höchstbewerteten Frage, die wie eben angekündigt noch eine sehr persönliche ist:
LaberNase: Was bedeutet für Sie die Partei SPD? Warum sind Sie Mitglied dieser Partei?
Johannes Kahrs: Die SPD ist für mich die Partei, die sich um die Menschen kümmert, die sich selbst so nicht helfen können und die Partei, die ökonomische Kompetenz mit sozialer Kompetenz verbindet, die das Land zusammenhält und nicht spaltet. Und die sich, auf einem klaren inhaltlichen Fundament stehend, eine Geschichte von 144 Jahren mit allen Erfolgen und Niederlagen im Hintergrund, auch weiterhin dafür einsetzen wird, dass dieses Land sich nach vorne entwickelt, alle Menschen mit nimmt, denn wir können auf keinen verzichten. Und es ist die Partei, die eine Spaltung innerhalb der Bevölkerung nicht zulässt und mit Extremisten nicht zusammenarbeitet, sei es von rechts oder von links.
Moderatorin: Das war eine gute Stunde hier im tagesschau-Chat. Herzlichen Dank, Herr Kahrs, dass Sie sich Zeit für die Diskussion mit den Lesern von tagesschau.de und politik-digital.de genommen haben. Dankeschön auch an unsere User für die vielen Fragen, die wir leider nicht alle stellen konnten. Das tagesschau.de-Team wünscht allen noch einen schönen Tag.
Johannes Kahrs: Ich bedanke mich für die freundliche und sachliche Diskussion. Wenn man in vielen Zuschriften immer häufiger zur Kenntnis nehmen muss, dass vielen Menschen die Distanz komplett abhanden kommt und gewisse Umgangsformen teilweise Mangelware sind. Und deswegen war es heute sehr angenehm!
“ch halte es mit meinem Parteivorsitzenden Kurt Beck und werde auch für mich die Frage 2009 entscheiden.” – na, scheinbar war er da doch schon schneller mit seiner entscheidung: http://www.tagesschau.de/inland/spd258.html