Seit Jahren verletzt Italiens Fernsehmarkt EU-Normen. Jetzt zwingen die Brüsseler Wettbewerbshüter Premier Romano Prodi zu einem neuen Rundfunkgesetz. Der Umstieg ins Digital-Fernsehen soll für mehr Vielfalt in der Berichterstattung sorgen. Berlusconi sieht seine Medienmacht in Gefahr und blockiert das Vorhaben.
Francesco di Stefano konnte sich eigentlich glücklich schätzen. Als Italiens Verfassungsgericht 1999 eine Neuordnung des konzentrierten Rundfunkmarkts beschließt, gelingt es dem Gründer und Chef des Senders Europa 7, jene landesweite TV-Lizenz zu ersteigern, die Silvio Berlusconis Privatsender Rete 4 laut Gericht entzogen werden muss.
Startbereit warten die Mitarbeiter des riesigen Produktionszentrums in Rom mit seinen acht Studios, Ende 1999 endlich auf Sendung gehen zu können. Europa 7 wartet bis heute. Medienunternehmer und Politiker Berlusconi durfte sein Rete 4 dank Sondererlaubnis des zuständigen Ministeriums weiter ausstrahlen. Als die obersten Richter 2002 Berlusconi erneut zur Abgabe eines Senders verurteilen, um neue Wettbewerber zu gewinnen, ist dieser inzwischen Premierminister. Mit dem maßgeschneiderten Gasparri-Gesetz sichert er seiner führenden Privatsenderkette Mediaset den Bestand. Die erworbenen Frequenzen wurden Europa 7 nie zugeteilt. Ironisch prangt auf deren Internetseite neben dem goldenen Senderemblem: „La TV che non c’e“, das Fernsehprogramm, das es nicht gibt. Der Fall Europa 7 macht deutlich, wie Medienpolitik auf italienisch aussieht. Seit Mai 2006 ist Berlusconi-Gegenspieler Romano Prodi Ministerpräsident. Geändert hat sich am Mediengesetz unter dessen Mitte-Links-Bündnis trotzdem
nichts.
EU beklagt geringe Eintrittschancen für neue TV-Anbieter
Jetzt will die Europäische Union Italien zu einer Rundfunkreform zwingen. Bereits im Sommer 2006 leitete die EU-Wettbewerbskommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Vergangenen Juli ermahnte
EU-Kommissarin Neelie Kroes Italien erneut, seine Rundfunkvorschriften endlich mit dem EU-Rechtsrahmen für elektronische Kommunikation in Einklang zu bringen. Im Fokus stehen die in Italien geltenden Spielregeln für den Übergang vom analogen zum digitalen Fernsehen. Sie beschränken aus Sicht der EU die Eintrittschancen für neue TV-Anbieter und verschaffen den bisherigen Anbietern von analogem Fernsehen ungerechtfertigte Vorteile. Bislang ist es nur diesen überhaupt gestattet, ihre eigenen digitalen Netze aufzubauen. Nicht nur das: Gesetzlich dürfen sie neben ihrem Schritt in die digitale Welt sogar weiter den vollständig belegten Analog-Markt blockieren und somit ihr Monopol zementieren.
Schon der jetzige TV-Markt ist so reguliert, dass derzeit nur wenige Akteure in Wettbewerb treten können. Mediaset, deren Hauptaktionär Berlusconis Familien-Holding Fininvest ist, besitzt alle drei großen Privatsender: Canale 5, Italia 1 und Rete 4. Zusammen mit den drei Kanälen des Staatsfernsehens RAI vereinnahmt Mediaset rund 90 Prozent der Zuschauer und TV-Werbeeinnahmen im Land. Halbwegs mithalten kann nur Sky Italia. Rupert Murdochs Satelliten-Bezahlsender bringt es auf rund vier Millionen Abonnenten. Diese Konzentration, so befürchten die Brüsseler Wettbewerbshüter, „droht sich nun beim digitalen terrestrischen Fernsehen zu wiederholen“. Dann bliebe dem Zuschauer zwischen Mailand und Palermo weiterhin nur die leidliche Wahl zwischen den marktbeherrschenden Sendern der Duopolisten. Brüssel drohte deshalb im Juli: Sollte die Regierung Prodi nicht innerhalb von zwei Monaten konkrete Vorschläge unterbreiten, könne die Kommission Italien vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen.
Neues Mediengesetz soll Duopol aus RAI und Mediaset zerschlagen
Diesem peinlichen Prozess versucht die Regierung Prodi zu entgehen. Im Oktober 2006 legte sie deshalb dem Parlament einen Entwurf vor, der das Mediengesetz aus der Berlusconi-Ära abändern soll. Mit dem „Legge Gentiloni“ will man das Rundfunksystem wieder „offener und pluralistischer gestalten“, heißt es aus Paolo Gentilonis Kommunikationsministerium. Dort hofft man, per Übergang ins digitale Fernsehzeitalter endlich das Duopol aus RAI und Mediaset zu zerschlagen.
Laut Entwurf darf in Zukunft jede Mediengruppe höchstens zwei landesweite Sender auf dem analogen Markt belassen. RAI und Mediaset müssten somit je einen Kanal ins digitale Fernsehen verlagern. Freiwerdende Frequenzen will der Staat an neue Anbieter versteigern. Medienmogul Rupert Murdoch, Besitzer vom Pay-TV Sky Italia wird ebenso als Interessent gehandelt wie Berlusconis Erzfeind und La Repubblica-Verleger Carlo de Benedetti. Besonders Mediaset dürfte die Abgabe extreme Zuschauer- und Werbeeinbußen bescheren. Denn rund 90 Prozent der Haushalte empfangen ihr Programm noch über Antenne. RAI 3 dagegen sendet schon jetzt eher regional.
Die Fernseheinnahmen will das Gesetz ebenfalls begrenzen. So darf keine Sendergruppe mehr als 45 Prozent der TV-Werbeerlöse auf sich vereinen. Berlusconis Mediaset-Kanäle kassieren aktuell rund 66 Prozent. Zudem dämmt das Gentiloni-Gesetz die Werbezeiten ein. Die ausufernde Reklame hatte die EU-Kommission erst jüngst im Dezember zu einem
weiteren Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien veranlasst.
Technisch soll es jeder Sendergruppen untersagt sein, mehr als 20 Prozent der digital-terrestrischen Frequenzen zu besitzen. Damit kann kein Monopol zustande kommen. Der
„Switch-off“, der Sendeschluss des analogen Fernsehens, ist dem Entwurf zufolge für Ende 2012 geplant.
Tadel aus Brüssel könnte Prodi gelegen kommen
Oppositionsführer Berlusconi bezeichnet den Entwurf der Linken als „Akt des Banditentums“. Die Regierung habe es auf sein Medienimperium abgesehen. So betrachtet, kommt Prodi der Tadel aus Brüssel sogar gelegen, sagt Politologe Roman Maruhn, Italien-Experte am Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) in München. Prodi könne nun anders argumentieren: Wegen der mangelnden Rundfunkvielfalt haben wir ein Vertragsverletzungsverfahren der EU, also einen juristischen Grund für eine Medienreform. Zweitens wollen wir die Digitalisierung vorantreiben, bei der Italien den europäischen Nachbarn ohnehin hinterherhinkt.
Den medienpolitischen Rettungsversuch in Rom hat man in Brüssel zwiespältig zur Kenntnis genommen. So erreichte Kommunikationsminister Gentiloni zumindest die Antwort, der Entwurf sei „ein geeignetes Werkzeug, die Ungleichmäßigkeit des italienischen TV-Systems zu überwinden“. Doch die EU will klare Ergebnisse sehen, dem Zeitspiel ein Ende machen. Die Verabschiedung des Gentiloni-Gesetzes müsse zügig erfolgen, hieß es weiter – womit die Kommission einen wunden Punkt der italienischen Politik trifft. Denn mehr als ein Jahr nach dem Start, steckt das Papier noch immer in der legislativen Pipeline fest. Prodi zufolge wurden im Parlament rund 1400 Änderungsanträge eingebracht. 1280 stammten demnach
von der größten Oppositionspartei: Berlusconis Forza Italia. Nicht nur die Rechte scheint die Neuordnung des Fernsehens blockieren zu wollen. Sogar aus den eigenen Reihen droht Widerstand: „Es kann sehr gut sein, dass es Parlamentarier innerhalb der Regierungskoalition gibt, die mit Mediaset verbunden sind und im Zweifelsfall gegen das Gesetz stimmen würden“, sagt Maruhn.
Weil der Streit um die Rundfunkreform andauert, hat die EU einen erneuten Aufschub abgeschmettert und entschieden, dass Italien vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg angezeigt werden muss. Unklar ist, wann die Klage in die Tat umgesetzt wird. Auch wenn viele vorhersagen, dass das in Kürze geschehen wird. Aktuell ist das „Legge Gentiloni“ von zwei Sachverständigenausschüssen der Abgeordnetenkammer verabschiedet worden. Nun wartet die Reform darauf, vom Plenum der Abgeordnetenkammer beraten und beschlossen zu werden. Die Regierung kämpfe zur Zeit dafür, dass das Parlament den Gesetzentwurf noch auf die Tagesordnung für Januar setze, erklärt das Kommunikationsministerium auf Anfrage. Anschließend muss er noch unverändert den Senat überstehen und von Staatspräsident
Napolitano unterzeichnet werden.
Italiener finden im Internet ständig neue Alternativen
Wie viel Pluralismus das Gentiloni-Gesetz dem Zuschauer bringt, wenn es denn kommt, bleibt abzuwarten. Wer sich in Italien umfassend informieren will, könne das schon heute tun, meint Roman Maruhn. Nur eben nicht übers Fernsehen: „Der muss sich sein Puzzle selber zusammensetzen, was anstrengend und komplex ist.“ Die zweitgrößte Zeitung La Repubblica etwa hat in den letzten Jahren ihren Multimediabereich enorm ausgebaut und betreibt auf dem hauseigenen Internet-TV-Sender „Repubblica TV“ ein Vollprogramm. Das stets regierungskritische Blog des Kabarettisten Beppe Grillo gehört zu den meistgeklickten Websites des Landes und ist teilweise auf Englisch übersetzt.
Indymedia bietet neben Blogs und Zeitungsprojekten auch Videonachrichten. Das globalisierungskritische, unkommerzielle Mediennetzwerk wurde einst in Deutschland für den Grimme Online Award nominiert, gerät aber bisweilen in den Fokus der Verfassungsschützer. Auf den kaum regulierten Medienwegen abseits des unzugänglichen Fernsehmarkts wachsen stetig alternative Informationsprogramme heran. Besonders seit der Amtszeit Berlusconis, in der die Berichterstattung der großen TV-Kanäle zwischen tendenziös und erdrückend schwankte.
Ich bin erstmal gespannt, wie der Prodi seine Regierungskrise übersteht.