Gernot Erler, Fraktionsvize der SPD, am 12. März, 2003 zu Gast im
tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.
Moderator: Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Erler. Herzlich willkommen im tacheles.02 Live-Chat. Unser heutiger Gast
in Berlin ist der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. Herr Erler,
sind Sie bereit für sechzig Minuten Diskussion mit unseren Nutzern?
Gernot Erler:
Ja
Moderator:
Stichwort Irak: Gerhard Schröder ist zu Gesprächen mit dem britischen
Premierminister Tony Blair in London eingetroffen. Thema: die Irak-Krise.
Beide Politiker wollen bei dem Treffen erörtern, ob doch noch eine
gemeinsame Haltung im UN-Sicherheitsrat möglich ist. Welche Vorschläge
hat Schröder Blair zu machen?
Gernot Erler:
Ich glaube die Positionen sind soweit auseinander, dass sie nicht
durch einen deutschen Vorschlag überbrückt werden können.
Es geht darum zu zeigen, dass die Unterschiede nicht zu einem Bruch in
den guten deutsch-britischen Beziehungen führen sollen und dass die
führenden europäischen Staaten im Gespräch bleiben.
Moderator:
Zwei Fragen zum gleichen Thema:
sonnendeck:
Der wegen seines Irak-Kurses ums politische Überleben kämpfende
Premierminister Tony Blair stellte nun einen Forderungskatalog vor. Ist
das der richtige Weg?
Krisenrat: Was halten Sie von den sechs Bedingungen aus London. Sind die
erfüllbar, oder wird hier nur der Krieg legitimiert?
Gernot Erler:
Das Problem ist, dass auch bei diesen sechs Bedingungen, die
im übrigen bis zum 17.3. gar nicht erfüllbar sind, es zu einer
Umkehr des Vetos kommen soll. Das heißt, hinterher müsste der
Sicherheitsrat sagen, wenn er einen Krieg verhindern will, Saddam hat
alles erfüllt. Aber wer beurteilt das? Und warum sollte nicht Washington
ein Veto einlegen, wenn alle anderen für gute Kooperation votieren?
Das ist kaum konsensfähig.
FreiburgBerliner:
Inwiefern halten Sie einen Rückzug Blairs für möglich,
falls der Druck auf ihn zur offenen Rebellion in Partei und Fraktion wird?
Gernot Erler:
Darüber wird in England bereits offen spekuliert. Tony Blair
braucht einen Kompromiss und eine Legitimation durch einen Sicherheitsratsbeschluss.
Sonst wird ihm das britische Volk die Gefolgschaft verweigern.
redo: Glauben
Sie, dass es der USA um eine demokratische Nachkriegsordnung geht?
Gernot Erler:
Es geht den Vereinigten Staaten um eine "Pax Americana"
im Nahen Osten, das heißt eine Neuordnung dieser sensiblen Region
im Sinne amerikanischer Interessen. In der Vergangenheit hat Washington
dabei auch mit Diktaturen und autoritären Regimes zusammen gearbeitet.
Nichts weist darauf hin, dass sich daran etwas ändern würde.
Moderator:
Mal nachgefragt: der Nahe Osten ist nicht mehr in der Situation
wie 1990/91. Könnte ein Sturz des irakischen Regimes nicht auch ein
positive Wendung für einige Staaten dort bringen?
Gernot Erler:
Unsere Befürchtung ist, dass die Ohnmachtgefühle bei
der arabischen Bevölkerung, wenn sie die Bilder von Opfern im Irak
sehen, eher zu eruptiven Reaktionen führen werden, und damit die
Existenz der moderaten arabischen Staaten der Region aufs Spiel setzen
werden. Präsident Bush glaubt dagegen, dass ein Regime Change alle
radikalen Kräfte in der Region abschrecken und zum verstummen bringen
würde. Was halten Sie für das Wahrscheinlichere?
Moderator:
Ich habe nur den Eindruck, dass die Nahostexperten die Kraft
der so genannten "arabischen Straße" äußerst
unterschiedlich einschätzen.
Gernot Erler:
Ich stimme zu, es gibt verschiedene Einschätzungen, aber
die meisten Experten erwarten eher eine Destabilisierung der Nahostregion
nach einem Irak-Krieg.
bernie: Herr
Erler, die Position der Bundesregierung verdient Anerkennung, aber sie
macht sich offenbar keine Gedanken um die inhumanen Zustände im Irak.
Haben wir kein Interesse die Menschen im Irak zu unterstützen? Wir
wissen doch genau wie gefährlich und schrecklich diese Diktatur ist.
Gernot Erler:
Das stimmt. Wir wissen das seit vielen Jahren, und leider wissen
wir auch, dass die Maßnahmen der Vereinten Nationen im Sinne von
Sanktionen weniger dem Clan von Saddam als den einfachen Menschen geschadet
haben. Aber ein Krieg, das sagen auch die humanitären Hilfsorganisationen,
hat den selben Effekt: die Eliten können sich schützen und verbergen,
die einfachen Menschen sind dem Bombenhagel und den militärischen
Aktionen ausgeliefert.
FreiburgBerliner:
Herr Erler, wie schätzen Sie das weitere Vorgehen der USA
ein – nach einem Irak-Krieg- in Hinsicht ihrer "axes-of-evil"-Politik:
also Iran?
Gernot Erler:
Es gibt Anzeichen dafür, dass der Irak-Krieg exemplarisch
die neue amerikanische Doktrin der nationalen Sicherheit umsetzen soll.
In einer Weltordnung nach einem Irak-Krieg würde das heißen,
dass wir mit weiteren Entwaffnungskriegen gegen anti-westliche Staaten
mit gefährlichen Waffen rechnen müssten. Ich sage immer: in
einer solchen Weltordnung möchte ich nicht leben.
Akanesh: Vorausgesetzt
das derzeitige Kräfteverhältnis im UN-Sicherheitsrat würde
auch in Zukunft bestehen bleiben und ein Kriegsautomatismus damit nicht
legitimiert werden. Wenn überhaupt – wie könnten die USA ihrer
Meinung nach ohne "ihr Gesicht zu verlieren" zu einem Konsens
im Sicherheitsrat finden?
Gernot Erler:
Ich halte das für die entscheidende Frage, wie man im letzten
Moment Präsident Bush noch eine Brücke bauen kann. Ich glaube,
es geht nur so: Amerika hat einen großen Erfolg erzielt, hat durch
das Engagement auch im militärischen Bereich die Voraussetzung dafür
geschaffen, dass Saddam jetzt tatsächlich abrüstet, und wir
sollten uns wünschen, dass Präsident Bush dies als seinen Erfolg
feiern kann.
kajsanka:
Wie, denken Sie, wird die UN und die Bundesregierung reagieren, wenn es
zu einem Krieg ohne UN Mandat kommt?
Gernot Erler:
Die Vereinten Nationen können von ihrer Struktur her nichts
gegen ein Veto-Land unternehmen, eben weil dieses Land mit einem Veto
auf jeden Beschluss der UN reagieren kann. Die Bundesregierung wird in
jedem Fall bei ihrer Haltung bleiben: keine Beteiligung an einem Irak-Krieg,
weder mit Geld noch mit Soldaten.
Traube: Wird
sich Deutschland nach einem möglichen Irak-Krieg am "nation
building" im Irak beteiligen und wenn ja, wie?
Gernot Erler:
Wir geben darauf bisher keine Antwort, weil wir es für unglaubwürdig
halten, nein zum Krieg zu sagen, aber jetzt schon Zusagen für den
erfolgten Kriegsfall zu geben. Ich finde es makaber, dass einerseits die
Vereinten Nationen noch um den Frieden ringen, aber die amerikanische
Administration bereits die Ausschreibungen für die Wiederaufbauarbeiten
nach dem Krieg verteilt hat!
Ghostman:
Warum werden den USA in jedem Fall Überflugrechte gewährt? Bei
einem Krieg ohne UN-Mandat wäre das eine Unterstützung eines
völkerrechtswidrigen Angriffskrieges.
Gernot Erler:
Die Bundesregierung kann nach unserer Verfassung in ihren Exekutiven
eine solche Zusage machen und hat dies getan, um das transatlantische
Verhältnis nicht dauerhaft zu beschädigen. An Spekulationen
darüber, ob die Vereinigten Staaten das Völkerrecht verletzen
werden, kann und sollte sich Berlin nicht beteiligen.
ewd: Der
Irak und die USA buhlen beide um die Gunst der Russen. Sind sie der heimliche
Gewinner?
Gernot Erler:
Nein, die Russen sind in einer schwierigen Lage. Putins Politik
will eine Partnerschaft mit dem starken Amerika, und will diese Partnerschaft
wegen des Iraks nicht aufs Spiel setzen. Andererseits gibt es eine sehr
starke Anti-Kriegshaltung in der russischen Bevölkerung, die im Moment
zu einer anti-amerikanischen Haltung werden kann. Man sieht, dass Putin
und Iwanow mit verteilten Rollen diese Gratwanderung zu bestehen versuchen.
rosiensche:
Was hätte Schröder eigentlich gemacht, wenn die anderen
Länder nicht auch alle nach und nach gegen den Krieg argumentiert
hätten? Dann wäre er jetzt wirklich ziemlich isoliert, oder?
Gernot Erler:
Ja das stimmt. Das zeigt aber, dass es sich international nicht
um eine populistische Position gehandelt hat, sondern um eine risikoreiche
und eine, die mit Grundüberzeugungen zu tun hat. Wir waren von vornherein
davon überzeugt, dass der Irak-Krieg den Kampf gegen den Terrorismus
erschweren wird, dass er die Nahostregion und damit auch Israel unsicherer
machen wird, und dass wir am Ende mit einem weltweiten Anwachsen des Anti-Amerikanismus
rechnen müssen. Inzwischen gibt es auch immer mehr Amerikaner, die
diese Risikobeurteilung teilen.
Mensch Gerd
!: Wenn Deutschland plötzlich an der Seite von Russland
steht und sich gegen die USA stellt, was passiert dann mit unserer stark
vom Export abhängigen Wirtschaft ?
Gernot Erler:
Das gute deutsch-russische Verhältnis lag bisher immer auch im amerikanischen
Interesse, und das wird auch so bleiben. Die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen
sind stark und robust gegen diese Herausforderungen. Vor allem gibt es
dabei ebenso deutliche amerikanische wie deutsche Interessen.
bernie: Im
Bericht des Irak, wurde erwähnt, dass ca. 80 deutsche Firmen dem
Irak bei der Aufrüstung halfen. Von denen hört man gar nichts
mehr… geht dem keiner nach? Was wissen Sie darüber?
Gernot Erler:
Es hat in dieser Frage mehrere Prozesse in Deutschland gegeben,
bei denen auch Firmen bestraft wurden, die illegale Exporte durchgeführt
haben. Die meisten dieser Fälle beziehen sich allerdings auf die
80er und 90er Jahre. Die nach der Vorlage des Waffenreports von Saddam
aufgetauchten Listen deutscher Firmen (übrigens auch amerikanischer
Firmen) stammen aus der Zeit des 1. Golfkrieg (1980-88).
nort: Die
nichtständigen Mitglieder im Sicherheitsrat: sind sie entscheidend
oder nicht? Wenn nicht, zeigt das nicht, wie undemokratisch die UN derzeit
ist?
Gernot Erler:
Leider stimmt es, dass die Vereinten Nationen Unterschiede zwischen
ihren Mitgliedsstaaten machen, eben solche zwischen Veto-Staaten und Nicht-Veto-Staaten.
Insofern finde ich es eher beruhigend, dass in der gegenwärtigen
Situation die eher "kleinen" Staaten Mexiko, Chile, Pakistan,
Kamerun, Guinea, Angola quasi das Zünglein an der Waage darstellen.
Ich habe Riesenrespekt vor diesen Staaten, die zum Teil wirtschaftlich
und politisch abhängig von Washington sind, dass sie bisher dem enormen
Druck nicht nachgegeben haben, und sich sogar zu einem eigenen inhaltlichen
Vorschlag zusammen gefunden haben.
Moderator:
Zu einem anderen Thema: Der serbische Ministerpräsident
wurde heute erschossen. Kannten Sie ihn gut?
Gernot Erler:
Ja, ich kannte Zoran Djindjic persönlich gut, vor allem
auch aus seiner Zeit als einer der führenden Oppositionellen gegen
Milosevic. Sein Tod wirft den serbischen Demokratisierungsprozess schwer
zurück, und mit ihm ist eine Hoffnung für die ganze Balkanregion
brutal ermordet worden. Ich bin persönlich erschüttert und sehr
traurig heute.
oasis:
Droht Serbien in ein Chaos zu verfallen?
Gernot Erler:
Das hängt von der Klugheit der anderen Verantwortungsträger
im Lande ab. Die ersten Reaktionen auf den professionellen und brutalen
Anschlag waren besonnen.
Moderator:
Kennen Sie Gründe?
Gernot Erler:
Nein, bisher tappt man bei der Suche nach den Hintergründen
noch völlig im Dunkeln. Aber es gibt Spuren offenbar ins Milieu der
Mafia, die stets gute Verbindungen des Milosevic-Regimes unterhalten hat.
bernie:
Wie sehen sie die Situation im Kosovo? So richtig gut läuft das ja
wohl auch nicht – immer wieder gibt es Schiessereien, Minderheiten haben
nichts zu lachen, etc.
Gernot Erler:
Im Kosovo führt der Uno-Sonderbeauftragte Michael Steiner eine strenge
Politik nach dem Motto, erst Standards, dann Status, durch. Die Uno benutzt
den Wunsch der albanischen Kosovaren nach Status-Klärung, um sie
dazu zu bringen, Minderheitenrechte im Kosovo zu respektieren. Uns helfen
die schwierigen Erfahrungen aus Bosnien-Herzegowina. Ich persönlich
bin optimistisch, dass bei einer Fortsetzung dieser Politik die Normalisierung
im Kosovo schneller erfolgen wird als in Bosnien-Herzegowina, wo am Anfang
zu viele Fehler gemacht wurden.
ludi: Zeigt
Jugoslawien bzw. Kosovo nicht aber, was ohne die USA passiert wäre?
Die EU war zum Eingreifen nicht bereit. Hier war auch die SPD für
Krieg, oder?
Gernot Erler:
Es stimmt, dass sowohl in Bosnien als auch im Kosovo die europäische
Politik im Sinne einer Kriegsprävention versagt hat, und letztlich
auf die Autorität Amerikas zurückgreifen musste. In Mazedonien
2002 allerdings war das anders: da funktionierte zum ersten Mal eine präventive
europäische Politik und konnte einen Bürgerkrieg verhindern.
Es ist eine Tragödie, dass in der Zeit nach dem 11. September und
bei dem jetzigen Irak-Konflikt Europa in seiner Handlungsfähigkeit
nicht an das positive Mazedonien-Beispiel anknüpfen konnte. Die Idee
einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU hat durch
die Risse im Irak-Konflikt einen schweren Rückschlag erlitten.
uit: In
Mazedonien war der Konflikt aber auch auf einer anderen Eskalationsstufe.
Da hinkt doch der Vergleich, Herr Erler?
Gernot Erler:
In Mazedonien drohte eindeutig ein Bürgerkrieg, und die
EU hat mit einer politischen Strategie und einem Friedensvertrag, der
auch eine militärische Absicherung vorsah, diese Gefahr entschärfen
können. Insofern bedauern wir nachträglich, dass bei den vier
vorangegangenen Kriegen auf dem Balkan Europa nicht ähnlich gemeinsam
und entschlossen gehandelt hat. Das hätte viele Menschenleben mitten
in Europa retten können.
Ringläufer:
Fehlt in der deutschen Argumentation nicht ein klares Konzept
wie mit der Hydra Hussein umgegangen werden soll?
Gernot Erler:
Es gibt auf der Welt kein Kontroll- und Überwachungsregime,
dass so rigide ist, wie das, das gegenwärtig gegen Saddam angewandt
wird. Der irakische Diktator ist nicht mehr souverän: in seinem Luftraum
fliegen die besten amerikanischen, französischen und demnächst
auch russischen und deutschen Aufklärungssysteme, die Inspektoren
dürfen überall hin, wo sie wollen, auch in Saddams Paläste,
und er muss sich richtig abhetzen, um die fristenbewehrten Auflagen der
Inspektoren zu erfüllen. Ich glaube, das ist das richtige Konzept
im Umgang mit Saddam, was der Erfolg auch zeigt.
Moderator:
Zur Innenpolitik: Bundeskanzler Schröder will am Freitag
eine Regierungserklärung zu seinen Reformplänen abgeben. In
Berliner Politikkreisen wird befürchtet, dass der Kanzler wieder
nur große Linien verkündet. Wird der Kanzler endlich mal konkret?
Gernot Erler:
Die großen Linien sind notwendig und sie sind besser, als
jeden Tag einen Einzelvorschlag durch die Landschaft zu jagen, der nach
einer voraussehbaren Reaktion dann wieder vom Tisch genommen wird. Allerdings
wird es auch konkrete Daten in der Rede des Bundeskanzlers geben. Es wäre
sinnlos gewesen, die jetzt vorher schon bekannt zu machen.
Moderator:
…wäre aber interessant. Vielleicht ein kleiner Hinweis?
Gernot Erler:
Wir brauchen ein Gesamtkonzept für die großen Reformfelder
Gesundheit, Arbeitsmarkt und Investitionen, an dem sich die konkrete Gesetzgebungsarbeit
der nächsten Monate orientiert. Ich glaube der Kanzler wird einen
solchen Rahmen so konkret bieten, dass für die parlamentarische Arbeit
– und darauf lege ich als Bundestagsabgeordneter wert – noch genügend
Spielraum bleiben wird.
Moderator:
Glauben Sie oder wissen Sie?
Gernot Erler:
Ich habe sehr aufmerksam am Montag und am Dienstag dieser Woche Gerhard
Schröder zugehört, und darauf stützt sich meine Erwartung.
framex: Was
halten sie von der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe? soll
ein Arbeitsloser der bisher ca. 700 ? bekommen hat dann ins Obdachlosenasyl
ziehen?
Gernot Erler:
Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist beschlossene
Sache, aber es kommt auf die Ausgestaltung an. Wir haben im Augenblick
eine widersprüchliche Situation:
Familien mit mehreren Kindern stellen sich besser mit Sozialhilfe, Einzelverdiener
profitieren bei der Arbeitslosenhilfe. Das jetzige System ist nicht gerecht.
Wir wollen es nicht abschaffen, sondern zukunftsfähig machen.
Philipp Ullrich,
München: Warum stellen Sie sich – als Vertreter der SPD
Linken – seit Jahren nachhaltig gegen die von allen seriösen Fachleuten
angemahnten Reformen? Haben Sie schon jemals die Politik verlassen und
jemals auch nur einen Arbeitsplatz geschaffen? Woher nehmen Sie Ihre Weisheit?
Gernot Erler:
Ich kann darauf hinweisen, dass ich 20 Jahre berufstätig
war, unter anderem als Leiter eines Unternehmens und mit der Berechtigung
zur Ausbildung, bevor ich beruflich in die Politik gegangen bin. Deswegen
bilde ich mir ein, dass ich auch innenpolitische Fragen aus eigener Anschauung
einschätzen kann. Ich wende mich nicht gegen Reformen, aber Vorschläge
von "Fachleuten" sind immer auch Vorschläge von Leuten
mit Interessen. Aus meiner Erfahrung werde ich mich gegen eine Entwicklung
des Sozialstaats zu einem Sozialhilfestaat wenden.
Mensch Gerd
!: Es kann doch nicht die Rede von besser stellen sein! Es geht
darum, dass die Menschen keine ARBEIT mehr haben!
Gernot Erler:
Deswegen wird es auch um eine Stärkung der Gemeindefinanzen
gehen und um ökologisch sinnvolle Investitionsprogramme, die neue
Arbeitsplätze schaffen können.
goo: Sie
gehören zum linken Flügel in der SPD. Haben Sie da nicht ein
besonders gespaltenes Verhältnis zum Kanzler? In der Außenpolitik
ein Friedensengel, in der Innenpolitik ein neoliberaler Sozialabbauer?
Gernot Erler:
Ich habe Vertrauen zu Gerhard Schröder, auch deswegen, weil
er auf Ratschläge hört, auch wenn sie von Vertretern des linken
Flügels der SPD kommen, wenn sie nur sachlich begründet sind.
Die Politik des Bundeskanzlers wird kein neoliberaler Sozialabbau sein:
das wollen in der jetzigen Situation die Vertreter der Opposition in Gemeinschaft
mit den Arbeitsgeberverbänden. Aber genau dafür gibt es keine
Mehrheit in der SPD-Bundestagsfraktion und damit auch nicht für die
Bundesregierung!
Moderator:
Liebe Chat-Freunde, unsere Gesprächsrunde ist leider vorbei.
Herzlichen Dank, Herr Erler, dass Sie ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen
sind und vielen Dank an alle UserInnen für Ihr Interesse. Jede Menge
Fragen blieben unbeantwortet, ich denke wir müssen Herrn Erler noch
einmal einladen. Noch ein Terminhinweis: Morgen kommt der nordrhein-westfälische
Finanzminister, Jochen Dieckmann, zum Chat. Knapp eine Woche später,
am 19.März, werden wir mit Friedbert Pflüger, dem außenpolitischen
Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, sprechen. Beide Chats finden
zwischen 17:00 und 18:00 Uhr statt. Wir würden uns freuen, wenn Sie
wieder dabei sind. Die Transkripte aller tacheles.02-Chats finden Sie
auf den Webseiten der Veranstalter tagesschau.de und politik-digital.de.
Gernot Erler hat übrigens einen eigenen Webauftritt: www.gernot-erler.de