Morgens, kurz vor acht Uhr. Ein Schüler betritt das Klassenzimmer, jemand stellt ein Bein, der Junge stolpert. Das sorgt für Lacher im Klassenraum. Nicht nur die Mitschüler amüsieren sich über diese Szene – im Internet kann sich jeder ansehen, wie Kinder andere fertigmachen.
Wenn sich Jugendliche gezielt einen „Schwächeren“
aussuchen, um ihn zu hänseln oder zu bedrohen, nennt man das
Mobbing. Der Begriff kommt aus dem englischen und bedeutet soviel
wie Anpöbeln und Fertigmachen. Seit Handyhersteller ihre Geräte
mit Videokameras ausgestattet haben, können sich mobbende Schüler
vor einem größeren Publikum mit ihrer vermeintlichen
Überlegenheit brüsten: Sie verschicken Filme ihrer „Opfer“
als SMS oder stellen sie ins Netz. Das Programm reicht von eher
harmlosen Sprüchen und dem Bewerfen mit Papierkügelchen
bis hin zu den als „Happy Slapping“ (fröhliches
Schlagen) bekannten Prügelfilmen. Auf YouTube muss ein Nutzer
nur nach Stichworten wie „Schule“ oder „Mobbing“
suchen, schon bekommt er eine ganze Reihe dieser Streifen geliefert
– frei zum Kommentieren für jedermann.
Prügelfilme per Kurznachricht
Wie viele dieser Szenen gestellt sind, wie viele tatsächlich
echtes Mobbing zeigen, lässt sich nicht nachvollziehen. Das
Phänomen, Gewaltvideos per SMS zu versenden, scheint aber weit
verbreitet. Die Studie
„Jugend, Information, Multimedia 2006“, kurz JIM,
des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest widmet
dem Thema ein eigenes Kapitel. Ergebnis: Kaum einer der befragten
Jugendlichen wischen zwölf und 19 Jahren hat nicht schon mal
von diesen Streifen gehört. Etwa ein Drittel habe erlebt, dass
einer ihrer Freunde eine Kurznachricht mit „Happy Slapping“
Filmen bekommen hat. Sieben Prozent wollen selbst einen derartigen
Streifen erhalten haben. Und immerhin 17 Prozent hätten mitbekommen,
wie eine Prügelei mit dem Handy gefilmt wird.
Handyfilme zu verschicken oder im Netz zu veröffentlichen
ist aber nur eine Form des „E-Mobbings“, wie das Mobbing
über elektronische Medien bezeichnet wird. „Es werden
nicht nur Filme selbst gedreht, sondern auch aus dem Netz heruntergeladen.
Das kann Belästigung sein, weil auf die Schüler Druck
ausgeübt wird, mitzumachen,“ berichtet der Medienpädagoge
und Journalist Matthias
Felling im Interview mit politik-digital.de.
„Weiterhin kommt es zu Belästigungen im Chat oder über
SMS,“ so Felling. Laut der JIM-Studie hat bereits die Hälfte
der chattenden Jugendlichen zumindest einmal Erfahrungen mit Belästigungen
gemacht, ist beleidigt oder sexuell belästigt worden –
Mädchen (57 Prozent) häufiger als Jungen (34 Prozent).
Computer und Handy als Waffe
Für Kristine Kretschmer, Leiterin des Online-Jugendmagazins
sowieso.de und
Projektleiterin der Anti-Mobbing-Aktion
„Mobbing – Schluss damit“ , ist E-Mobbing definitiv
ein Problem: „In unseren Foren sehen wir, dass es ziemlich
häufig vorkommt, dass Kinder Beleidigungen übers Handy
bekommen oder über E-Mail bei größeren Kreisen angeschwärzt
werden.“ „Mobber“ verschicken etwa peinliche Geschichten
per E-Mail oder sie melden sich unter dem Namen des Gemobbten in
Foren an: Mit gefälschten Beiträgen soll das „Opfer“
hier bloßgestellt werden.
Im Chat können Jugendliche Beleidigungen wegklicken und nervige
Mit-Chatter mittels eines „Ignorieren“-Buttons ausblenden.
Gegen die Verbreitung von Online-Videos oder Gerüchten in Foren
können die Betroffenen dagegen meist wenig ausrichten. Anbieter
von Kommunikations-Plattformen wie Schüler-VZ und Knuddels
geben zwar an, gefälschte Nutzerprofile löschen zu wollen.
Doch lässt es sich auch für sie schwierig feststellen,
wer tatsächlich hinter einer „Netzidentität“
steckt. Bei YouTube können Nutzer Videos als „unangemessen“
melden; bis die Betreiber handeln und das Video entfernen, stehen
die Szenen aber schon auf zahlreichen privaten Websites auf Abruf
oder sind in E-Mails durchs Netz gegangen. Die große Reichweite
des Internets mache Online-Mobbing besonders unangenehm, meint Felling:
„Es ist natürlich ein größeres Problem, wenn
eine E-Mail an 40 Leute geht, als wenn nur drei andere Kinder etwas
mitbekommen.“
Wie beim Mobbing im echten Leben spiele es auch bei Online-Hänseleien
eine Rolle, dass die Täter sich ihren Opfern überlegen
fühlen. „Sie kennen den technischen Fortschritt. Sie
können Computer und Handy nicht nur als Spielzeug einsetzen,
sondern auch als Waffe.“
Lehrer bekommen häufig nichts mit
In Bayern wollen Lehrer und Politik gegen „Happy Slapping“
Filme vorgehen, indem sie Handys an Schulen komplett verbieten.
Einzelne Schulen in anderen Bundesländern ziehen nach. Mobbing
übers Internet lasse sich allerdings wesentlich schwieriger
erkennen, meinen sowohl Kristine Kretschmer als auch Matthias Felling.
Im Klassenverband könnten Lehrer eingreifen – von E-Mobbing
bekommen sie meistens nichts mit. „Im Forum haben wir auch
Klagen darüber, dass Lehrer die Augen verschließen,“
berichtet Kretschmer. Ob diese berechtigt seien, könne sie
nicht nachvollziehen. Erfahren Lehrer doch von Vorfällen, sollten
sie diese in der Schule klären: „Lehrer haben die Aufgabe,
dafür zu sorgen, dass der Unterricht friedlich abläuft
und Spielregeln eingehalten werden. Und Spielregeln gibt es schließlich
auch online.“
Um E-Mobbing zu vermeiden, rät Kretschmer Kindern und Jugendlichen,
auf ihre persönlichen Daten zu achten. Man sollte nicht jedem
seine Adresse geben, gleiches gelte auch für die Handynummer.
Wer über SMS und E-Mail beschimpft werde, sollte die Vorfälle
öffentlich machen, mit Eltern und Lehrern darüber sprechen.
Als letzte Möglichkeit bliebe der Gang zur Polizei.