Am Sonntag den 17.01.2008 fanden in Hessen und Niedersachsen Landtagswahlen statt. Am Tag nach der Wahl war Wahl-Experte Jörg Schönenborn eine Stunde lang im tageschau-Chat in Zusammenarbeit mit politik-digital.de zu Gast. Er beantwortete Fragen zum Ausgang der Wahl, möglichen Koalitionen und anderen Themen. Das Transkript zum Chat finden Sie hier.


Moderator: Einen Tag nach der Wahl ist es genauso spannend wie vor der Wahl. In Hessen gibt es ein Patt zwischen CDU und SPD. Wer gibt am Ende im Streit um die Regierungsbildung nach? Und wie geht es im Bund nach den Wahlen weiter? Unser Gast und kompetenter Gesprächspartner für alle Fragen aus der Welt der Wahlen und der Politik ist heute der ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn. Er sitzt in Köln am Laptop. Vielen Dank, Herr Schönenborn, dass Sie Zeit für den Chat haben. Die erste Frage nach Köln ist diese:

Claudio: Das "Ausländer-Thema", auf das Roland Koch auch in diesem Wahlkampf wieder gesetzt hat, scheint bei einer Großzahl der Wähler ja nicht gerade für Sympathie gesorgt zu haben. Könnte man an dieser Stelle gar eine Veränderung der politischen Kultur in Deutschland feststellen? Sind die Wähler heute sensibler, durchschauen sie heute viel eher solche populistischen Manöver, wie die von Herrn Koch?

Jörg Schönenborn: Wäre schön, wenn man das so sagen könnte. Ich persönlich glaube das übrigens auch – wenigstens in der Tendenz. Aber der Punkt ist ein anderer: 1999 war Koch in der Opposition, hat den Nerv der Leute getroffen und versprochen, in der Regierung alles besser zu machen. Jetzt ist er seit neun Jahren in der Regierung. Selbst wenn die Leute seine Beobachtung teilen und Angst vor "kriminellen Ausländern" haben, fragen sie sich: Warum hat sich nicht längst etwas getan? Warum hat er so wenig Polizisten, Richter etc.? Und da war die Kampagne dann eben unglaubwürdig.

 

Jörg Schönenborn
Jörg Schönenborn, Wahlexperte der ARD

 


ole: Welche Bedeutung messen Sie der Tatsache bei, dass Frau Ypsilanti seit langem eine entschiedene Gegnerin der Schröderschen Reformen ist?

Jörg Schönenborn:
Das hat ihr geholfen, keine Frage. Aber das ist nicht das Wichtigste gewesen. Zuerst hat Koch Schwächen gezeigt, vor allem in der Bildungspolitik – dann kam Ypsilanti, die ja auch erst sehr spät nominiert wurde und hat viele eingesammelt, die Koch aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr wollten. Manche wegen der Schul- und Hochschulpolitik, andere aus ökologischen Gründen, manche wegen der berühmten Gerechtigkeit und einige auch wegen der Kampagne zur Jugendkriminalität.

zadek:
Würden Sie die Meinung vertreten, dass durch Roland Kochs Wahlkampf die Rechtsradikalen – namentlich die NPD – keine Chance hatten, in den Landtag gewählt zu werden? Und wenn ja, warum?

Jörg Schönenborn: Würde ich so nicht sehen. Erstmal ist die NPD in Hessen nicht verankert, die haben da nicht so eine Struktur mit Burschenschaften und Ortsgruppen wie in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern. Dann ist die hessische CDU seit jeher sehr konservativ und macht es den Rechten schwer. Mag sein, dass Kochs Kampagne noch dazu kam. Aber auch mit einem reinen Wirtschaftswahlkampf hätte die NPD in Hessen keine Chance gehabt.

Moderator: Nachfrage von:

henribuddi: Mich würde ergänzend zur aktuellen Frage das genaue Wahlergebnis der NPD interessieren. Reicht es für Wahlkostenerstattung?

Jörg Schönenborn:
Meiner Erinnerung nach 0,9%. Und mit aller Vorsicht: Ich meine, das reicht nicht.

Martin: Herr Schönenborn, wie wird, Ihrer Einschätzung nach, der Einzug der Linken in beide Landtage das politische Bild Deutschlands verändern?

Jörg Schönenborn: Keine leichte Frage. Rein rechnerisch wird Regierungsbildung zu zweit unmöglich – Ausnahme Große Koalition. Genau das, was wir im Bund seit 2005 haben. Das ist schon ziemlich betrüblich, wenn da eine Regierung dran ist, zu der es keine ernsthafte Alternative gibt. Aber natürlich verändert das auch das politische Klima. Das Schrumpfen der Großen, beider Großen, geht weiter. Und das macht sie unsouveräner, sie richten sich schneller nach Stimmungen und richten ihre Politik noch weniger langfristig aus.

Rod: Mich hat das Abschneiden der Linken in Niedersachsen überrascht. Worin sehen Sie die Ursachen dafür, dass die Partei mit sieben Prozent in den Landtag einziehen kann?

Jörg Schönenborn: Mich hat das auch überrascht. Ein ganz wichtiger Grund ist die geringe Wahlbeteiligung. Damit wird das Gewicht dieser Stimmen einfach größer. Ansonsten gibt es zwei Hauptmotive. Da sind die wirklich "Linken", die die Partei wählen, weil sie aus ihrer Sicht etwas für die Schwächsten tut. Und da sind die Protestwähler, die es einfach den anderen Mal zeigen wollen. So wie einst bei der Statt-Partei.

Moderator:
Wo wir gerade bei den Nichtwählern sind:

Birgit: Warum zeigen Sie das Wahlergebnis nie zuerst als Torte ohne Bereinigung der Nichtwähler? Tatsächlich werden doch bis zu 40 Prozent der Torte quasi "weggeschmissen", bevor es an die Verteilung an die Parteien geht. Ein solcher Beginn (anstelle einer blanken Zahl) würde den Nichtwählern unter den Zuschauern vermitteln, wie groß ihre Anzahl ist und der Wahlmüdigkeit entgegenwirken.

Jörg Schönenborn: Ja, ich kenne diese Idee. Fakt ist nun einmal: Unsere Verfassungen sehen es so vor, dass nur die an der Entscheidung über die politische Zukunft beteiligt sind, die wählen gehen. Und damit konzentrieren wir uns auf genau diesen Kreis. Ich habe aber vor ein paar Jahren eingeführt, dass nach der Prognose immer auch direkt die Wahlbeteiligung geschätzt wird – das hatten wir früher nicht. Und damit bekommt das Thema Wahlbeteiligung schon sehr viel mehr Beachtung.

axel: Worin sehen Sie die Ursache, dass die Linkspartei vor allem so viele ihrer Wähler mobilisieren konnte im Gegensatz zur SPD?

Jörg Schönenborn: Na ja, so würde ich das nicht sagen. Die Linke grast ja jetzt auf einem Feld, auf dem sie noch ziemlich neu ist. Die Wähler im Westen haben mit ihr – anders als mit den anderen Parteien – noch keine schlechten Erfahrungen gemacht und sagen sich: Die probiere ich mal aus. Bei der SPD denken immer noch sehr sehr viele an Hartz und die Agenda – und beides lehnen die allermeisten SPD-nahen Wähler ja ab.

zickzack: Hat Clement mit seinen Äußerungen der SPD die paar Prozentpunkte "geklaut", die sie zu einem Sieg gebraucht hätte?

Jörg Schönenborn:
Zickzack, das kann Ihnen niemand mit Bestimmtheit sagen. Ich kenne auch keine Umfragen dazu. Aber mein Gefühl sagt mir: Wenn es überhaupt eine Wirkung gab, dann hat Clement der Frau Ypsilanti eher geholfen, denn das Image von Clement ist ja das des Mister Hartz IV. Der war nicht beliebt als Arbeitsminister. Und viele Menschen finden es unfein, dass ein ausgeschiedener älterer Herr, der gutes Geld in der Wirtschaft verdient, einer sympathischen jüngeren Genossin versucht, von hinten die Beine wegzuziehen.

Moderator:
Noch mal zur Linkspartei:

Bentje: Glauben Sie, dass die Linkspartei in einigen Jahren nicht mehr so sehr "verteufelt" wird, wie es im Moment geschieht, und an Regierungen in Bund und Ländern beteiligt wird? Oder ist sie auf ewig verdammt zur Opposition?

Jörg Schönenborn: Ich atme tief und denke:
1. Im Osten ist sie Regierungspartei und wird als völlig normale Partei wahrgenommen.
2. Im Westen tritt sie als eine Partei auf, die gar nicht regieren will. Warum soll man zu der Vertrauen fassen?
Ich glaube: Die Partei muss sich, wenn sie mal etabliert ist und nicht mehr ums Überleben kämpft, überlegen, was sie will: Dauerprotest oder Gestalten.

tim_mueller: Würden Sie sagen, dass das "Schrumpfen der Großen" unvermeidlich ist, angesichts der sehr unterschiedlichen Problemlagen, die mit dem Konzept der Volkspartei nicht mehr lösbar sind?

Jörg Schönenborn:
Offensichtlich ja. Dieses Schrumpfen ist ein kontinuierlicher Prozess seit 30 Jahren. Und eine Gesellschaft, die immer zersplitterter ist, verteilt eben auch ihre politischen Sympathien in immer mehr Richtungen. Wir erleben das ja gerade: in den Achtzigern haben wir mit den Grünen ein Vier-Parteien-System bekommen, jetzt gewöhnen wir uns ans Fünf-Parteien-System.

Moderator: Eine skeptische Frage aus unsere "Warteraum", wo Sie bereits vor dem Chat Fragen stellen können:

29J_MomentanImAusland: Wieso scheinen Wahlen in Deutschland von kurzfristigen Stimmungen bestimmt; wo sind die langfristigen politischen Überzeugungen? Überspitzt formuliert: ist die Demokratie in Deutschland tot oder verkommen Wahlen zu einer reinen Medienveranstaltung ohne fundierten Hintergrund?

Jörg Schönenborn: Nein, die Demokratie ist nicht tot, sie ist etabliert. Und sie wird vertreten von Parteien, die immer weniger grundsätzliche Konflikte miteinander haben. Linke Union und rechte SPD berühren sich nicht nur, die überholen sich zum Teil gegenseitig. Wie kann man von Wählern verlangen, dass sie sich da dauerhaft festlegen? Der Weg zwischen den Parteien ist inhaltlich viel kürzer geworden. Und dann kann ein Medienimpuls, eine Kampagne, ein kluger Auftritt kurzfristig eben viel bewegen. Die Stimmung schwankt, aber auf schmalem Raum.

Moderator: Dann ist vielleicht auch das von Bedeutung:

Koch: Wie wichtig ist das Erscheinungsbild des Politikers im Gegensatz zum Inhalt einer Partei?

Jörg Schönenborn:
Das versuchen wir seit sieben Jahren zu messen. Die Wähler sagen in Umfragen immer, dass ihnen das Programm wichtiger sei. Ich glaube das nicht immer. In jedem Fall gibt es eine Skala von Politikern mit enormer persönlicher Zugkraft und solchen mit geringer. Wir nennen das "Kandidatenfaktor". Zu den zugkräftigsten gehörten in den letzten Jahren von Beust, Schröder, Stoiber und gestern auch Wulff.

Moderator:
Und noch mal zur Theorie und Praxis der Wahlforschung:

DerDaDie:
Sehr geehrter Herr Schönenborn, welchen Einfluss nimmt Ihrer Meinung nach die Vorab-Veröffentlichung von Umfrageergebnissen auf das Abstimmungsverhalten der Menschen?

Jörg Schönenborn:
Wichtige Frage, auf die es keine sichere Antwort gibt. Ich glaube, dass es Beeinflussungen gibt, aber sehr vielfältige diffuse. So wie es ja auch durchaus widersprüchliche Umfragen gibt. Manche motivieren vielleicht, diesen oder jenen zu wählen oder nicht zu wählen oder zur Wahl zu gehen oder nicht zu gehen. Dahinter steckt ja die Frage: Sollte man auf Umfragen vor der Wahl verzichten? Wir tun das in den letzten zehn Tagen, weil wir wissen, dass da die meisten Entscheidungen fallen. Aber man darf nicht vergessen: Wenn die Medien keine Umfragen machen, machen die Parteien sie selbst. Und mir sind als Bürger transparente Daten von ZDF, FAZ oder ARD lieber als interne Daten einer Partei, von denen ich nichts weiß oder nur Ausschnitte kenne.

Moderator: Zum Patt in Hessen:

G1W: Gibt es bei einem "Vorsprung" von 0,1 Prozentpunkten nicht eine, wenn auch inoffizielle, Regelung innerhalb der Parteien?

Jörg Schönenborn:
Es gibt keine Regelung, sondern eine Tradition: Die Partei, die die meisten Stimmen hat, soll als erste versuchen, eine Regierung zu bilden. Das Problem ist, dass Koch das wohl nicht gelingen dürfte. Ein Recht lässt sich daraus nicht ableiten.

Doc G: Was, wenn sich Frau Ypsilanti einfach zur Ministerpräsidentin wählen lässt, und auf die CDU schlicht pfeift?

Jörg Schönenborn: Könnte sie machen. Aber dann müssten die Links-Abgeordneten für sie stimmen, und zwar fast alle. Denn der Vorsprung ist knapp. Dagegen steht – rein praktisch – nur ihr Wort, dies nicht zu tun.

Michael Meier: Gibt es Informationen, welche mögliche Regierungskoalition die Wähler der FDP bevorzugen: Ampel, Große Koalition oder Rot-Rot-Grün? Gibt es diese Informationen auch für die Wähler der Grünen? Beide Parteien werden diese Wünsche im Hinblick auf mögliche Neuwahlen berücksichtigen müssen.

Jörg Schönenborn: Ja, die gibt es. Wir haben das vor der Wahl gefragt. Ich habe die Daten aber jetzt nicht hier.

loew: Guten Tag! Wie sind die Chancen für eine Minderheitsregierung in Hessen? Schwarz-Gelb oder Rot-Grün?

Jörg Schönenborn:
Bei den Grünen-Wählern liegt Ampel auf jeden Fall vor Rot-Rot-Grün.

holgiman:
Könnten Sie sich "Jamaika" mit Roland Koch vorstellen?

Jörg Schönenborn: Nach der Verfassung schlecht, wenn sich eine solche Minderheitsregierung nicht offiziell tolerieren lässt. Sonst kann die Mehrheit nämlich relativ leicht über ein Misstrauensvotum die Auflösung des Landtags erzwingen. Nun zu der letzten Frage: Ich habe hier im Büro noch so eine Rastalocken-Perücke hängen, die mir jemand nach der Bundestagswahl geschenkt hat. Damit kann ich mir Roland Koch ehrlich gesagt schwer vorstellen.

Moderator: Zwei mal zum gleichen Thema:

test: Ausgehend davon, dass es zu keiner Mehrheitsregierung kommt, würde Herr Koch auch mit einer relativen Mehrheit wiedergewählt werden können, oder lässt dies die hessische Verfassung nicht zu?

markus: Ist es richtig, dass im 3. Wahlgang des Ministerpräsidenten nur die einfache Mehrheit reicht? Demnach könnte dann Koch doch noch Ministerpräsident bleiben, auch wenn es keine große Koalition gäbe?

Jörg Schönenborn: Nein, ein Ministerpräsident braucht eine Stimme mehr als die Hälfte der Abgeordneten. Möglich ist, dass Koch geschäftsführend im Amt bleibt. Das gab es in der Achtzigern mit Holger Börner schon einmal. Der wollte nicht mit den Grünen koalieren, hat ein Jahr durchgehalten, dann gab es Neuwahlen. Wie oben schon gesagt: die Auflösung des Landtags durch ein Misstrauensvotum ist sehr viel einfacher als im Bund.

Wahlbeobachter:
Wie realistisch ist folgendes Szenario: Die Linke erklärt ihre Bereitschaft, eine rot-grüne Regierung in Hessen zu tolerieren. Frau Ypsilanti gibt zu erkennen, dass Sie sich auch mit Hilfe der Stimmen der Linken ins Ministerpräsidentenamt wählen lassen würde, allerdings ohne die Linke an einer Koalition zu beteiligen. Nun hätte die FDP eine Rechtfertigung für eine Mitwirkung in einer Ampelkoalition, "um das Schlimmste zu verhindern ".

Jörg Schönenborn: Um die Ecke gedacht… Das müssen Sie selbst einschätzen: Ypsilanti hat gestern mehrfach und klar gesagt, dass sie sich nicht von den Linken wählen lassen will. Ob sie dabei bleibt (oder das Szenario wenigstens als Drohung einsetzt), weiß ich nicht.
Meine Einschätzung: Der Druck auf die FDP wird wachsen, sich nicht zu verweigern und wenigstens Gespräche zu führen. Wie will man gegen ein Linksbündnis glaubwürdig wettern, wenn man selbst nichts tut, um eines zu verhindern?

Moderator:
Warum eigentlich nicht:

die7weltmeere:
Hallo Herr Schönenborn, seien Sie bitte Orakel. Wer wird der / die nächste MinisterpräsidentIn in Hessen? Koch, Ypsilanti oder gar als Kompromisslösung in einer Großen Koalition keiner von beiden?

Jörg Schönenborn: Ich versuch es mal mit Lotto: Ich setze am ehesten auf den Versuch einer Ampel unter Frau Ypsilanti, der dann bald zu Neuwahlen führt. Aber nur so als Tipp!

puma ck: Ist bei diesem Wahlergebnis überhaupt ein produktives Regieren möglich?

Jörg Schönenborn:
Auf Dauer kaum. Selbst wenn es zu einer Regierung kommt, haben wir es mit Partnern zu tun, die wenig inhaltliche Überschneidung haben. Aber das ist die Crux des Fünf-Parteien-Systems. Zwei finden sich immer leichter als drei.

stello1212: Der Unterschied zwischen CDU und SPD beträgt ca. 3600 Stimmen. Wird jetzt noch einmal nachgezählt wie vor einiger Zeit in den USA?

Jörg Schönenborn: Ich halte das ehrlich gesagt nicht für nötig. Ich kenne keine gravierenden Zählfehler in Deutschland.

Fragezeichen:
Frau Ypsilanti hat durchscheinen lassen, dass sie bei der Regierungsbildung auf Zeit spielen möchte. Glauben Sie, dass sie auf diese Weise die FDP auf ihre Seite ziehen kann?

Jörg Schönenborn:
Ich glaube, dass es keine schnelle Lösungen gibt, weil sich alle so eingebunkert haben. Man muss das so sehen: Wenn alle zu den Worten stehen, die sie vor der Wahl gegeben haben, kommt gar keine Regierung zustande. Also müssen sich die Parteien gegenseitig Brücken bauen. Und das dauert.

Stefan: Würden Sie eher an eine große Koalition glauben, wenn die SPD um ein Zehntel vorn läge?

Jörg Schönenborn: Ehrlich gesagt auch nicht. Die Gegnerschaft sitzt tief und reicht weit in die Parteiapparate.

Seleukil:
Für den Fall, dass sich keine Koalition findet, wie schnell wäre in dem Fall mit Neuwahlen zu rechnen, und wer würde von diesen am ehesten profitieren?

Jörg Schönenborn:
Das ist jetzt sehr spekulativ. Sicher würden Neuwahlen ein vorheriges ehrliches Bemühen um eine Koalition voraussetzen. Das sollte schon ein paar Wochen in Anspruch nehmen. Und wer dann bessere Karten hat? Keine Ahnung!

dkumitz:
Wortbruch nach einer Wahl ist nicht ungewöhnlich. Was müsste Frau Ypsilanti in Kauf nehmen, wenn sie sich doch mit Stimmen der Linkspartei wählen ließe? Wie nachtragend sind Wähler/innen bei solchem Wortbruch, was sagen Ihre Umfragen?

Jörg Schönenborn:
Das Thema Glaubwürdigkeit ist schon ziemlich zentral. Und da die SPD-Wähler mehrheitlich kein Linksbündnis wollen, wäre das ein großes Risiko, nicht nur für die SPD in Hessen!

Anne: Welche Rolle spielen die Stimmen von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund bei den Wahlen? Gibt es in der Wahlforschung dazu gesonderte Erhebungen?

Jörg Schönenborn: Leider nein. Denn die Kategorie "Migrationshintergrund" ist statistisch kaum zu fassen. Zunächst einmal wählen ja ohnehin nur eingebürgerte Einwanderer. Aber wie viele Generationen geht man zurück? Zählen die, die hier geboren sind, deren Eltern hier geboren sind? Was ist mit Spätaussiedlern? Was mit EU-Einwanderern. Wir beschäftigen uns hier im WDR sehr mit diesem Thema und sind bislang leider nicht zu einer befriedigenden Methode gekommen.

Moderator:
Zwei Fragen, eine auch aus dem "Warteraum". Es gibt einen Menge Skepsis in Sachen Wahlcomputer:

scherbina: Halten Sie den Einsatz von Wahlmaschinen für sicher? Wie schätzen Sie die Manipulationsmöglichkeiten ein?

Michael Wirth: Welche Auswirkungen haben Ihrer Meinung nach die vom Chaos Computer Club beobachteten Unregelmäßigkeiten bei der Wahl angesichts der knappen Entscheidung bei der Hessenwahl?

Jörg Schönenborn: Ich glaube, Vertrauen in das Wahlsystem ist ganz ganz wichtig. Deshalb war es wohl gut, die Hamburger Wahlstifte zurückzuziehen. Zu den Maschinen, die hier verwendet werden, kann ich ehrlicherweise nicht viel sagen. Von wirklich begründeten Zweifeln habe ich wenig gelesen. Was wir wissen: Die allermeisten Wähler haben damit keine Probleme.

Moderator: Und noch zum Abschluss das Ergebnis unserer kleinen Umfrage im Chat. Wir haben nach den Chancen für eine Große Koalition in Hessen gefragt. 67 Prozent glauben nicht, dass es zu einer Großen Koalition in Hessen kommt. Das war es leider schon wieder. Unser tagesschau-Chat ist vorbei. Vielen Dank an unsere User für die vielen Fragen. Es sind wie immer reichlich übrig geblieben, die Bitte um Nachsicht an alle, die nicht dran gekommen sind. Vielen Dank Herr Schönenborn, dass Sie sich Zeit für die Diskussion genommen haben. Ihr Schlusswort?

Jörg Schönenborn:
Ich finde es klasse, wie viele kluge Gedanken hier unterwegs sind. Und bin gespannt, was aus meinem Tipp wird. Danke an alle!

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