Am Dienstag, dem 04. Dezember, war Stefan Stuchlik, Korrespondent der ARD in Moskau, zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de. Er kritisierte die Umstände von Putins
Wahlsieg und äußerte große Bedenken an der Demokratie in Russland.

Moderator: Liebe Russland-Interessierte, herzlich
willkommen zum tagesschau-Chat. Russland hat gewählt und Putin
hat bekommen, was er wollte: Ein große Zustimmung für
seine Person und Politik. Fair und frei war die Wahl nicht, da sind
sich Beobachter in Russland und aus dem Ausland einig. Die Frage
ist jetzt vor allem: Wie geht es weiter? Unser Gast ist heute Stephan
Stuchlik, der aus Moskau mit uns chattet. Stephan Stuchlik ist seit
2005 Fernsehkorrespondent für die ARD in Russland und die früheren
Mitgliedstaaten der Sowjetunion – hat also beste Kenntnissen für
unsere Diskussionsrunde. Die erste Frage:

der4&4er_zm: Warum lenkt Putin die Wahlen
und unterdrückt die Opposition, obwohl er doch eine echte Mehrheit
in der Bevölkerung hat? Fürchtet er die Opposition oder
vielleicht die alte Elite um Jelzin, die so genannte „Familie“?

:

Stefan Stuchlik
Stefan Stuchlik
ARD-Korrespondent in Moskau

Stephan Stuchlik: Um zu verstehen,
warum der Kreml so heftig auf den Wähler gedrückt hat
und warum er die Opposition so gängelt, muss man sich vor Augen
halten, dass Putin das gesamte System mit Geheimdienstleuten durchsetzt
hat. Das heißt, es regiert überall Geheimdienstmentalität:
Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle. Von den Wahlen bis zu den alltäglichsten
Vorgängen ist dieser Zwang zu spüren und er erklärt,
denke ich, vieles, unter anderem auch die Großoperation vom
letzten Sonntag!

Moderator: Aus unserem „Warteraum“
– der Fragensammlung vor dem Chat – die Nummer 2:

Theo: Ich war vor und während
der Wahl in Russland, und konnte mich (im Gegensatz zu den deutschen
Medien) relativ gut über die anderen Parteien informieren.
Zwischen rechtsradikalen Revoluzzern (Schirinowski, Kasparow), Kommunisten
(Agrar-Partei, KPRF) und verhassten Politikern aus der Jelzin-Ära
(Jawlinski, Nemzow), habe ich wenig demokratisches Licht gesehen.
Glauben Sie, das russische Volk hat sich darüber keine Gedanken
gemacht? In wen hätten Sie Vertrauen?

Stephan Stuchlik: Ich würde Schirinowski
nicht als Revoluzzer und Kasparow nicht als Rechtsradikalen bezeichnen
wollen, aber Sie haben natürlich recht, der Zustand der Opposition
ist fast schon erbärmlich. Schirinowski zählt meines Erachtens
nicht, er ist so ein bisschen das Feigenblatt oder der Hofclown
des Kremls. Das zu der Partei, die noch in der Duma vertreten ist,
die anderen sind zerstritten, ohne richtige Verankerung in der Bevölkerung
und, natürlich, von den Massenmedien in Russland vollständig
ignoriert. Hat sich das russische Volk Gedanken gemacht? Ich glaube,
im Moment zählt für die Russen Stabilität und ein,
wenn auch geringer, wirtschaftlicher Aufschwung so viel, dass sie
Werte wie „Pressefreiheit“, „Meinungsfreiheit“
etc., die die Opposition vor sich herträgt, als vernachlässigbar
erachten!

Moderator: Nachfrage von:

marco: Was ist denn mit Großoperation am
letzten Sonntag gemeint?

Stephan Stuchlik: Ein Wahlsieg Putins mit mindestens
über 60 Prozent der Stimmen und mit mindestens 40 Prozent Wahlbeteiligung
(das waren die internen Vorgaben im Kreml, wenn wir unseren Quellen
Glauben schenken dürfen!)

Kalla: Warum denn Hofclown, können sie zu
Schirinowski noch mehr sagen?

Stephan Stuchlik: Er ist ein begnadeter Rhetoriker,
ein Populist, ein Polterer, der bei vielen Gelegenheiten gegen die
Allmacht des Präsidenten wettert, an der „Putin“-Partei
„Einheitliches Russland“ herumkrittelt, aber in 90 Prozent
der Fälle mit den Kreml-Parteien abgestimmt. Alles, was im
Westen auf Verwunderung stößt, (etwa der außenpolitische
Kurs, der Ausstieg aus Abrüstungsverträgen et cetera.),
wird von Schirinowski sogar noch als „zu weich“ bezeichnet.
Er ist der Meinung, man müsse „dem Westen noch mehr die
Zähne zeigen“. Also: innenpolitisch den Ansprachen nach
ein Gegner Putins, außenpolitisch ein Unterstützer. Faktisch
aber in jedem Fall ein sicherer Kandidat für kremlnahe Abstimmungsergebnisse.

Moderator: Zwei mal Vorwürfe an die Medien:

FSB Beamte: Ist es Ihnen klar dass die so genannten
„Oppositionellen“ wie Kasparow und Co, die die „freie
westliche Presse“ so bejubelt, bei dem russischen Volk verhasst
sind? Warum berichten Sie so einseitig und undemokratisch über
Ereignisse in Russland?

AlexanderE.: Man kann bei einem Land, das so
lange im Kommunismus gelebt hat, nicht erwarten, dass es jetzt schon
komplett nach dem politischen System westlicher Demokratien besteht.
Eine solche Umstellung braucht seine Zeit. Sicher: Es lief nicht
alles ganz fair bei den Wahlen und beim Wahlkampf. Aber man muss
auch sehen, dass sich die Situation im Land stark verbessert hat.
Die Wirtschaft wird immer stärker. Ich lebe seit neun Jahren
in Moskau und meiner Meinung nach wird das Bild von Russland in
Deutschland durch die Medien zu kritisch betrachtet und Positives
kaum erwähnt. Wie sehen sie das?

Stephan Stuchlik: Ja, Sie haben natürlich
recht, ein Land wie Russland ist schwer mit westlichen Maßstäben
zu messen. Ja, Sie haben recht, die wirtschaftliche Situation in
den großen Zentren hat sich enorm verbessert, ja, das Selbstbewusstsein
der Russen ist mit Putin wieder zurückgekehrt. Aber mit dem
Argument, man brauche Zeit, um auf eine Demokratie zuzugehen, habe
ich immer meine Schwierigkeiten. Eine Wahl wie die vom Sonntag würde
ich nach westlichen Maßstäben nicht mehr als demokratisch
bezeichnen. Denn, wenn auch das Ergebnis in der Tendenz dem Volkswillen
entspricht (die Mehrheit will Putin behalten), so gehört zu
einer Demokratie auch, dass die Verfahren, wie solche Ergebnisse
zustande kommen, einwandfrei sind. Und da ist Ihre Formulierung
von „nicht alles ganz fair“ eine freundliche Untertreibung.
Russland bewegt sich im Moment keinen Zentimeter auf westliche Demokratien
zu, wie hier immer unterstellt wird („braucht noch Zeit“),
sondern installiert im Moment ein mehr oder weniger autokratisches
System. Ob das den Russen angemessener ist („Russland kann
nicht anders regiert werden“), bleibt dahingestellt, aber
wenn wir westliche Journalisten ein undemokratisches System undemokratisch
nennen, so halte ich das nicht für überkritisch!

Moderator: Zwei Fragen zur Wahl:

perle: Was bemängeln Sie genau an der Wahl?

Kalinka…: Was sagen Sie zur Kritik der EU an
den Wahlen?

Stephan Stuchlik: Die Wahlen waren nach unseren
Maßstäben keine richtigen Wahlen.
1) Die so genannten Parlamentswahlen waren in Wirklichkeit eine
Volksabstimmung über Putin.
2) Viele Oppositionsparteien wurden mit fadenscheinigen Gründen
von vornherein von der Wahl ausgeschlossen.
3) Eine neutrale Wahlbeobachtung scheint von russischer Seite gar
nicht gewünscht worden zu sein.
4) Putin und die Partei Einiges Russland haben die Rolle des Präsidenten
und des Spitzenkandidaten im Wahlkampf ständig vermengt.
5) Der Druck auf Angestellte und Beamte von Staatsfirmen, richtig
abzustimmen (zum Teil in den Büros!) zeigt schon , wohin die
Reise ging.
Und, als letztes, nur ein Beispiel: Tschetschenien, die Region,
in die Putin vor Jahren die Armee geschickt hat, um dort einen blutigen
Kampf zu führen, ist eine der Gegenden von Russland, in der
er die höchste Zustimmungsrate bekommen hat. Das zeigt meines
Erachtens, hier hat die Verwaltung für die Menschen abgestimmt.
Das wahre Meinungsbild gerade in dieser Region ist, das können
wir hier von der ARD aus persönlicher Erfahrung sagen, genau
umgekehrt. Also: undemokratisch in Vorbereitung und Ausführung,
genau das hat auch die EU kritisiert!

tabita: Bemerken Sie denn auch Unzufriedenheit
in der Bevölkerung über die anscheinend nicht so demokratischen
Wahlen? Warum formiert sich dann kein Protest?

Stephan Stuchlik: Der Protest ist minimal. Denn,
wie gesagt, zum einen ist den Russen momentan ein wenn auch geringer
Wirtschaftsaufschwung lieber als demokratische Ideale. Zum anderen
sehen sie den Vorteil eines Ergebnisses („Putin bleibt“),
das sie in der Mehrheit wünschen. Und zum anderen sehen sie
über das unglaubliche Zustandekommen dieses Ergebnisses hinweg.

Tanja: Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung,
haben die Bürger Angst oder vertrauen sie ihrer Regierung?

Stephan Stuchlik: Es ist eine enorme Unsicherheit
im Land zu spüren, kaum berichtet, aber Realität: Die
Regierung musste im Lebensmittelsektor die Preise einfrieren lassen,
da es sich der normale Bürger sonst nicht mehr leisten könnte
und das bei mehrstelligen Zuwachsraten in der Wirtschaft. Auf Deutsch:
Fast alle in der Bevölkerung wollen Putin behalten, da sie
ein bisschen Wackeln im System spüren und Putin durch die letzten
stabilen Jahre das Image des vertrauenswürdigen Machers bekommen
hat!

dietob: Könnte das Ausland – z.B. in Form
der EU – die Politik des Kremls positiv beeinflussen?

Stephan Stuchlik: Man könnte im Kreml durchaus
einiges bewegen, wenn man als Europäer geschlossen auftreten
würde – und damit meine ich nicht nur die Energiepolitik. Es
gibt Missstände in Russland, die man sich nicht scheuen sollte,
auszusprechen. Wenn man aber etwa betrachtet, dass der (im französischen
Wahlkampf noch so kremlkritische) Präsident Sarkozy Glückwunschtelegramme
an Putin schickt, während Frau Merkel in Berlin das Zustandekommen
des russischen Wahlergebnisses beklagt, kann man sich die europäische
Zusammenarbeit lebhaft vorstellen.

Thomas: Welchen Kurs des Auslands halten Sie für
sinnvoll, um ein wenigstens einigermaßen demokratisches System
in Russland wiederherzustellen, oder ist dies ohne Unterstützung
der breiten Bevölkerung und nach allem was bisher schon geschehen
ist kaum noch möglich?

Stephan Stuchlik: Schwierige Frage. Im Moment
ist die Situation in Russland extrem west-kritisch und von daher
sehe ich auf längere Sicht eher weniger Einflussmöglichkeiten.
Aber man könnte sich zum einen Vertrauen erarbeiten, indem
man Probleme Russlands wirklich ernst nimmt, (die Stationierung
des amerikanischen Abwehrsystems in Polen und Tschechien ist ein
wirkliches, viele andere sind rein psychologisch) und andererseits
„weiß“ auch wirklich „weiß“
und „schwarz“ auch wirklich „schwarz“ nennt.
Die Drohkulissen, die der Kreml in der Außenpolitik aufbaut,
sind nur solange wirksam, wie man sich dadurch auch tatsächlich
bedrohen lässt. Einen Kurs, der dem Kreml signalisiert „Ihr
könnt machen, was ihr wollt, Hauptsache, Russland bleibt stabil“,
halte ich für fatal.

Moderator: Zweimal zum gleichen Thema, eine davon
wieder aus dem „Warteraum“:

Cornie: Ist es möglich, dass Putin die komfortable
Mehrheit nutzen wird, um kurz vor der Präsidentenwahl die Verfassung
zu ändern? Entweder um ihm eine dritte Amtszeit zu ermöglichen
oder um ein parlamentarisches Regierungssystem zu installieren,
in dem er als Premierminister auch weiterhin die Macht haben könnte.
Welchen Einfluss hätte ein solches Regierungssystem auf die
Entwicklung von demokratischen Strukturen?

Ludger: Was meinen Sie, würde oder könnte
Putin jetzt die Verfassung ändern, damit er noch eine Amtszeit
als Präsident machen kann?

Stephan Stuchlik: Zum einen: Egal wie es kommen
wird, mit den jetzigen Wahlen haben Putin und die Mehrheitspartei
die Begriffe „Demokratie“ oder „parlamentarisches
System“ desavouiert. Der Präsident macht, was er will,
das Parlament ist zum „Abnick-Verein“ verkommen. Was
er mit der Mehrheit vom Sonntag anfangen will, wissen die Strategen
im Kreml, glaube ich, immer noch nicht. Eine Verfassungsänderung
zugunsten einer dritten Amtszeit hat Putin selbst immer ausgeschlossen,
das heißt aber nicht, dass es nicht am Ende doch so kommen
kann. Eine Regierung unter Premierminister Putin halte ich für
ausgeschlossen. Denn er würde dann unter seinem Nachfolger
als Präsident arbeiten müssen und jeder, der Putin kennt,
weiß: Eigentlich ausgeschlossen. Aber, vielleicht erklärt
er sich ja zum „Vater der Nation“ und wird als „nationaler
Führer“ installiert, lassen wir uns überraschen!

mein benutzername: Sollte Putin nach der jetzigen
Amtszeit tatsächlich abtreten, wer käme als Nachfolger
in Frage?

Stephan Stuchlik: Genannt werden seine Stellvertreter:
Der smarte, junge, so genannte „Liberale“ Medwedew,
der eher falkenmäßige Stellvertreter Iwanow, der jetzige
Premier Zubkow. Aber: Wir werden erst am 17. oder 20. Dezember (Parteitag
von „Einiges Russland") die Kandidatennamen hören
und es könnte, wie bei Putin nicht unüblich, durchaus
eine Überraschung drin sein, wie etwa die jetzige Bürgermeisterin
von St. Petersburg, Mativienko, oder noch andere!

Moderator: Man kann sich einen „nationalen
Führer“ oder so etwas ähnliches kaum vorstellen.
Irgendwie müsste der ja auch vorbei an den Strukturen Parlament,
Regierung und Präsident installiert werden. Das klingt ein
bisschen – zugegebenerweise stark vergröbert – nach System
Nordkorea, wahlweise Stalin. Ist das tatsächlich denkbar?

Stephan Stuchlik: Die Frage stellt sich, so sehe
ich das, im Moment der Kreml selbst. Wie geht das? Braucht man noch
ein Verfassungsorgan? Wie garantiert man, dass in der Übergangsphase
die Präsidenten-Administration des dann neuen Mannes im Kreml
nicht Putins Fäden zur Macht durchschneidet? Und: Wie überzeugt
man das Volk davon, dass es noch einen „Übervater“
braucht, zum Parlament, dem Präsidenten und dem Regierungschef?
Also, da wird – denke ich – im Moment dran gefeilt, was das Modell
angeht. So ist Nordkorea wahrscheinlich zu hart als Vergleich, also
da ist Russland doch weit davon entfernt. Aber hier wird immer „China“
genannt (sozialistische Strukturen, Kapitalismus gebremst, starker
Mann aus dem Hintergrund), mal sehen!

Moderator: Jetzt wird es psychologisch:

KGB66: War es nicht abzusehen, dass sich ein
Ex-KGB Mann so entwickelt, wenn er genügend Macht in die Hand
bekommt?

Stephan Stuchlik: Es gibt hinreißende Interviews
aus der Zeit von Putins Berufung zum Ministerpräsidenten, in
denen die Leute auf der Straße genau das sagen. Außerdem:
Es hat noch nie jemand im Kreml gesessen, der sich nicht, falls
er es nicht schon von vornherein war, zum absoluten Machtmenschen
entwickelt hätte. Man muss sich nur einmal vorstellen: Du sitzt
da und regierst ein Fünftel der Erdoberfläche. Also: Ich
denke, jeder der da gekommen wäre, hätte sich so entwickelt,
das KGB/FSB-Geheimdienst-System, mit dem Putin jetzt Russland überzogen
hat, ist allerdings spezifisch für diesen Präsidenten!

Moderator: Wieder zweimal.

Olmgard: Wird Russland sich jetzt noch weiter
vom restlichen Teil Europas abgrenzen?

Silmarillion: Denken Sie, dass Putins Russland
über kurz oder lang eine Bedrohung für die westeuropäischen
Staaten werden könnte?

Stephan Stuchlik: Eine militärische Bedrohung:
Nein, dazu ist die Armee in einem zu miserablen Zustand, das Geld
für einen richtigen Rüstungswettlauf ist trotz aller Öl-Milliarden
nicht da. Und man hat in der Sowjetunion so einen Wettlauf schon
einmal verloren. Atom-Bewaffnung bleibt gefährlich, das gilt
aber für sämtliche Staaten der Erde, in denen es so etwas
gibt (also auch etwa Frankreich). Abgrenzungstendenzen gibt es zweifellos,
eine Re-Nationalisierung, die Erklärung eines „Sonderweges“.
aber das ist eine Reaktion auf die für viele Russen traumatischen
1990er Jahre, als der Rest der Welt Russland als kranken Mann betrachtet
hat und politisch zum Teil auch so behandelte. Diese Vergangenheit
und die daraus resultierende Ablehnung westlicher Modelle („die
Europäer wollten uns nur kleinkriegen und wollen das noch immer“)
kann man nicht mehr korrigieren!

StuttgartLog: Ich hatte die Erfahrung in Moskau
gemacht, dass viele Leute total demotiviert sind und überhaupt
nicht mehr daran glauben, dass Sie etwas an dem System ändern
können. Sei es durch Demonstrationen oder Wahlen. Viele sehen
keine bessere Lösung und sind mit dem „kleinstmöglichen“
Übel zufrieden. Wie sehen Sie das – haben Sie diesbezüglich
Erfahrungen gesammelt?

Stephan Stuchlik: Der Rückzug ins Private
mit jedem Monat und ein paar Rubel mehr auf dem Konto ist nicht
zu verkennen! Dass die Russen allerdings nicht merken, wie sie vom
Einheitsbrei der Massenmedien manipuliert werden sollen, stimmt
auch nicht. Es gibt da zum einen die alten Reflexe aus der kommunistischen
Zeit („die oben regieren, wir leben“), zum anderen ist
der wirtschaftliche Leidensdruck nicht hoch und, das ist vermutlich
menschlich, dann arrangiert man sich irgendwie. Die Eintrittszahl
der Jugendlichen zur Kreml-Jugend „Nashi“ (ein Karrierenetzwerk
mit Kreml-Steuerung) ist enorm hoch, also aufmüpfiges Potential:
ganz, ganz wenig!

Moderator: Noch das Ergebnis unserer kleinen Umfrage:
Nur elf Prozent glauben, dass Putin Macht abgeben wird. Und eine
letzte Frage noch:

dietob: Werden ausländische Investoren durch
den jetzigen Zustand der Politik verunsichert und auch abgeschreckt?

Stephan Stuchlik: Die Wirtschaft aus dem Ausland
hält sich ein bisschen zurück, solange nicht genau geklärt
ist, wie Putin an der Macht bleiben soll (die elf Prozent sehen
das ganz realistisch, glaube ich!). Aber: Eine wirkliche Abschreckung
für ausländische Investoren mag vielleicht Korruption
oder Bürokratie sein, politische Verhältnisse werden,
so vermute ich als Zyniker, kaum Investoren davon abhalten, ihr
Geld in einem gigantischen Absatzmarkt (Russland hat circa. 140

Millionen Einwohner) und einem unfassbar großen Rohstofflieferanten
(Gas und Öl mit circa einem Drittel der weltweiten Vorkommen)
zu investieren. Das war zu Zeiten der Zaren so, das war zu Zeiten
der Sowjetunion so, und, denke ich, das wird auch unter Putin (wie
auch immer er weitermacht) so bleiben!

Moderator: Das war’s leider schon wieder,
vielen Dank Herr Stuchlik, dass Sie Zeit für Analyse und Einschätzung
der Wahl in Russland hatten. Vielen Dank an alle User für Ihr
Interesse und Ihre Fragen. Sorry, dass – wie immer – nicht alle
dran kommen konnten. Allen Beteiligten wünschen tagesschau.de
und politik-digital.de noch einen angenehmen Tag.

Stephan Stuchlik: Hat, wie immer, viel Spaß
gemacht, viele Grüße aus der russischen Hauptstadt!

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