Dr.
Philipp Müller, leitender Koordinator des transatlantischen
Netzwerks Critical
Perspectives on Global Governance, war am 27. März 2003
zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.
Moderator:
Willkommen im tacheles.02-Chat. tacheles.02 wird veranstaltet
von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt von
tagesspiegel.de. Heute ist Dr. Philipp Müller ins ARD-Hauptstadtstudio
gekommen. Er ist leitender Koordinator des transatlantischen Netzwerks
Critical Perspectives on Global Governance. Wir haben eine Stunde Zeit,
kann es losgehen Herr Müller?
Herr Müller,
stellen Sie uns doch mal kurz das Netzwerk (http://www.cpogg.org) vor.
Dr. Philipp
Müller: Das Forschungsnetzwerk CPOGG oder "Critical
Perspectives on Global Perspectives" ist ein Projekt der Brookings
Institution und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Wir beschäftigen uns mit Global Governance Fragen.
Andrea:
Welche wahren Beweggründe haben die Amerikaner zur Militäraktion
gegen den Irak bewogen?
Dr. Philipp
Müller: Eins kann man ausschließen. Es ging nicht
hauptsächlich ums Öl.
Moderator:
Welche weiteren Gründe gibt es denn?
Dr. Philipp
Müller: Es gibt verschiedene Erklärungsansätze.
Es gibt in der Bush-Administration eine Gruppe von Außenpolitikern,
die seit Mitte der neunziger Jahre einen "Regime-Wechsel" im
Irak befürwortet. Diese haben die Gunst der Stunde nach dem 11. September
genutzt, um dafür zu plädieren. Eine interessante Website dieser
Gruppe ist: www.newamericancentury.org
Moderator:
Wie wird in der US-Bevölkerung der Vorwurf aufgenommen,
es gehe bei dem Krieg nur ums Öl? Oder anders gefragt: Was glauben
die Amerikaner, ist der wirkliche Grund, den Irak anzugreifen?
Dr. Philipp
Müller: Die amerikanische Bevölkerung ist ähnlich
verwirrt, wie die deutsche. Mit dem Unterschied, dass sie sich mit Kriegsbeginn
hinter ihren Präsidenten stellen. Das nennt man "rallye around
the president" oder "rallye around the flag"
Moderator:
ein Kommentar von:
logoset: Mit der Fahne werden erst die Gehirne verhüllt
und dann die Särge der Gefallenen!
Moderator:
Wie ist das Phänomen zu erklären, dass alle kritischen
Stimmen verstummen, sobald die ersten Soldaten den Krieg ziehen?
Dr. Philipp
Müller: Ich würde sagen, mit dem amerikanischen Patriotismus.
tollkühner
Schleim: Was braucht es, damit in der öffentlichen Meinung
der USA die Stimmung umschlägt?
Dr. Philipp
Müller: Die Stimmung ist schon jetzt "wackeliger"
als es in manchen Medien den Anschein hat. Wenn sich der Krieg lange hinzieht,
viele amerikanische Soldaten fallen, irakische Zivilisten betroffen sind,
kann die Stimmung relativ schnell umschlagen.
Moderator: ein weiterer Kommentar:
Ute: Darf ich dem Moderator eine Antwort geben als in
Amerika lebende Deutsche? Für die Amerikaner in meiner Umgebung ist
es tatsächlich außer Frage, dass man den Irak entwaffnen will,
weil es offenbar Beweise für Massenvernichtungswaffen und chemische
Waffen gibt.
Dr. Philipp
Müller: Ich denke, dass sie das glauben, aber nicht 100%
überzeugt sind, dass der Irak das größte Problem für
die USA ist. Die neuesten Umfragen zu dem Thema gibt es bei www.gallup.com.
alex: Welchen
Einfluss hat Ihrer Meinung nach George Bush auf das Geschehen oder ist
er nur die Marionette von Cheney, Rumsfeld, Rice…?
Dr. Philipp
Müller: Die Präsidentschaft G.W. Bush versteht man
am besten mit dem CEO- Modell: Der CEO oder Chief Executive Officer einer
amerikanischen Firma trifft strategische Entscheidungen überlässt
die Implementierung aber seinen Untergebenen. Im Fall der Bush Administration
ist das so: Bush lässt seine Berater diskutieren, Vorschläge
machen und entscheidet dann. Nachzulesen im Buch "Bush at War"
von Bob Woodward.
Moderator:
War das bei Bill Clinton auch so?
Dr. Philipp
Müller: Nein, da war das anders. Clinton war ein sogenannter
"policy wonk". D.h. er saß bis tief in die Nacht mit seinen
Beratern zusammen und kaute die Themen durch.
Ralf Leiteritz:
Warum ist Colin Powell plötzlich die Fronten zu den ‘Falken’
gewechselt?
Dr. Philipp
Müller: Ich denke, die Geschichte mit der Enttäuschung
über das Verhalten der Franzosen in der UNO hat einen gewissen Wahrheitsgehalt.
Moderator:
Welchen Einfluss hat Powell denn noch?
Dr. Philipp
Müller: Das ist im Moment nicht ganz klar. Der Einfluss
von Powell ist aber in Krisen-Situationen immer am größten
und man kann davon ausgehen, dass nach dem Irak-Krieg, wenn es notwendig
wird, eine Koalition für den Wiederaufbau zusammenzustellen, Powell
wieder eine exponiertere Rolle spielen wird.
Ringmaster:
Wie viel und wo haben denn die ganzen Geldgeber der amerikanischen Parteien
Einfluss auf deren Politik?
Dr. Philipp
Müller: Das kann so allgemein nicht beantwortet werden.
Das amerikanische politische System zeichnet sich dadurch aus, dass man
durch Stimmen und auch Geld Einfluss nehmen kann und das machen NGO’s
wie Greenpeace und die Nuclear Threat Reduction Campaign genauso, wie
die Öl-Lobby…
Moderator:
Nachfrage zu Powell und dem Verhalten der Franzosen im Sicherheitsrat:
eu-friend:
Ich nehme bezug auf das Statement von gerade: Ich würde
dann doch gerne diesen "Wahrheitsgehalt" erfahren und das nicht
nur als plakative Behauptung im Raum stehen lassen!
Dr. Philipp
Müller: Powell hat mit viel Einsatz versucht Bush davon
zu überzeugen, zur UNO zu gehen und geht davon aus, dass die Resolution
1441 den Amerikanern tatsächlich das Recht gibt, im Irak zu intervenieren.
Er war dann enttäuscht (wobei man das auch als politisches Manöver
bezeichnen kann).
Moderator: noch mal ein Kommentar:
Ute: Ich glaube, Powell hat nicht wirklich einen Einfluss.
Er erscheint mir eher wie ein Anhänger, der nur die Wahl sah, sich
entweder ganz zurückzuziehen oder sich Bush anzuhängen.
Bernd24: Wie
wichtig sind bei Bushs Entscheidungen Ihrer Meinung nach ‘fundamentalchristliche’
Motive? Fühlt er sich tatsächlich als Kreuzritter?
Dr. Philipp
Müller: Die Frage kann man auf verschiedenen Ebenen beantworten:
(a) Der Begriff "Crusade" oder Kreuzzug ist ihm tatsächlich
nur "rausgerutscht". Das sollte man nicht so hoch hängen.
(b) Bush hatte eine persönliche "Wiedergeburtserfahrung",
d.h. wenn er das Wort Gott in den Mund nimmt, meint er das Ernst…
(c) Es gibt in den USA eine sehr große Gruppe von "evangelical
Christians", die die Bibel wörtlich nehmen und danach Außenpolitik
gestaltet sehen wollen.
Berti: Konkret:
welchen Einfluss haben die konservativen Think Tanks auf die Bush-Administration?
Dr. Philipp
Müller: Einen sehr großen
(a) Wichtigster Think Tank ist das American Enterprise Institute (www.aei.org),
von dort kommen Leute wie Richard Perle.
(b) großen Einfluss hat auch Heritage (www.heritage.org),
(c) Viele Demokraten glauben, dass ihre Misserfolge darauf zurückzuführen
sind, dass sie keine wirklichen Pendants zu diesen Institutionen haben…und
überlegen einen neuen zu gründen.
eu-friend:
Sehen viele Amis die UNO als überflüssig an – so wie Mr. Perle?
Dr. Philipp
Müller: Nein, die amerikanische Bevölkerung wollte
explizit eine UNO-Sanktionierung des Irak-Krieges (www.gallup.org). Es
gibt aber auch Gruppen, die glauben die UNO werden die Macht übernehmen,
"mit schwarzen Helikoptern" 🙂
julia: Wie
kann die Position der UNO so gestärkt werden, dass man sich nicht
einfach über ihre Beschlüsse hinwegsetzen kann?
Dr. Philipp
Müller: Sehr gute Frage. Ich denke, man muss unterscheiden
zwischen zwei Funktionen der UNO:
(a) Kollektive Sicherheit / Sicherheitsrat: vielleicht ist das einfach
nicht das geeignete Gremium um globale Probleme zu lösen.
(b) Die Funktion, die die UNO im Bereich humanitäre Sicherheit, nachhaltige
Entwicklung, etc. übernimmt. Das kann sie gut .
Man muss also zwischen den beiden unterscheiden.
Wildathard:
Es wurde zuletzt viel über Deutschland und seine außenpolitische
Wirkung gestritten: Was kann Deutschland tun, damit Europa eine stärkere
Stimme in der Außenpolitik bekommt?
Dr. Philipp
Müller: Es ist klar, dass Deutschland in und mit Europa
klarer darstellen muss, wie wir uns Weltordnung vorstellen. Wir können
uns nicht mehr alleine auf den Begriff "Multilateralismus" beziehen,
sondern sollten mit dem Begriff Global Governance – also problemorientierte,
multisektorale (Regierungen, Unternehmen, Zivilgesellschaft) – Institutionen
arbeiten.
Moderator:
Nachfrage zur Ihrer Ansicht zur Funktion der UNO:
alex: Ach
so, ein unilaterales Vorgehen der USA ist Ihrer Meinung nach also der
bessere Weg?
Dr. Philipp
Müller: Nein.
Moderator:
Ich schiebe noch eine weitere Nachfrage dazu:
XO7: Wenn
der Sicherheitsrat nicht das richtige Gremium zum Lösen internationaler
Probleme ist, welches Gremium ist es denn dann? Oder wie müsste solch
ein Gremium aussehen?
Dr. Philipp
Müller: Wir müssen aber eine vernünftige und glaubwürdige
Alternative zu dem amerikanischen Ansatz der "Coalition of the Willing"
anbieten, d.h. wir brauchen eine transatlantische Debatte über Weltordnung.
Und wie sieht der europäische Ansatz aus? Um die Amerikaner beeinflussen
zu können, müssen wir uns auf die amerikanische innenpolitische
Debatte einlassen – und jetzt zum europäischen Ansatz: Wir sollten
grundsätzlich mit dem Begriff Global Governance arbeiten (www.cpogg.org).
Was heißt das?
Problem-orientiert globale Institutionen bauen.
war_pig: Was
ist denn diese innenpolitische amerikanische Debatte?
Dr. Philipp
Müller: Die inneramerikanische Debatte findet in den großen
amerikanischen Zeitungen, den Think Tanks und den Sonntags-Talk Shows
statt. Wenn man die Möglichkeit hat, in diesen Foren Ideen zu präsentieren,
kann man erfolgreich "Weltpolitik als amerikanische Innenpolitik"
machen.
Moderator:
kleiner Kommentar:
Miriam: Es wird wohl nie eine Weltordnung geben die JEDEM passt
Dr. Philipp
Müller: Das ist richtig, allerdings gibt es globale Probleme
wie Klima, failed states, Terrorismus, die adressiert werden müssen.
alex: Aber
der Sicherheitsrat ist doch eine "problem-orientierte globale Institution".
Wie kann denn eine Alternative aussehen, wenn die USA nur darauf drängen,
dass andere Nationen sich ihrer Meinung unterordnen?
Dr. Philipp
Müller: Das sieht aus der Sicht der USA anders aus. Dort
hat man das Gefühl, sich durchaus auf andere Länder einzulassen.
Irgendwie sind sie halt doch "Elefanten im Porzellan-Laden".
logoset: Thema
Medien: Die Medien sind bezüglich des Kriegs einer Zensur wie noch
nie unterworfen. Wird diese Strategie halten?
Dr. Philipp
Müller: Das kann man auch anders sehen. Die Journalisten-
Pools, die im letzten Golfkrieg eingerichtet wurden, ließen noch
weniger freie Berichterstattung zu und mit Camcordern und Internet wird
die Möglichkeit der Berichterstattung immer einfacher. Aber, die
Frustration hat Rumsfeld in einer Pressekonferenz gestern sehr gut ausgedrückt.
Er sagte, "wir sehen den Krieg nur scheibenweise", wenn wir
die Bomben in Bagdad verfolgen, oder auf dem Panzer mit den "embedded"
Journalisten mitfahren. Aber das ist wohl Krieg.
Auge: Wieso
werden die Folgen (Tote und Verletzte), die durch den Krieg entstehen,
nicht der amerikanischen Bevölkerung gezeigt. Sie haben ein gutes
Recht zu erfahren, was da passiert.
Dr. Philipp
Müller: Es gibt dazu eine sehr gute Webseite: www.iraqbodycount.org.
Aber zur Frage:
(a) die Genfer Konventionen besagen, dass Kriegsgefangene nicht gezeigt
werden sollen. Deshalb zeigen amerikanische Medien diese nicht.
(b) Sonst wird meinem Empfinden nach schon darüber berichtet.
beobachter:
Warum werden in den USA so viele Demonstranten verhaftet?
Dr. Philipp
Müller: Das ist im Prinzip hauptsächlich ein Bann-Meilen-Problem,
auf jeden Fall in Washington. Man sollte auf jeden Fall nicht an eine
Verschwörung der Bush-Adminstrations-Anhänger glauben. Solche
Entscheidungen werden von den lokalen Polizeibehörden gemacht.
frogX: Haben
sie eigene Erfahrungen mit der Stimmung in den USA? Auf einer Anti-Kriegskundgebung
berichtete ein Redner, dass es sich bei der Pro-Kriegsstimmung um ein
Wunschbild der Regierung handelt
Dr. Philipp
Müller: Das kann man so oder so sehen :-), also:
(a) Es gab vor dem Krieg eine sehr große Minderheit, die gegen den
Krieg war.
(b) Im Westen der USA gibt es mehr Kriegsgegner als im "Heartland",
der Mitte der USA.
(c) Mit Kriegsbeginn haben sich aber die meisten Amerikaner hinter die
Administration gestellt (rallye around the flag).
Moderator:
Liebe Chat-Freunde, leider ist unsere Zeit vorbei. Vielen Dank
Herr Müller, dass sie zu uns gekommen sind. Vielen Dank an alle UserInnen
für Ihr Interesse. Es sind noch viele Fragen offen, wir werden uns
weiter mit dem Thema beschäftigen. Noch ein Terminhinweis: Dr. Margret
Johannsen, Friedensforscherin an der Universität Hamburg stellt sich
am Donnerstag, 3. April zwischen 17:00 und 18:00 Uhr Ihren Fragen. Wir
würden uns freuen, wenn Sie wieder dabei sind. Die Transkripte aller
tacheles.02-Chats finden Sie auf den Webseiten der Veranstalter tagesschau.de
und politik-digital.de sowie des Unterstützers tagesspiegel.de. Das
tacheles.02-Team wünscht allen noch einen schönen Abend.
Dr. Philipp
Müller: Danke!!! Ciao…